# taz.de -- Diskriminierung bei künstlicher Befruchtung: Vorsicht, Samen für … | |
> Nur wenige Ärzte wollen lesbischen Paaren bei einer künstlichen | |
> Befruchtung helfen. Und nicht nur das: Es kostet Lesben auch noch doppelt | |
> so viel wie verheiratete Heteropaare. | |
Bild: Eine Portion Lebensglück: Für eine Mutter viel einfacher zu haben, als … | |
"Wenn das Kind dann erst mal da ist, ist alles egal", sagt Anna und meint | |
damit die unzähligen bürokratischen und finanziellen Hürden auf dem Weg zum | |
kleinen Familienglück. Denn Anna und ihre Lebenspartnerin Barbara* mussten | |
in den letzten drei Jahren schmerzhaft erleben, wie sehr homosexuelle Paare | |
in Deutschland bis heute diskriminiert werden, wenn sie Kinder haben | |
wollen. | |
Die beiden Dortmunderinnen haben sich für die künstliche Befruchtung mit | |
ärztlicher Hilfe entschieden. So haben sie zuvor auch Martin* bekommen. | |
5.000 Euro haben sie jeweils bezahlt, um von einer Essener Arztpraxis einen | |
geeigneten Samenspender vermittelt zu bekommen. Und das, obwohl beide Samen | |
von ein und demselben Mann bekommen haben. Heterosexuelle Ehepaare zahlen | |
in derselben Praxis 2.500 Euro, nicht verheiratete Heteropaare zwischen | |
2.500 und 5.000 Euro. | |
"Da sehr wenige Spender ihre Samen für homosexuelle Paare bereitstellen, | |
ist die Auswahl eines geeigneten Spenders viel aufwändiger", begründet das | |
eine Mitarbeiterin der Praxis, die namentlich nicht genannt werden will. | |
Dabei zeigt eine Studie der Familientherapeutin Petra Thorn aus dem Jahr | |
2009: 68 Prozent der befragten Spender würden ihren Samen auch an | |
gleichgeschlechtliche Paare geben. | |
Die Umfrage umfasste nach Thorns Angaben etwa ein Drittel aller aktiven | |
Samenspender in Deutschland. Elke Jansen vom Lesben- und Schwulenverband | |
Deutschland sagt: "Es ist schade, dass homosexuelle Paare bei der | |
Befruchtung trotzdem noch so stark benachteiligt werden." Der eigentliche | |
Grund sei nicht die aufwendige Suche, sondern die Monopolstellung der | |
wenigen Arztpraxen, die in Deutschland Samenspenden an lesbische Paare | |
vermitteln. | |
## Stabile Beziehung zu den Eltern | |
Grund dafür, dass die meisten Kinderzentren in den letzten Jahren lesbische | |
Paare abweisen, ist eine Richtlinie der Bundesärztekammer (BÄK) aus dem | |
Jahr 2006. Darin steht: "Ziel ist es, dem gezeugten Kind eine stabile | |
Beziehung zu beiden Elternteilen zu sichern." Aus diesem Grund sei eine | |
künstliche Befruchtung "zurzeit bei Frauen ausgeschlossen, die in keiner | |
Partnerschaft oder in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft leben". | |
Vierzehn der 16 Landesärztekammern (LÄK) haben diese Richtlinie der BÄK | |
übernommen, damit werden sie im betreffenden Bundesland zu Berufsrecht. | |
Wenn Ärzte dagegen verstoßen, können sie ihre Zulassung verlieren. So | |
ordnen die Ärztekammern also die eingetragenen Lebenspartnerschaften | |
unehelichen Beziehungen unter und unterschlagen dabei, dass homosexuelle | |
Paare seit 2005 das Recht auf Stiefkindadoption haben. | |
Auf Anfrage erklärt die BÄK schriftlich: "Es bestehen in diesem | |
Zusammenhang noch viele offene Fragen, etwa nach der Bedeutung von Mutter | |
und Vater für die Kindesentwicklung, nach familienrechtlichen Aspekten zum | |
Unterhalts- und Erbschaftsrecht sowie Fragen zum ärztlichen Haftungsrecht." | |
Wenn das Sorgerecht nicht von vornherein eindeutig geregelt sei, stelle | |
dies ein "Kernproblem für die kindliche Entwicklung dar" und werfe ethische | |
