# taz.de -- Präsidentschaftswahl in Irland: Der Kandidat, der für Wirbel sorgt | |
> Der einstige IRA-Kommandeur Martin McGuinness will Präsident in Irland | |
> werden. Viele Politiker verteufeln ihn. Genau darin liegt seine Chance. | |
Bild: Er macht Wahlkampf mit seiner Verteufelung: Martin McGuinness. | |
DUBLIN taz | Plötzlich steht ein junger Mann vor ihm und fragt, wer seinen | |
Vater ermordet habe. Er wisse es nicht, antwortete Martin McGuinness, aber | |
David Kelly, wie der junge Mann heißt, habe sein volles Mitgefühl. | |
Kellys Vater war Soldat in der irischen Armee. 1983 wurde er beim Versuch, | |
den entführten Geschäftsmann Don Tidey zu befreien, von der | |
Irisch-Republikanischen Armee (IRA) erschossen. McGuinness war früher | |
Kommandant der IRA in Nordirland, heute ist er Vizepräsident des | |
politischen IRA-Flügels Sinn Féin. Bei den Wahlen am Donnerstag will er | |
Präsident der Republik Irland werden. | |
Seine Kandidatur hat den bis dahin recht drögen Wahlkampf kräftig | |
aufgemischt. Eigentlich ist McGuinness stellvertretender Premierminister in | |
der nordirischen Regionalregierung, lässt das Amt jedoch zurzeit ruhen. Die | |
Medien, die ihm wegen seiner entscheidenden Rolle beim nordirischen | |
Friedensprozess staatsmännisches Geschick bescheinigten, konfrontieren ihn | |
fortlaufend mit seiner Vergangenheit. | |
## Er reagiert ruhig auf aggressive Fragen | |
Damit musste McGuinness rechnen, und er reagiert ruhig auf die Fragen, die | |
manchmal recht aggressiv sind. Er weist darauf hin, dass die IRA den Krieg | |
nicht angezettelt habe, und sich zu wehren sei kein Verbrechen. Die IRA sei | |
nicht die einzige beteiligte Organisation gewesen. Jedes Opfer sei | |
beklagenswert, aber Opfer habe es auf allen Seiten gegeben, betont er. | |
Nur einmal verliert er die Contenance. Bei einer Talkshow mit allen sieben | |
Kandidaten, von denen fast täglich eine ausgestrahlt wird, fragt die | |
Moderatorin Miriam O'Callaghan reihum die anderen sechs Kandidaten, ob sie | |
McGuinness als Präsidenten geeignet finden. Es ist wie ein Tribunal, und | |
McGuinness wartet nach der Show vor O'Callaghans Garderobe, um ihr die | |
Meinung zu sagen. | |
Der Rest des Abends verläuft für ihn angenehmer. Im Mansion House, der | |
offiziellen Residenz des Dubliner Bürgermeisters, warten prominente | |
Unterstützer seiner Wahlkampagne: Schriftsteller und | |
Gewerkschaftsfunktionäre, Sportler und Künstler, die Schauspielerinnen | |
Anjelica Houston, Roma Downey und Fionnula Flanagan sowie Colm Meaney, der | |
den Chief O'Brien in der Serie "Raumschiff Enterprise" spielt. "Diese | |
beschämende Medienkampagne ist rachsüchtig, rückwärts gerichtet und | |
engstirnig. Sie wird nicht funktionieren", sagt Meaney. | |
## Stolzes IRA-Mitglied | |
James Martin Pacelli McGuinness, wie er mit vollem Namen heißt, wurde 1950 | |
in der zweitgrößten nordirischen Stadt Derry geboren. Mit 19 trat er in die | |
IRA ein, machte schnell Karriere und stieg zum stellvertretenden | |
Kommandanten auf. Als die IRA 1972 einen Waffenstillstand mit der | |
britischen Regierung aushandelte, gehörte McGuinness zur IRA-Delegation, | |
die zu den Gesprächen nach London flog. | |
Der Waffenstillstand war nicht von langer Dauer. Ein Jahr später wurde | |
