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# taz.de -- Afrikanische Fußballer in der Türkei: Flüchtlinge statt Kicker
> Sie wollten in Europa Profikicker werden. Und strandeten in der Türkei.
> Wie Nachwuchsspieler aus Afrika in Istanbul von der großen Karriere als
> Fußballer träumen.
Bild: Kickendes Idol: Von einer Karriere wie Aristide Bancé, der in der Bundes…
ISTANBUL taz | Der Kunstrasen stammt aus prähistorischer Produktion. An
vielen Stellen trägt er nicht einmal mehr sein ursprünglich seltsam fahles
Plastikgrün, sondern nur mehr ein dunkles, tristes Grau. Zum Fußballspielen
taugt er aber noch.
Die Frage an diesem sonnigen Vormittag in Istanbul ist nur: Wie viel ist
das wert? Der türkische Platzwart findet: So viel wie immer. Die Spieler,
ein gutes Dutzend, allesamt aus Afrika, verhandeln: Heute sind sie doch nur
so wenige, da müsse doch ein Rabatt drin sein.
Normalerweise sind ja auch mehr da. Vierzig, fünfzig, bis zu siebzig
Spieler drängeln sich dann auf diesem Platz mit den kleinen Tribünen, deren
Beton leise vor sich hin bröckelt. Sie stammen aus Liberia und Ghana, aus
Nigeria, Guinea, Kamerun und vielen anderen schwarzafrikanischen Ländern.
Dreimal die Woche kommen sie hierher in den Stadtteil Feriköy, in den sich
nie ein Tourist verirrt, um Fußball zu spielen, um in Form zu bleiben. Um
ihren Traum am Leben zu erhalten.
Die meisten der Fußballer hier sind keine Freizeitkicker. Viele von ihnen
haben in ihrer afrikanischen Heimat in der ersten Liga gespielt, waren
Profis, manche sogar Nationalspieler. Einige haben sogar eine Zeit lang in
Europa oder der Türkei professionell gespielt.
## Genug zum Leben
So wie Jean-Pierre. Seinen Nachnamen will er nicht sagen, aber dafür zählt
er genüsslich seine Stationen auf: Zu Hause in Kamerun hat der stämmige
Mann in der U18-Nationalmannschaft gespielt, später in der ersten
ägyptischen Liga, dann kam ein Angebot aus der Türkei. Ein Angebot von
Besiktas, einem der großen drei Klubs in Istanbul.
Ein halbes Jahr trainierte er immerhin mit der zweiten Mannschaft, dann
ging er in den Norden, kickte für Amasya am Schwarzen Meer, dann in Antalya
im Süden, dann in Erdek - immer in der dritten Liga. Jetzt ist mal wieder
sein Visum abgelaufen, sagt er, aber er hat schon einen neuen Vertrag. Er
soll nach Bursa. Dort müssen sie nur noch das Problem mit der
Aufenthaltsgenehmigung klären. So lange hält er sich hier in Form und
trifft nebenbei alte Freunde.
Jean-Pierre ist nicht der einzige, der ein Problem mit der
Aufenthaltsgenehmigung hat. "Hier tauchen ständig Talentspäher auf, die
würden auch Spieler von hier verpflichten", erzählt er. "Aber es scheitert
meist an der Bürokratie." Denn rein rechtlich sind die meisten, die hier
auf dem Kunstrasen unter der Sonne schwitzen, Flüchtlinge.
Sie sind hierher gekommen, weil sie mit Hilfe ihres Talents der Armut zu
Hause entfliehen wollten. Ein Profivertrag bei einem berühmten Klub in
Europa, das war der Traum. Aber zur Not tut es auch der unterklassige
türkische Verein, bei dem man immerhin genug zum Leben verdient.
Nun aber liegt der Traum auf Eis. Talent ist manchmal nicht genug. Nun sind
sie in erster Linie keine Fußballer mehr, sondern Schiffbrüchige.
Gestrandet vor den Mauern, die vor der Festung Europa errichtet wurden. In
den gelobten Fußballländern weiß niemand, dass es sie gibt. In der Türkei
werden sie immerhin geduldet.
## Überleben mit Geld aus der Heimat
Die meisten halten sich mit Gelegenheitsjobs und obskuren Geschäften über
Wasser. Selbst wenn sie eine Aufenthaltsgenehmigung von den türkischen
Behörden bekommen, dann sicher keine Arbeitserlaubnis. Also verkaufen sie
Uhren oder Sonnenbrillen, organisieren Waren aus der Heimat oder spielen
für Landsleute den Fremdenführer. Vielen aber geht es wie Chris: Sie können
nur überleben, weil die Familie zu Hause Geld schickt.
