# taz.de -- Wowereits Buch pro Integration: Der Anti-Sarrazin haut auf die Pauke | |
> Integration ist primär eine soziale, keine kulturelle Frage, sagt Klaus | |
> Wowereit in seinem Buch "Mut zur Integration". Die späte Abrechnung mit | |
> Thilo Sarrazin ist ein Plädoyer für die offene multikulturelle | |
> Gesellschaft. | |
Bild: Klaus Wowereit am Freitag bei der Vorstellung des Buches auf der Buchmess… | |
Mit Rot-Schwarz bricht keine bleierne Zeit an, zumindest in Sachen | |
Integration gibt es Hoffnung: So lautet die Botschaft, die enttäuschte | |
Wähler dem neuen Buch von Klaus Wowereit entnehmen können. Zentrale These | |
des [1][160-Seiten-Essays mit dem Titel "Mut zur Integration"], den der | |
Regierende Bürgermeister am Freitag auf der Frankfurter Buchmesse | |
vorstellte: Integration ist vor allem eine soziale Aufgabe. Statt bis in | |
alle Ewigkeit zwischen "Migranten" und "Biodeutschen" zu unterscheiden, | |
müsse man alles daran setzen, alle sozial benachteiligte Menschen in die | |
Gesellschaft zu integrieren - eine ursozialdemokratische Aufgabe, sagt das | |
Arbeiterkind mit Verweis auf seinen eigenen "Integrationserfolg". | |
Mit diesem Ansatz setzt Wowereit nicht nur einen Kontrapunkt zu den | |
rassistischen Thesen seines ehemaligen Finanzsenators Thilo Sarrazin, den | |
er als "notorischen Polarisierer ohne Lösungswillen" und "wahren | |
Integrationsbremser" bezeichnet. Der SPD-Bundesvizevorsitzende bezieht mit | |
seinem Integrationsbegriff zudem eine Position, die in seiner Partei | |
durchaus Originalitätswert hat und unter den Genossen für Debatten sorgen | |
dürfte. So erklärte der Neuköllner Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky | |
gegenüber der taz, das sei eine "These, um der Diskussion über | |
kulturgeprägtes Integrationsverhalten auszuweichen". Der SPD-Abgeordnete | |
Raed Saleh lobte dagegen Wowereits Begriff als "Metropolen-Integration", | |
der der sozialen Realität entspreche. | |
Auch die laufenden Koalitionsverhandlungen mit der CDU könnten spannend | |
werden, wenn Wowereit ernst macht mit dem, was er schreibt: denn | |
Forderungen wie die doppelte Staatsbürgerschaft oder die Abschaffung der | |
Optionslösung - nach der "Migrantenkinder" sich mit 23 Jahren für eine | |
Staatsangehörigkeit entscheiden müssen - sind mögliche Themen im Bundesrat, | |
bislang aber mit den Konservativen nicht zu haben. | |
Grundsätzlich ist das Büchlein mit dem Untertitel "Für ein gemeinsames | |
Miteinander" aber kein Hinderungsgrund für ein Bündnis mit den | |
Konservativen. Zwar geht Wowereit mit der fehlenden Integrationspolitik von | |
CDU-Bundesregierungen vergangener Jahrzehnte hart ins Gericht. Auch | |
verurteilt er "zahllose Konservative", die bis heute nicht wahrhaben | |
wollten, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist, in dem | |
Nicht-Biodeutsche und Islam einfach dazugehören: "Eine | |
Verweigerungshaltung, die dem Zusammenhalt in unserem Land und unserem | |
weltweiten Ansehen oft geschadet hat und schadet", nennt er das. Zugleich | |
spricht er jedoch offen von Versäumnissen und Fehlern der Sozialdemokraten | |
- etwa bei den Hartz-Reformen, deren Schlechterstellung älterer | |
Arbeitsloser auch viele EinwanderInnen der ersten Generation betroffen | |
habe. | |
Wowereits Buch ist aber vor allem deshalb auch für gemäßigte Konservative | |
akzeptabel, weil die Schlussfolgerungen aus seiner Kern-These, so "links" | |
diese ist, lauten: Staat und Gesellschaft müssen zwar allen Teilhabe und | |
Chancen zum sozialen Aufstieg, das heißt Zugang zu Bildung und Arbeit, | |
ermöglichen. Aber die Menschen müssen diese Angebote - etwa Sprachförderung | |
von der Kita an, Ganztagsschulen, Weiterbildung und so weiter - auch | |
