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# taz.de -- Berliner Kiezblogs und Onlinezeitungen: Trüffelschwein im Kiezgewi…
> Semiprofessionelle Stadtteilblogs boomen. Denn sie berichten aus den
> Bezirken - eine Ebene, die in den etablierten Medien oft ausgeblendet
> wird
Bild: Dank Computer können Ereignisse aus dem Kiez blitzschnell an die Nachbar…
Im Grunde vereint Max Büch in sich zwei deutsche Stereotype: den Heimwerker
und den Wutbürger. Bloß interessiert sich der 28-jährige Neuköllner weniger
für Klicklaminat oder unterirdische Bahnhöfe, sondern für die Medien, die
ihm von seiner Lebenswelt erzählen sollen. "Lokaljournalismus kann
unglaublich interessant sein, aber die Umsetzung ist oft einfach schlecht.
Oder die wirklich spannenden Themen finden nirgends statt", sagt Büch. Aus
seiner Unzufriedenheit hat er Konsequenzen gezogen: Die Nachrichten, die er
gern anderswo gelesen hätte, macht er nun einfach selbst.
Seit Ende 2010 betreibt Büch mit einem Team von rund 15 Autoren im Internet
das Informationsportal [1][Neuköllner.net], auf dem die Beteiligten
Neuigkeiten und Wissenswertes über ihren Heimatbezirk veröffentlichen. "Wir
versuchen, den gleichen Qualitätsansprüchen wie die etablierten Medien
gerecht zu werden", sagt Büch. "Nur redet uns auf unserer eigenen Seite
eben niemand rein."
Auch Bettina Klatz machte aus der lokalmedialen Not eine Tugend, als sie
mit ihren [2][Kreuzberg-Nachrichten] im August 2011 online ging. "In Berlin
findet man in den Zeitungen nur wenig zu seinem eigenen Kiez, die Bezirke
sind da einfach unterrepräsentiert", sagt sie. Seit acht Jahren lebt die
gebürtige Nordrhein-Westfälin in Berlin, drei davon in Kreuzberg. "Früher
habe ich in NRW nach dem Abi viel für Lokalzeitungen gearbeitet", erzählt
Klatz. "So eine Vor-Ort-Berichterstattung schwebte mir für Kreuzberg auch
immer vor, hier passiert ja viel mehr als auf dem Dorf. Als ich dann
zuletzt viel über Lokalblogs gelesen habe, sind daraus die
Kreuzberg-Nachrichten entstanden."
Tatsächlich sind die Projekte von Max Büch und Bettina Klatz keine
Einzelfälle: In den letzten Jahren nehmen deutschlandweit immer mehr
Webseiten die Lokalberichterstattung für ihren Kiez, ihren Stadtteil oder
ihr Dorf selbst in die Hand. "Hyperlokal" beziehungsweise "sublokal" lauten
die Schlagwörter für das relativ unerforschte Phänomen, unter dem eine
Vielzahl von Online-Angeboten unterschiedlichster Qualität und Machart
zusammengefasst werden. Gemein ist ihnen allen, dass sie auf kleinere
geografische Räume zielen, als es die etablierten Lokalmedien tun.
In Berlin berichten auf hyperlokaler Ebene vor allem Weblogs von
engagierten journalistischen Laien wie dem [3][Modersohn-Magazin] oder
[4][Der Kiezer Weblog vom Klausenerplatz] in geistiger Nachbarschaft zu
Bürgervereinen über die Straßenzüge, Plätze und Kieze ihrer unmittelbaren
Umgebung. Eine Ebene darüber haben auch einige semiprofessionelle Angebote
wie die [5][Prenzlauer Berg Nachrichten] oder eben [6][Neuköllner.net] die
Lokalberichterstattung aus den Bezirken übernommen. Die Themen liegen vor
der Haustür: Bauarbeiten an der Straßenecke, Kunstausstellungen im
Nachbarhaus, die Jugendarbeit beim Fußballverein um die Ecke, historische
Betrachtungen zum Viertel - alles mit klarem Lokalbezug ist möglich. "Ein
Vollangebot können wir natürlich nicht bieten, aber das kommt vielleicht
mit der Zeit", sagt Büch.
Den Vergleich mit etablierten Medien müssen die Webseiten nicht scheuen,
oft sind die Macher ausgebildete Journalisten: Bettina Klatz absolvierte
ein Volontariat und arbeitet seitdem als Fernseh- und Zeitungsjournalistin,
Max Büch hat gerade sein Kulturjournalismus-Studium abgeschlossen, und auch
Olaf Kampmann, der Gründer der [7][Prenzlberger Stimme], ist seit über 20
Jahren als Autor und Redakteur tätig.
An journalistischen Standards orientieren sich die Betreiber bei der Arbeit
zwar, ihre Artikel sind häufig aber pointierter und subjektiver
geschrieben, von Leidenschaft und persönlichem Interesse geleitet. "Es muss
einem Spaß machen", sagt der 56-jährige Ur-Berliner Kampmann, "sonst kann
man es gleich lassen. In meinem Blog kann ich machen, was ich mir
vorstelle, ich bin nur mir selbst gegenüber verantwortlich." Auch Klatz
betont die Freiräume, die ihr die [8][Kreuzberg-Nachrichten] lassen: "Im
Blog muss ich weniger neutral sein als in der Zeitung, kann tendenziöser
schreiben - schon wegen der Kommentarfunktion, durch die ein Dialog möglich
wird."