und moralische Bedenken auf. | |
Beim zweijährigen Martin ist von solchen "Kernproblemen" nichts zu spüren. | |
Die Lieblingsbeschäftigung des kleinen Lockenkopfes ist es, jegliche | |
Gegenstände in Reichweite zu schnappen und neue Verwendungszwecke dafür zu | |
erfinden. "Wir sind wie jede andere Familie auch", sagt Anna. "Martin war | |
von Beginn an unser gemeinsames Kind, der einzige Unterschied zu | |
heterosexuellen Paaren ist vielleicht, dass nachts jede von uns mal trösten | |
muss und nicht nur die Frau, wie bei vielen Heteropaaren im Freundeskreis." | |
## Verbot unverbindlich | |
Weil auch der LSVD die Argumente der Ärztekammer für vorgeschoben hält, | |
will er nun eine Lücke in der Berufsordnung nutzen, die jahrelang niemand | |
entdeckt zu haben scheint: Das ausdrückliche Verbot der Ärztekammern steht | |
im unverbindlichen Teil der Richtlinie. | |
Der verbindliche Teil erwähnt die Lebenspartnerinnen hingegen gar nicht. | |
Nach Auslegung des LSVD bedeutet das: Kein Arzt muss Angst vor einem | |
Berufsverbot haben, wenn er lesbischen Frauen ihren Kinderwunsch erfüllt. | |
"Die Ärzte wissen das aber nicht, weil die Bundesärztekammer das nach außen | |
hin immer anders dargestellt hat", sagt Elke Jansen vom LSVD. | |
Rudolf Ratzl, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht beim | |
Deutschen Anwaltverein warnt jedoch davor, berufsrechtliche Konsequenzen | |
per se auszuschließen: "Die Frage ist umstritten, vieles an der Debatte ist | |
weltanschaulich geprägt." Es gebe viele namhafte Juristen, die die | |
Auffassung des LSVD teilten. Tatsächlich habe es noch nie ein Berufsverbot | |
gegen einen Arzt gegeben, der lesbische Frauen behandelt hat, so Ratzl. | |
"Denn diese Behandlungen werden meist nicht an die große Glocke gehängt." | |
Da Spendersamen nach dem deutschen Gewebegesetz jedoch ohnehin nur bei | |
Paaren eingesetzt werden sollen, die aus gesundheitlichen Gründen keine | |
Kinder bekommen können, müsse die Berufsordnung lesbische Paare auch nicht | |
zwingend nennen. Im Streitfall könne nur ein Gericht entscheiden. Bei | |
solchen Auseinandersetzungen will der LSVD die Ärzte mit Rechtsbeistand | |
unterstützen. | |
## Ärztekammer hat traditionelles Familienbild | |
Wulf Dietrich, Vorsitzender des Vereins Demokratischer Ärztinnen und Ärzte, | |
berichtet, dass bei dem betreffenden Ärztetag im Jahr 2006 sehr wohl | |
darüber diskutiert worden sei, inwiefern Lesben in der Richtlinie erwähnt | |
werden sollen. "Die Ärztekammer hat jedoch ein klassisches Familienbild und | |
hielt es deshalb letztendlich nur für nötig, die künstliche Befruchtung für | |
heterosexuelle Paare eindeutig zu regeln", glaubt er. Anfragen, welche | |
konkreten Konsequenzen ein Arzt zu befürchten hat, der gegen ihre | |
Richtlinie handelt, lassen sowohl die BÄK als auch die Landesärztekammern | |
unbeantwortet. | |
Die beabsichtigte Wirkung haben sie ohnehin erzielt. Nach Angaben von Pro | |
Familia und der Friedrich-Ebert-Stiftung ist die Bereitschaft der Ärzte, | |
bei lesbischen Paaren Befruchtungen vorzunehmen, ab 2006 erheblich | |
gesunken. Doch dies hängt nicht nur mit berufsrechtlichen Konsequenzen | |
zusammen, sondern auch mit einer diffusen Angst, die die BÄK mit der | |
Richtlinie in die Welt gesetzt hat. | |
Diese Angst haben Anna und Barbara am eigenen Körper zu spüren bekommen. | |
Vor Beginn der Behandlung musste das Paar eine umfangreiche psychologische | |
Befragung über sich ergehen lassen. Auf der Grundlage solcher Gutachten | |