Chris kam vor vier Monaten nach Istanbul. Auch er will seinen vollständigen
Namen nicht nennen. Er ist sechzehn Jahre alt, sagt er, und sieht aus wie
achtzehn. Sein Lieblingsverein ist der britische Verein Manchester United.
Er träumt von "einer Einladung zum Probetraining in Italien, Deutschland
oder Spanien". Eher unrealistisch: In Nigeria hat er in der vierten Liga
gespielt. Zurückzugehen, daran denkt er aber nicht. "Ich werde niemals
aufgeben", sagt er, "ich muss es schaffen", und blickt dabei unsicher aus
seinem runden, viel zu jungen Gesicht.
So geht es den meisten hier. Zurückgehen käme einer Niederlage gleich.
Viele sind hier gelandet, weil ihnen ein vermeintlicher Agent einen
lukrativen Vertrag versprochen hatte. Das erzählen die meisten nicht gerne,
denn für die Provision haben die Familien zu Hause teuer bezahlt in der
Hoffnung, dass es der Sohn, der Bruder oder Enkel im fernen Europa zu Ruhm
und Reichtum bringt.
Bis zu 6.000 Dollar, erzählt Jean-Pierre, "und dann bringen sie dich
hierher, setzen dich in ein Hotelzimmer, das für zwei Tage bezahlt ist, und
verschwinden." Nun würden sich viele, ohne Chance auf einen Job und ohne
Aussichten auf einen lukrativen Vertrag, mit Depressionen herumschlagen.
Jean-Pierre ärgert vor allem, dass nicht nur Türken die Hoffnungen der
Nachwuchskicker ausnutzen, sondern sich "auch afrikanische Brüder" an dem
betrügerischen Handel mit Talenten bereichern.
## "Einfach überleben"
Das zu ändern, hat sich Adaquart Manubah vorgenommen. Der Profifußball hat
ihn einst aus der Armut im bürgerkriegsgeschüttelten Liberia geholt und ihn
schließlich in die Türkei verschlagen. Nun, jenseits der 30 und mit einem
dezenten Bauch ausgestattet, schnürt er zwar immer noch die Fußballschuhe,
um mit den Jüngeren zu trainieren, spielt aber vor allem den Impresario und
Mentor.
Er organisiert die Trainingseinheiten, er hilft den Neuankömmlingen mit
Kontakten und Rat. Und er spart, um Agent zu werden. 500.000 Dollar
bräuchte er für die Lizenz des Weltfußballverbands Fifa. Dann dürfte er das
auf dem schäbigen Kunstrasenplatz in Feriköy zweifellos vorhandene Talent
ganz offiziell weitervermitteln. "Wenn sie überhaupt eine Chance bekommen
könnten", sagt Manubah über einen beträchtlichen Teil der Gestrandeten,
"dann würden sie die auch nutzen."
Bis es so weit ist, helfe er vielen "einfach zu überleben". Erst vor
wenigen Wochen sind zwei von denen, die regelmäßig herkamen, abgeschoben
worden. Das passiert nicht oft, aber es kommt vor. Dann hebt er den Arm,
zeigt aufs Spielfeld: "Guck mal, der hat letzte Saison noch in Frankreich
gespielt." In der ersten Liga, bei St. Etienne. Manubah behauptet,
Verbindungen zu Klubs in ganz Europa zu besitzen. Aber ob er diese
Verbindungen jemals wird nutzen können, ob er jemals die halbe Million
Dollar zusammenkratzen wird, das ist kaum mehr als eine vage Hoffnung.
Das Training ist zu Ende. Einer verteilt Wasserflaschen an die schwitzenden
Spieler, während sich auf der anderen Seite des Platzes die erste
Mannschaft des Feriköy Spor Kulübü warm macht. Die Hausherren spielen in
dem kleinen Stadion in einer hohen Amateurliga. Viel Geld kann man da nicht
verdienen, aber unter lauter türkischen Spielern ist ein schwarzes Gesicht
auszumachen. Ein Kumpel, erzählen Manubahs Leute. Hat früher mit ihnen
gespielt.
Fein säuberlich in zwei Reihen laufen die Spieler des Feriköy SK ihre
Runden, der Trainer gibt Anweisungen, die Dehnübungen sehen professionell
aus. Haben die Afrikaner denn schon einmal gegen den Feriköy SK gespielt?
Ja, öfter schon, antwortet einer. Und wer hat gewonnen? Alle lachen.
Eigentlich immer wir, und das ziemlich deutlich, sagt ein anderer. Alle
lachen. Und einer fügt hinzu: Die haben doch keine Chance gegen uns.
18 Oct 2011
## AUTOREN
Thomas Winkler
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