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# taz.de -- Bremer Uni war doch nicht so links: Das Ende vor dem Anfang
> Vor 40 Jahren nahm die als "rote Kaderschmiede" verschrieene Bremer
> Reform-Uni ihren Betrieb auf. Der kurz zuvor dorthin berufene Soziologe
> Horst Holzer aber durfte nicht einmal seine Antrittsvorlesung halten: Er
> war Marxist.
Bild: Das Alternativ-Image wollte das Uni-Rektorat noch 1975 pflegen - erntete …
BREMEN taz | Horst Holzer betritt gegen 15 Uhr die Bremer Uni. Die
Personalabteilung hatte ihm tags zuvor den Termin mitgeteilt. Er glaubt,
endlich die Ernennungsurkunde abholen zu sollen, als er, es ist der 14.
Juli 1971, im Gang zufällig auf den Gründungsrektor Thomas von der Vring
trifft.
Der aber hat sie "leider nicht", wie er sagt. Warum? "Es ist wieder
hochgekommen", lautet die Antwort. Verständnislos blickt der 35-jährige
Soziologe Holzer auf den zwei Jahre jüngeren Fachkollegen. Was er denn
damit meine? "Ihre Parteimitgliedschaft", sagt von der Vring.
Mitte April hatte Holzer einen Ruf an die Bremer Uni erhalten, auf einen
Lehrstuhl für "Ästhetik und Kommunikation". Die in Gründung befindliche Uni
hatte ihn dem Senat wegen seiner "herausragenden wissenschaftlichen
Qualifikation" und "didaktischen Kompetenz" empfohlen. Holzer wisse die
Prozesse der Massenmedien kritisch zu analysieren und in ihren
gesamtgesellschaftlichen Kontext zu stellen. Durch seinen offen Umgang mit
Studierenden sei er hervorragend geeignet, das "Bremer Modell" und sein
"Projektstudium" weiterzuentwickeln. Und Holzer, gerade erst zum Professor
am Soziologischen Institut der Uni München ernannt, nimmt an. Ihn locken
die Bremer Reform-Ideen.
Schon vor der Ernennung zum Landesbeamten, die für den 1. Juli fest
versprochen war, bekommt Holzer einen Honorarvertrag, um den im Oktober
beginnenden Lehrbetrieb vorzubereiten. Doch dann zerbricht die
sozial-liberale Koalition - an der Uni-Gründung. Deren Ausrichtung
verursacht bundesweit gehörigen konservativen Gegenwind. Auch in der SPD
ist sie umkämpft. Die FDP hofft von ihrem Widerstand fünf Monate später bei
den Landtagswahlen zu profitieren.
In den einsetzenden landespolitischen Wirren wird Holzers Verbeamtung
zurückgestellt. Erst jetzt, so begründet der verbliebene SPD-Senat, habe
man erfahren, dass der Wunschkandidat nicht nur Mitglied der Deutschen
Gesellschaft für Soziologie, der Gewerkschaft für Erziehung und
Wissenschaft und des Bundes demokratischer Wissenschafter sei - sondern
auch der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP).
Seine bisher makellose akademische Laufbahn hatte der am Frankfurter
Institut für Sozialforschung begonnen. Adorno hatte dort entscheidenden
Einfluss auf ihn. Nach dem Diplom geht Holzer nach München. Er wird mit
einer Arbeit über "Illustrierte und Gesellschaft" promoviert. Die Deutsche
Forschungsgemeinschaft fördert seine Habilitation mit dem Titel
"Gescheiterte Aufklärung?"
Sie ist, 1970 vorgelegt, geprägt von den Eindrücken der 68er-Revolte, die
Holzer zum Marxisten machten. Einer der Gutachter ist Hans Maier, den die
CSU im selben Jahr zum Kultusminister - und damit zum Dienstherrn Holzers
macht.
Von dem sei nun ein neues Gutachten angefordert, erfährt Holzer durch von
der Vring im Treppenhaus. "Über Ihr politisches Verhalten." Als Maier den
Bremern versichert, Holzer bewege sich auf dem Boden der freiheitlich
demokratischen Grundordnung, lässt der Senat ausrichten, Holzer könne nun
beruhigt von München in die Hansestadt ziehen.
Doch kaum geschehen, verkündet Bildungssenator Moritz Thape (SPD) in den
Bremer Nachrichten, "der Senat sei nicht bereit, Mitglieder von rechts-
oder linksradikalen Gruppierungen als Beamte nach Bremen zu holen". Das sei
"die Grenze, die wir nicht überschreiten", so der vormalige Redakteur des
Neuen Deutschland. "Das gilt für NPD wie für DKP." Und der Senat habe dabei
sehr wohl bedacht, "dass die DKP nicht verboten ist".