McGuinness in der Republik Irland mit 113 Kilogramm Sprengstoff und 5.000 | |
Schuss Munition im Auto verhaftet. Vor Gericht erklärte er, dass er "sehr, | |
sehr stolz" sei, Mitglied der IRA zu sein. Er musste sechs Monate absitzen. | |
Seine Mitgefangenen sagen, er sei sehr religiös, er trage stets die | |
katholische Skapuliermedaille und gehöre den "Pioneers" an, einer | |
katholischen Abstinenzlerbewegung. | |
Nach der Entlassung hat er nach eigenen Angaben die IRA verlassen, aber das | |
glauben ihm nicht mal die eigenen Anhänger. Der Journalist Ed Moloney, ein | |
guter Kenner des Nordirland-Konflikts und seiner Protagonisten, hat andere | |
Informationen. Ihm zufolge wurde McGuinness 1977 IRA-Kommandant in | |
Nordirland, während Gerry Adams, heute Präsident von Sinn Féin, Stabschef | |
wurde. Als der ein Jahr später interniert wurde, übernahm McGuinness den | |
Posten. | |
Bei der militanten Basis stieß das zunächst auf Ablehnung. Man traute | |
McGuinness, der erst acht Jahre bei der Organisation war, nicht viel zu. | |
Ein Jahr später war das Misstrauen verflogen: Die IRA sprengte am Strand | |
von Sligo in der Republik Irland Lord Louis Mountbatten, Mitglied der | |
englischen Königsfamilie, in die Luft. Wenige Stunden später starben 18 | |
britische Fallschirmjäger bei einem IRA-Bombenanschlag im nordirischen | |
Warrenpoint. McGuinness' Ruf als Militärstratege war gefestigt. | |
## Waffen von Gaddafi | |
Als er 1982 in das nordirische Regionalparlament gewählt wurde, gab er den | |
Posten als Stabschef auf, wurde laut Moloney aber Vorsitzender des | |
IRA-Armeerats. Als der libysche Diktator Gaddafi 1985 ganze Schiffsladungen | |
mit Waffen und Sprengstoff schickte, plante McGuinness eine Großoffensive. | |
Bei der IRA-Basis war er seitdem über jeden Zweifel erhaben. | |
Das war die Voraussetzung für den Friedensprozess. Adams und McGuinness | |
agierten als Doppelspitze. Während Adams der Basis seine Zugeständnisse an | |
die britische Regierung verkaufen musste, übernahm McGuinness die Aufgabe, | |
die militanten Zweifler zu beruhigen. "Unsere Haltung ist eindeutig, und | |
sie wird sich niemals, niemals, niemals ändern", sagte er 1986 auf dem | |
Parteitag von Sinn Féin. "Der Krieg gegen die britische Herrschaft muss | |
fortgesetzt werden, bis die Freiheit erreicht ist." | |
Doch da verhandelte Sinn Féin längst. Nach mehreren Rückschlägen einigte | |
man sich 2007 auf eine Mehrparteienregierung für Nordirland. Der | |
reaktionäre Presbyterianerpfarrer Ian Paisley wurde Premierminister, | |
McGuinness sein Stellvertreter. Es war kein Jahr her, dass Paisley zum | |
ersten Mal direkt mit einem Sinn-Féin-Mitglied gesprochen hatte. Die | |
Verhandlungen mussten bis dahin durch Mittelsmänner geführt werden, die wie | |
Laufburschen zwischen den Büros hin und her eilten. | |
Nichts symbolisierte die veränderte Atmosphäre in Nordirland mehr als die | |
Fotos von Paisley und McGuinness, wie sie bei der Einweihung der Filiale | |
eines schwedischen Möbelhauses in Belfast kichernd auf einem Sofa saßen | |
oder bei der Eröffnung eines Einkaufszentrums miteinander scherzten. Man | |
nannte sie die "Kicherbrüder". Sollte McGuinness, der seit 2001 auch | |
Abgeordneter im Londoner Unterhaus ist, irischer Präsident werden, werde er | |