Gegenseitiger Austausch und die Möglichkeit zur Partizipation sind neben
publizistischer Selbstverwirklichung und der Schaffung lokaler
Informationsangebote zentrale Ideen der Webseiten von Büch, Klatz und Co.
"Die Bezirke in Berlin sind so groß, dass es Vernetzung braucht, und so
klein, dass man sich doch schnell persönlich über den Weg läuft", sagt
Büch.
Jürgen Schwenzel setzt mit seinem ehrenamtlichen Angebot [9][MoabitOnline]
sogar indirekt die Stadtteilarbeit fort, die er seit den 90ern im Ortsteil
betreibt. "Wir wollten nicht nur informieren, die Leute aus dem Kiez
sollten sich bei uns auch ausdrücken können", sagt der 57-Jährige.
Kommentare und Gastautoren sind ihm wie den anderen Betreibern immer
willkommen. "Das sind aber noch viel weniger, als wir uns wünschen würden."
Die Resonanz auf die noch jungen Webseiten ist im Verhältnis zu den
Einwohnerzahlen der Bezirke gering, wahrgenommen werden sie aber bereits:
Die Kreuzberg-Nachrichten bringen es derzeit auf rund 4.000 Klicks im
Monat, MoabitOnline verzeichnet nach eigenen Angaben sogar 14.000, bei
Neuköllner.net sind es etwa 200 "Unique Visitors", also eindeutige Besucher
einer Webseite, am Tag, Spitzenwerte können auch um ein Vielfaches höher
liegen. "Wir finden sicher noch mehr Leser, wenn wir uns erst mal etabliert
und vernetzt haben und die Kreuzberg-Nachrichten auch bewerben", sagt
Klatz.
Genutzt werden die Angebote laut den Erfahrungen von Kampmann vor allem von
Anwohnern und lokalen Entscheidern: "Man wird vor allem von denen gelesen,
die hier Politik machen, und von denen, die von Themen betroffen sind",
sagt er. "Und natürlich sind wir Trüffelschweine für die Regionalpresse."
Persönliche Erfüllung und Anerkennung können allerdings nicht über die
prekären Arbeitsbedingungen für Lokalblogs hinwegtäuschen: Zwar bleiben die
Kosten für die technische Infrastruktur der Webseiten gering, Geld verdient
aber keiner der Betreiber mit seinem Angebot. Ihren Lebensunterhalt
bestreiten alle anderweitig. Ein werbe- und spendenfinanziertes Angebot ist
für Schwenzel und Kampmann ausgeschlossen, Büch und Klatz wollen irgendwann
in der Zukunft den Punkt erreichen, an dem ihre Webseite sich selbst trägt
oder sogar etwas einbringt. "Ungefähr eineinhalb bis zwei Tage die Woche
bin ich mit Neuköllner.net beschäftigt, das bezahlt mir natürlich keiner",
sagt Büch. Dennoch veröffentlichen alle Angebotsmacher fast täglich neue
Beiträge, manchmal sogar mehrere am Tag.
"Selbstausbeutung ist immer eine Gefahr", sagt Martin Welker, der sich als
Professor für Journalistik am Institut für Kommunikations- und
Medienwissenschaft der Universität Leipzig wissenschaftlich mit dem Thema
lokaler und hyperlokaler Webseiten befasst hat. Insgesamt sieht er aber
trotz fehlender gesicherter Erkenntnisse publizistisches Potenzial für den
Do-it-yourself-Onlinejournalismus: "Die Angebote stellen die Frage nach der
Partizipation am Mediensystem wieder ganz neu."
Die Bedeutung des Phänomens erreicht mittlerweile auch die Zeitungsverlage:
Das Hamburger Abendblatt schickte bereits Anfang 2011 Leserreporter in die
Stadtteile, und der Lokalchef der Berliner Zeitung, Ralph Kotsch, gestand
jüngst den Prenzlauer Berg Nachrichten in einem Interview mit dem
Fachmagazin Journalist zu, aus den Bezirken tiefgehender und umfangreicher
berichten zu können als seine Zeitung. "Sie kümmern sich dort eben nur um
einen Bezirk und haben online unbegrenzt Platz", so Kotsch. "Das können wir
zumindest im Print in der Form einfach nicht leisten."
1 Nov 2011
## LINKS
[1] http://www.neukoellner.net
[2] http://www.kreuzberg-nachrichten.de
[3] http://www.modersohn-magazin.de
[4] http://blog.klausenerplatz-kiez.de
[5] http://www.prenzlauerberg-nachrichten.de
[6] http://www.neukoellner.net
[7] http://www.prenzlberger-stimme.de
[8] http://www.kreuzberg-nachrichten.de
[9] http://www.moabitonline.de
## AUTOREN
Dennis Drögemüller
## TAGS
Lokaljournalismus
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