Bereits ein halbes Jahr vor dem Radikalenerlass, der in Angst vor Willy
Brandts neuer Ostpolitik die kommunistische Unterwanderung der
Bundesrepublik verhindern sollte, verhängt Bremen damit sein erstes
Berufsverbot. Es sorgt bundesweit für Irritation, Institutionen, Verbände
und Gewerkschaften protestierten. Rhetorik-Forscher Walter Jens warnte vor
einer Berufungspolitik, die statt auf akademische Kriterien auf
Verfassungsschutzdossiers aufbaut. Ein Wissenschaftler könne nicht danach
ausgesucht werden, "ob er vielleicht, irgendwann, es wird berichtet, man
kann ja nie wissen, verdächtig ist das schon, früher machte man so etwas
nicht - das und das geäußert hat". Und folgert: "Dann doch lieber gar keine
Universität in Bremen."
Holzer klagt. Am Tag der Verhandlung demonstrieren 4.000 Menschen vor dem
Bremer Verwaltungsgericht. Holzer verliert. "Indem das Beamtengesetz sich
nicht darauf beschränkt, die Verletzung der besonderen Verpflichtung des
Beamten disziplinarrechtlich zu ahnden, vielmehr Bewerber vom Beamtenstatus
fernzuhalten sucht", urteilt das Gericht, "kommt das besondere Interesse
des Staates zum Ausdruck, es möglichst überhaupt nicht zu entsprechenden
Verstößen kommen zu lassen". Eine Gesinnungsstrafe.
Für Holzer wird das Urteil zum biographischen Einschnitt. Bis zu seinem Tod
im Jahr 2000 erhält er keine Professur: Nacheinander wird in den
Folgejahren seine Berufung an die Uni Oldenburg, die Pädagogische
Hochschule Berlin und die Uni Marburg verhindert - stets mit Verweis auf
das Bremer Urteil. Eine "gnadenlose Verfolgung" nennt das der Wiener
Kommunikationswissenschaftler Wolfgang R. Langenbucher in einem Nachruf.
Auch Hans Maier wendet sich von Holzer ab: Als die Probezeit von dessen
Münchner Beamtenverhältnis 1974 ausläuft, kündigt ihm der bayrische
Kultusminister. Es kommt erneut zum Prozess. Offiziell zu dessen
Vorbereitung lässt das Ministerium sämtlich Bücher Holzers aus der Münchner
Universitätsbibliothek entfernen - einschließlich Karteikarten.
Auf wundersame Weise kann ein Urteil bis in die 1980er verschleppt werden.
Das Land Bayern legt es im Gegenzug mit der geforderten Rückzahlung aller
Beamtenbezüge seit Verfahrensbeginn auf den finanziellen Ruin Holzers an.
Nur unter einer Bedingung deutet sich ein Kompromiss an: Holzers nie
rückgängig gemachte Berufung in Bremen könnte nachträglich vollzogen
werden, und er in München selbst kündigen.
Eine Initiative Bremer HochschullehrerInnen wendet sich daher an die eigene
Uni-Öffentlichkeit, die mittlerweile erbittert um die richtige Perspektive
des politisch und finanziell angezählten Reformmodells kämpft: "Wir
glauben, dass unsere Bitte um Ihre Unterstützung die Grenzen des Zumutbaren
nicht überschreitet. Das Nein zu Diskriminierung und Stigmatisierung von
Minderheitspositionen - sollte es unzumutbar sein? Die Zumutung uns allen
gegenüber besteht in der Einschränkung von Freiheitsrechten."
Rektor Alexander Wittkowsky beantragt Anfang 1981 die Erlaubnis, das Nötige
für Holzers Einstellung in die Wege zu leiten im Akademischen Senat. Doch
der verweigert sie. Besonders Konjunkturforscher Heinz Schaefer plädiert
dagegen "aus politischen Sympathien eine beliebige Stelle" zu vergeben.
Demokratische und die sozialistischen Hochschullehrer verlassen
protestierend die AS-Sitzung. Mitglieder des Marxistischen Studentenbund
Spartakus sprengen sie. "Der Wind bläst scharf aus der rechten Ecke. Von
dort soll alles anders werden", analysieren sie in ihrer Gazette.
Bereits zehn Jahre nach dem Versuch, mit der Bremer Uni die harten Grenzen
des bürgerlichen Wissenschaftsbetriebs zu überwinden, ist die Revolution
vorüber und der Reform-Eifer erlahmt. Holzer ist dazu verurteilt, sich mit
wechselnden Stellen, eine Gastprofessur in Hamburg, Lehraufträge in Bremen,
Berlin und Klagenfurt über Wasser zu halten.
"Wir haben die pluralistische Inquisition bei den Berufsverboten am Werk
gesehen", schreibt 1988 sein Fachkollege Alexander von Hoffmann. "Wir haben
erlebt, dass unter diesem Druck viele widerrufen haben und, dass die, die
zum Widerruf nicht bereit waren, zuverlässig als erste dem Aufräumen im
akademischen Mittelbau zum Opfer fielen. Horst Holzer ist das schändlichste
Beispiel."
1 Nov 2011
## AUTOREN
Jan Bönkost
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