| # taz.de -- Sechs Menschen - eine Mission: Big Brother zum Mars | |
| > Wie halten es sechs Menschen 520 Tage lang in einen luftdichten Raum | |
| > miteinander aus? In Moskau haben Raumfahrtagenturen das in einem | |
| > Experiment getestet. | |
| Bild: Das Marsianische Experiment: Sechs Isolationspioniere im Vereinsheim. | |
| Die Reise zum Mars beginnt in einer Fabrikhalle in Moskau. Darin hat die | |
| russische Weltraumagentur Roskosmos auf drei Etagen kleine Büros in die | |
| Seitenwände gebaut, von denen aus Forscher via Videoüberwachung die | |
| Vorgänge in einem riesigen rotbraunen Metallzylinder beobachten. | |
| Dieser Zylinder im Zentrum der Halle soll das Raumschiff sein. Darin, in | |
| einer Art fensterlosem Vereinsheim, leben die Astronauten. In der | |
| holzvertäfelten Stube spielen sie Playstation. Die Crew simuliert eine | |
| Marsmission. | |
| Dieses Experiment namens Mars500 startete Roskosmos mit der europäischen | |
| Esa im Jahr 2007. Drei Russen, ein Franzose, ein Italiener und ein Chinese | |
| sind seit Juni 2010 für 520 Tage in einer Art Raumkapsel eingeschlossen. | |
| 250 Tage hin, 30 Tage zur Erforschung des Planeten, 240 Tage zurück. | |
| Am Freitag werden sie die Trockenraumfahrtübung beenden. Die Ergebnisse | |
| sollen helfen, wenn tatsächlich einmal Menschen zum Mars fliegen. | |
| US-Präsident Barack Obama etwa wünscht sich, dass die Nasa den Roten | |
| Planeten schon im Jahr 2035 umrundet. | |
| Bevor Raumfahrtbehörden irgendwann eine Schwerlastrakete mit ausreichend | |
| Sprit und lebenserhaltenden Systemen ins All schießen, mussten die sechs | |
| Quasi-Astronauten des Mars500-Projekts mehr als hundert Experimente über | |
| sich ergehen lassen. Eine Langzeitstudie über anderthalb Jahre. | |
| Die Forscher untersuchen die Knochenstruktur und die körperliche Fitness | |
| bei eingeschränkter Bewegung oder die Veränderung des Tagesrhythmus - ohne | |
| Sonnenlicht. | |
| Die Reise zu anderen Planeten hängt nicht nur von der Raketentechnik ab. | |
| Das haben die Fachleute spätestens während einer Raumfahrtsimulation vor | |
| elf Jahren gelernt. Auf der Neujahrsfeier begannen sich zwei Kollegen in | |
| ihrer Raumkapsel zu prügeln, eine Kanadierin fühlte sich vom Kommandanten | |
| sexuell belästigt, ein Teil des Teams brach das Experiment ab. Inzwischen | |
| wissen die Behörden, dass sich eine Gemeinschaft nicht im Labor | |
| zusammenbrauen lässt. Die Marsmission ist Kopfsache. | |
| "Das Marsprojekt ist auch der Versuch, den Menschen besser zu verstehen, | |
| seine Gesundheit, seine Rolle in der Umwelt", erklärt Peter Gräf. Der | |
| Projektleiter für den deutschen Part der Mission hat die Experimente in | |
| Moskau koordiniert. Die Stoffwechsel- und Stresstests, die | |
| Trainingsprogramme, simulierte Komplikationen wie Funkunterbrechungen oder | |
| Stromausfälle. Obwohl die meisten Ergebnisse der Mars500-Studie noch | |
| ausgewertet werden, verrät Gräf schon: "Diese Datensätze werden Jahrzehnte | |
| für Furore sorgen." | |
| Am Freitag werden die Isolationspioniere in Moskau landen, hundert Meter | |
| von einer U-Bahn-Station. Die Projektleiter sagen, die Männer seien | |
| erschöpft, aber guter Dinge. | |
| "Verwirrt werden sie sein", sagt Oliver Knickel, der selbst schon 105 Tage | |
| in dem luftdichten Vereinsheim verbracht hat - für die Vorläuferstudie von | |
| Mars500. "Die Isolation macht das alles unwirklich. Irgendwann fragt man | |
| sich, wie die Welt außerhalb der Kapsel überhaupt ist." Sechs Leute, 24 | |
| Stunden, 520 Tage. "Die wollen es sich so angenehm wie möglich machen", | |
| sagt Knickel. Vor allem seine russischen Kollegen hätten in ihrer | |
| Kreativität keine Grenzen gekannt. "Wie das A-Team, das aus einer | |
| Kloschüssel ein Atom-Uboot baut." | |
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| ## Grinsekürbisse und Filzfledermäuse | |
| Zu Halloween haben die aktuellen Insassen Grinsekürbisse gemalt und | |
| Filzfledermäuse an die Schranktüren geklebt. An Weihnachten bastelten die | |
| Russen einen Baum, einen Kamin, eine Krippe. Die Männer bereiteten ein | |
| Festtagsmenü zu. Am wichtigsten für die Stimmung schließlich: das Essen. | |
| Jens Titze, Arzt an der Uni Erlangen, ein pflichtbewusster Perfektionist, | |
| stimmte die fünf Tagesmahlzeiten ab und untersuchte während der Simulation | |
| die Urinproben seiner Probanden. Titze folgte den Empfehlungen der | |
| Weltgesundheitsbehörde, halbierte die tägliche Salzration in den Gerichten | |
| und untersuchte den Zusammenhang von Kochsalzzufuhr, Natriumstoffwechsel | |
| und Blutdruck. | |
| Seine Forschungsergebnisse stützen, was Vertreter der Lebensmittelindustrie | |
| immer noch bestreiten: "Bei Menschen sinkt der Blutdruck deutlich, wenn sie | |
| weniger Salz konsumieren. Endlich wurde belegt, dass eine | |
| kochsalzreduzierte Ernährung langfristig Herz- und Gefäßerkrankungen | |
| vorbeugen kann." Allerdings: Die Stichprobengröße ist mit sechs Menschen | |
| denkbar gering. | |
| Zudem hat der Molekularmediziner zyklisch schwankende Steroidhormone in den | |
| Urinproben entdeckt. Titze nennt das Phänomen die "männliche Regel". Ein | |
| Novum. Ob deshalb die Stimmung der Männer schwankt oder sie sich anders | |
| ernähren, muss noch erforscht werden. | |
| Und wann geht es wirklich zum Mars? "Es wird keinen Wettlauf, sondern ein | |
| Miteinander geben", vermutet Peter Gräf vom Deutschen Zentrum für Luft- und | |
| Raumfahrt. Ein Miteinander vieler Nationen. Ähnlich, wie es die sechs | |
| Marsianer aus dem holzvertäfelten Vereinsheim vorgemacht haben. | |
| 28 Oct 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Philipp Brandstädter | |
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