wägt dann das Ärztegremium ab, ob eine Behandlung stattfindet. | |
"Aber entscheidend ist letztendlich, ob die Praxis den Eindruck hat, dass | |
man solvent ist", sagt Barbara. "Das heißt, die sieben dann übers Geld. Die | |
Bäckereiangestellte und ihre Lebenspartnerin hätten keine Chance auf eine | |
Samenspende." Denn seit die Bundesärztekammer sie 2006 auf die Thematik | |
aufmerksam gemacht hat, haben viele Ärzte Angst, dass sie | |
unterhaltspflichtig werden, wenn der biologischen Mutter etwas zustößt. | |
## Benachteiligung gegenüber Heteropaaren | |
Anders als bei heterosexuellen Paaren, die selbst ohne Ehestatus schon vor | |
der Geburt des Kindes ein doppeltes Sorgerecht einrichten können, muss die | |
Lebenspartnerin erst die Stiefkindadoption beantragen. Solange die | |
Co-Mutter die Adoption nicht zugesprochen bekommt, sieht die BÄK jedoch die | |
Gefahr, dass die Ärzte belangt werden. | |
Hätte die Mutter etwa einen tödlichen Unfall, würde das Jugendamt nach dem | |
Samenspender suchen, um ihn zur Zahlung zu verpflichten. "Wenn wir auch | |
künftig Samenspenden bekommen möchten, können wir die Spender aber nicht | |
preisgeben", sagt eine Mitarbeiterin des Essener Kinderzentrums. Das | |
Ärzteteam bleibe die letzte Instanz, die man belangen könnte, deshalb | |
informiere man sich vorher eingehend über die Damen. Manfred Bruns findet | |
diese Vorsicht übertrieben: "Es ist noch nie vorgekommen, dass ein Arzt von | |
zwei verpartnerten Frauen verklagt wurde, das ist reine Theorie", sagt er. | |
Doch diese Theorie stützt sich auf das reale Problem, dass die | |
Lebenspartnerschaft noch immer nicht per se dieselbe Rechtssicherheit wie | |
die Ehe genießt. Zwar beantragt der Großteil aller Co-Mütter direkt nach | |
der Geburt die Stiefkindadoption. So auch Anna aus Dortmund. Dennoch musste | |
sie über ein Jahr warten, bis das örtliche Jugendamt einen Bericht über die | |
Familiensituation verfasst hatte. Erst dann gestand ihr das Amtsgericht das | |
Sorgerecht für Martin zu. | |
## Keine Unterstützung aus der Politik | |
Wie in Nordrhein-Westfalen sehen die meisten Landesjugendämter ein | |
sogenanntes Pflegejahr für die Frauen vor, die das leibliche Kind ihrer | |
Partnerin adoptieren wollen. "Das ist vielleicht sinnvoll, wenn ältere | |
Kinder adoptiert werden, die vorher andere Bezugspersonen hatten", sagt | |
Anna. | |
Bei jungen Familien, in die die Kinder hineingeboren werden, empfinden die | |
beiden Frauen die Frist dagegen als sinnloses Hindernis. Im Zweifelsfall | |
kann sich das Jugendamt ganz gegen die beantragte Stiefkindadoption | |
aussprechen - wie das Gericht in einem solchen Fall entscheidet, ist | |
unklar. | |
Nach Auffassung des LSVD und einiger Juristen ist es jedoch nicht Aufgabe | |
der Ärztekammern, diese Gesetzeslücke zu regeln. Doch auf politischer Ebene | |
bewegt sich bisher nichts. Einem Gesetzesantrag der Grünen auf die Öffnung | |
der Ehe für homosexuelle Paare hat die schwarz-gelbe Koalition im Sommer | |
eine Absage erteilt. Elke Jansen hofft auf die Bundestagswahlen 2013. | |
Doch jetzt setzt sie erst einmal darauf, dass möglichst viele Ärzte ihre | |
Angst vor berufsrechtlichen Konsequenzen verlieren und lesbische Paare | |
behandeln. "Dann beendet der freie Markt die diskriminierende Preispolitik | |
der Praxen von selbst." | |
* Namen geändert | |
1 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
Karen Grass | |
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