gegebenenfalls auch die Hand der englischen Königin schütteln, verspricht | |
er - das ist etwas, was Sinn-Féin-Mitglieder bisher tunlichst vermieden | |
haben. | |
Das Präsidentenamt ist in Irland ein Repräsentationsjob, jede Rede und | |
jeder Staatsbesuch muss von der Regierung abgesegnet werden. Bis 1990 war | |
es denn auch ein Altersruhesitz für abgehalfterte Politiker, die sich in | |
der Öffentlichkeit nur selten blicken ließen. Erst die linke Feministin | |
Mary Robinson reizte den Job bis an die Grenzen der Möglichkeiten aus: Sie | |
kümmerte sich um Randgruppen in Irland, bereiste die Dritte Welt und setzte | |
sich bei jeder Gelegenheit für Menschenrechte ein. Sie war das beliebteste | |
Staatsoberhaupt der Welt: 90 Prozent der Bevölkerung waren mit ihrer | |
Präsidentin hochzufrieden. Sie hat die Messlatte sehr hoch gehängt. | |
## Außenseiterchance | |
Dennoch wollen diesmal Hinz und Kunz Präsident werden: Fernsehmoderatoren | |
und Sportreporter und Leute, von denen man noch nie etwas gehört hat. Da | |
die Kandidaten aber von mindestens 20 der 226 Parlamentarier oder vier der | |
34 Bezirksverwaltungen nominiert werden müssen, schrumpfte das Feld zum | |
Schluss auf sieben Kandidaten. | |
Neben McGuinness sind das Michael D. Higgins, der liberale Dichter, frühere | |
Kulturminister und Präsident der Labour Party; Seán Gallagher, ein | |
Unternehmer, der durch seine Fernsehauftritte als Juror bei der Vorstellung | |
neuer Geschäftsideen bekannt geworden ist; Mary Davis, die Direktorin von | |
Special Olympics Europa, für die spricht, dass sie denselben Vornamen wie | |
ihre beiden Vorgängerinnen trägt; Rosemary Scallon, die katholische | |
Fundamentalistin, die unter ihrem Künstlernamen Dana den | |
Eurovision-Schlagerwettbewerb gewann, deren Schwester aber den gemeinsamen | |
Bruder und Wahlkampfmanager von Scanlon beschuldigt, ihre Tochter über | |
einen Zeitraum von zwölf Jahren vergewaltigt zu haben; Gay Mitchell, der | |
blasse Kandidat der Regierungspartei Fine Gael; und David Norris, der | |
schwule Senator, der lange Zeit Favorit war, bis ein Brief von ihm | |
veröffentlicht wurde, in dem er sich bei der israelischen Regierung für | |
einen früheren Partner einsetzte, der wegen Pädophilie angeklagt war. | |
McGuinness' Chance besteht darin, dass viele Iren angesichts der ständigen | |
Haushaltskürzungen, der steigenden Arbeitslosigkeit und der geringen | |
Aussichten auf Besserung auf jemanden setzen, der von den anderen Parteien | |
und den Medien verteufelt wird. McGuinness hat seine Wahlkampftaktik darauf | |
ausgerichtet. Er will bei einem Wahlsieg unter anderem das ihm zustehende | |
Gehalt, das weit höher als das des US-Präsidenten ist, nicht annehmen, | |
sondern sich mit dem durchschnittlichen Einkommen eines Arbeiters begnügen. | |
Sinn Féin ist die einzige Partei, die in beiden Teilen Irlands bei Wahlen | |
antritt, sie setzt sich für die Vereinigung beider Teile ein. Obwohl die | |
Republik Irland den Anspruch auf Nordirland im Zuge des Friedensprozesses | |
aus der Verfassung streichen ließ, hat jeder Nordire das Recht auf einen | |
irischen Pass. Wählen darf McGuinness heute aber dennoch nicht, weil er | |
seinen Wohnsitz in Nordirland hat. | |
27 Oct 2011 | |
## AUTOREN | |
Ralf Sotscheck | |
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