annehmen. Die Politik muss sozialen Aufstiegswillen fördern - notfalls aber | |
auch mit sanften Zwangsmitteln einfordern. Beim bekannten "Fördern und | |
Fordern" unterscheiden sich Sozialdemokraten wie Wowereit und Konservative | |
wie der Berliner CDU-Chef Frank Henkel nur in Nuancen. | |
Trotzdem ist Wowereits Grundaussage ein Meilenstein. Schließlich ist es | |
erst ein Jahr her, dass Thilo Sarrazin mit seinem Buch "Deutschland schafft | |
sich ab" in erschreckend weiten Teilen der Gesellschaft - und der SPD - | |
Zustimmung geerntet hat. Wowereit fragt zu Recht: "Wo waren damals die | |
gesellschaftlichen Verantwortungsträger in diesem Land", die sich der | |
Sarrazinschen Stigmatisierung bestimmter Minderheiten in den Weg gestellt | |
hätten? | |
Wowereit stand damals auch nicht in vorderster Anti-Sarrazin-Front. Dafür | |
lässt es seine jetztige Abrechnung nicht an Deutlichkeit fehlen: "Die | |
Absicht hinter einem Konvulut falscher, halbwahrer und bewusst isoliert | |
betrachteter Zahlen ist unschwer zu erkennten. Es geht nicht um Lösungen, | |
sondern um Panikmache." Und: "Wer andere aufgrund ihrer Religion oder DNA | |
zu weniger wertvollen Mitgliedern der Gesellschaft erklärt, der erntet | |
kurzfristig billigen Applaus von den Ängstlichen, säht langfristig aber | |
Konflikte, deren Entschärfung unendlich viel Energie erfordert." | |
Denn eigentlich, so Wowereits optimistisches Fazit von gut 50 Jahren | |
Einwanderungsgeschichte, ist Integration in Deutschland millionenfach | |
gelungen. Diese Erfolge gelte es zu betonen, statt nur auf den Problemen | |
herumzureiten. Diese seien zwar vorhanden, stellt der Regierende klar. | |
Deswegen aber wie die Bundeskanzlerin zu erklären, Multikulti sei | |
gescheitert, sei "Wirklichkeitsverweigerung (...) - die multikulturelle | |
Gesellschaft ist Realität in Deutschland." | |
Und so gelte es zunächst, die Erfolgsgeschichten herauszustellen - als | |
Vorbild und Ermutigung für alle, die es noch nicht geschafft haben. Für sie | |
"verlässliche Aufstiegsmöglichkeiten zu organisieren", müsse das vorrangige | |
Ziel sozialdemokratischer Politik sein. Armut an sich sei das kleinere | |
Problem, sagt Wowereit - und blickt auf seine eigene Kindheit als Sohn | |
einer Alleinerziehenden. "Wir fühlten uns ganz bestimmt nicht prekär, | |
sondern voller Tatendrang." | |
Heute allerdings hätten viele das Gefühl, von vorneherein vom sozialen | |
Aufstieg ausgeschlossen zu sein. Das gelte für "biodeutsche" | |
Langzeitarbeitslose genauso wie für "migrantische" Jugendliche, die wegen | |
ihres Namens keinen Ausbildungsplatz bekommen. Eine solche Exklusion von | |
Menschen, die als "wertlos" und "rechtlos" abgestempelt werden, sei nicht | |
nur zutiefst undemokratisch - sie trage auch dazu bei, dass sich die | |
Ausgeschlossenen von der Mehrheitsgesellschaft abwenden. "Exklusion ist | |
also eine sich selbst erfüllende Prophezeiung mit Eskalationsgarantie", | |
schreibt Wowereit. Die Lösung liege im Gegenteil: der Inklusion und | |
Teilhabe aller. Dafür müsse der Staat Bildung für alle, Arbeit zu | |
existenzsichernden Löhnen und Zukunftsperspektiven bieten. Dass dies ein | |
ursozialdemokratischer Ansatz ist, betont Wowereit wieder und wieder - vor | |
allem in Richtung der eigenen Genossen. Und er erinnert daran, dass es | |
schon in den Anfängen der Sozialdemokratie um Bildung und Integration ging | |
- erst der Arbeiter, dann der Frauen. Wie so etwas heute aussehen kann, | |
müssen die Mühen der Ebene zeigen. Aber wo der Mann Recht hat, hat er | |
Recht. | |
14 Oct 2011 | |
## LINKS | |
[1] http://www.vorwaertsbuchverlag.de/buecher/mut-zur-integration | |
## AUTOREN | |
Susanne Gannott | |
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