# taz.de -- Eine Nacht bei Occupy in Kiel: Diskutieren statt schlafen | |
> Die Zahl der Zelte zwischen Banken und Rathaus wächst. Bei den | |
> nächtlichen Diskussionen an der Feuertonne kreuzen auch | |
> Verbindungsstudenten auf, doch die Toleranz der Occupy-Bewegung hat | |
> Grenzen: Drogen sind in Kiel nicht zugelassen. | |
Bild: Der protzige Turm des Kieler Rathauses wird nur bis 22 Uhr angestrahlt, d… | |
KIEL taz | "Was macht ihr hier und habt ihr Tabak", fragt ein junger Mann | |
mit Kunstblut im Gesicht, es ist kurz nach Mitternacht, und bald ist | |
Halloween. "Gerade sprechen wir über Rettungsschirme", antwortet eine Frau | |
und wirft Holz in die prasselnde Feuertonne. Rundherum stehen etwa 20 | |
Menschen, der junge Mann sagt, dass ihn das auch beschäftigt. Er braucht | |
zehn Minuten, um seine Kippe zu drehen. Daneben tanzt ein Lichtkegel | |
suchend durch ein gelbes Zelt, ein Auto mit lauter Elektromusik fährt | |
vorbei. | |
Vor einem Transparent an einem der 16 Zelte im "Bermudadreieck" zwischen | |
Sparkasse, Deutscher Bank und HSH Nordbank stehen ein Vampir und eine | |
Wasserleiche. Martin, der seit acht Tagen hier zeltet, drückt ihnen einen | |
Flyer in die Hand. "Occupy Kiel Manifest", lesen sie. "Wir sind die 99 % | |
und wir werden nicht länger schweigen." Es ist eine Einladung, sich gegen | |
die "negativen Auswirkungen unseres Wirtschafts- und Finanzsystems" und für | |
"unsere Zukunft" sowie die "Zukunft unserer Erde" zu engagieren. | |
"Je länger wir durchhalten", sagt Camper Martin, "desto mehr Menschen | |
erreichen wir." Nach einer Kundgebung am Samstag vor einer Woche habe er | |
mit drei Leuten hier am Ufer des Sees, gegenüber vom Rathaus, die ersten | |
Zelte aufgebaut. Vier Tage später, sagt der Bio- und Informatik-Student, | |
seien sie immer noch nur zu viert gewesen. | |
Doch nach einer Aktion am Mittwoch im nahen Szenetreff Pumpe sei das Camp | |
"explodiert". Der Effekt von Demos verpuffe sehr schnell, während das Camp | |
täglich mehr Menschen anziehe: "Wenn wir allen das Gefühl geben, etwas | |
ändern zu können, dann können wir wirklich etwas bewegen." | |
Auf einer gespendeten Couch neben Martin sitzt Enno, der extra aus Husum | |
gekommen ist: "Je mehr Menschen sich mit Wirtschaft auseinander setzen, | |
desto fundierter werden die Diskussionen hier." Dann könnten auch | |
konkretere Forderungen erarbeitet werden. Daneben nickt ein Student, der | |
erzählt, dass er bei einigen Arbeitskollegen als "Spinner" gelte, weil er | |
öfters im Protestcamp sei. | |
Er pfeift eine Melodie der Beatles und zieht einen Fünf Euro-Schein aus der | |
Tasche, mit einem Kuli schreibt er darauf: "Cant buy me love…" Grinsend | |
hebt er einen gefalteten Zehn Euro-Schein vom Boden auf, eine weiße | |
Rückseite wird sichtbar. "Da bückt sich in der Fußgängerzone jeder nach und | |
liest eure Botschaft", erklärt er die Aktion. | |
Beschlüsse fassen die Camper in einem Doppel-Pavillon. Fast 20 Menschen | |
waren heute Abend in der "Asamblea", wie sich das Plenum nach dem Vorbild | |
der spanischen Demokratiebewegung nennt. Man diskutierte, wie sich aus | |
Yoghurt-Bechern Rasseln basteln lassen und ob Ramba Zamba-machen mehr | |
bringt oder schadet. | |
"Wir sind ein bunt gewürfelter Haufen, Studenten und Arbeitslose kommen | |
hier zusammen", sagt Camper Josch, dessen Hündin sich unterm Schlafsack im | |
Zelt verkriecht. "No drugs", steht auf einem Schild daneben. "Wir besaufen | |
uns hier auch nicht", sagt Josch, das würde die Unterstützung untergraben. | |
Im Unterschied zum Frankfurter Occupy-Camp ist das Camp in Kiel nicht offen | |
für Junkies. Das habe das Plenum beschlossen, berichtet Josch, der im | |
Umland von Kiel eine Schlosserlehre macht. | |
Josch erzählt von älteren Leuten, die täglich vorbeikämen und Feuerholz, | |
Kuchen oder Decken bringen würden. Auch die Doppel-Pavillons, in denen sich | |
das Plenum trifft, sind gespendet worden. Die Spenderin hat ihn noch vor | |
Ort mit dem Schriftzug "99 %" besprayt. | |
Wie in den anderen Occupy-Camps wollen auch die Kieler keine Parteien oder | |
Organisationen im Camp haben. Um drei Uhr nachts, in den Zelten schläft | |
noch niemand, eine Gitarre macht die Runde, sitzt ein junger Mann im Kreis, | |
der sich als Mitglied einer schlagenden Verbindung geoutet hat. "Keine | |
rechte Soße", sagt ein Alt-68er mit gelber Windjacke. Doch die Diskussion | |
bleibt sachlich. | |
Auch drei Aktivisten, die dem umstrittenen "The Zeitgeist Movement" nahe | |
stehen, sitzen auf den Plastikstühlen. Auf der Homepage der Bewegung heißt | |
es: "Wissenschaft und Technik sind aktive Göttlichkeit und eine genauere | |
Annäherung an die Art, wie die Welt wirklich funktioniert." | |
Sie seien keine Sekte, verteidigen sich die drei gegen die Kritik auch von | |
Seiten der taz. Die Bewegung arbeite auf das Ideal einer Gesellschaft hin, | |
in der Kooperation zentral sei, "und nicht wie heute die Konkurrenz". | |
Kurz vor fünf schauen einige verträumt aufs Wasser, andere diskutieren | |
weiter. Lena ist seit einigen Nächten hier und geht morgens in die Uni. Sie | |
hofft, dass Occupy sich noch lange an dem kleinen See gegenüber vom Rathaus | |
halten kann. | |
Einige Mädels kommen bibbernd von einer Party zurück und wärmen sich an der | |
Feuertonne. Als ihr Taxi kommt, sagen sie: "Viel Erfolg und erfriert uns | |
nicht." Die Camper haben schon darüber diskutiert, was sie machen sollen, | |
wenn es kälter wird. Am besten wären vielleicht Zelte aus Militär-Outlets. | |
Doch das würde im Plenum nicht durchkommen, sagt einer der Camper. | |
Schließlich seien sie Pazifisten. | |
31 Oct 2011 | |
## AUTOREN | |
Alexander Kohn | |
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