# taz.de -- Preiskalkulation in der Gastronomie: Faustregeln fürs Fass | |
> Wie entsteht der Preis auf der Speisekarte: Daumenpreise, Faustformel, | |
> was macht die Konkurrenz? Unsere Autorin hat eine Kneipe mitaufgebaut und | |
> nachgefragt. | |
Bild: Das Bier für 3,57 Euro? Der Preis soll gut klingen und die Gäste zum Tr… | |
MÜNCHEN taz | Kurz vor fünf rannte die Bedienung noch zum Nachbarn, | |
erbettelte ein paar Notizblöcke, wir verteilten die letzten Kerzen auf den | |
Tischen. Niemand konnte glauben, dass gleich die Tür aufgehen würde, und | |
hier, wo noch vor wenigen Tagen bloße Baustelle war, Menschen Leberkäse und | |
Bionade bestellen würden. | |
An diesem Freitag Ende August sollte beginnen, was sich meine gute Freundin | |
seit Langem wünscht. | |
Fast anderthalb Jahre hat Sonja Obermeier nach dem passenden Ort gesucht, | |
sie hat geplant, gerechnet, verworfen, neu gesucht, neu gerechnet. Im Mai | |
schließlich war klar: Es geht nach Haidhausen, ins bürgerliche Viertel | |
Münchens. Sonja Obermeier übernahm das Rila, ein bulgarisches Restaurant | |
mit 130 Plätzen. Ihr Wirtshaus sollte Klinglwirt heißen. Wie das Wirtshaus, | |
in dem sie aufgewachsen ist, die Mama hat bedient, die Oma gekocht, Sonja | |
Obermeier saß auf der Eistruhe, lutschte an einem Minimilk und sah den | |
Stammgästen beim Schafkopfspielen zu. | |
Der Name stand fest. Erfahrung gab es genug. Zwischen Eislutschen und | |
Eröffnung hat Sonja Obermeier, 34, in gut 20 Cafés Teller getragen, Bier | |
ausgeschenkt und Terrassen gekehrt. Und Betriebswirtschaft studiert, | |
Fachrichtung Tourismus. | |
Fehlte noch der Businessplan, mit dem Sonja Obermeier die Bank um einen | |
Kredit bitten könnte. Fünfzig Seiten schrieb sie über ihre Idee einer | |
Dorfwirtschaft in der Großstadt, sie kalkulierte, wie viel Personal sie | |
brauchen, wie viel Geld sie für Bier und Wein verlangen würde. | |
"Das waren am Anfang mehr so Daumenpreise", sagt Sonja Obermeier. Erstellt | |
nach üblichen Faustformeln der Gastronomie: Einkaufspreis mal drei - plus | |
19 Prozent Mehrwertsteuer. Strom, Gas und Heizung müssen bezahlt werden, | |
allein für die Kaltmiete blättert Sonja Obermeier monatlich 3.300 Euro hin. | |
Laut Hotel- und Gaststättenverband zahlt der Wirt einer klassischen | |
Gastronomie im Einkauf etwa 25 Prozent des Getränkepreises, der später auf | |
der Karte steht, 35 Prozent sind es bei Speisen. An Spätzle wird also | |
weniger verdient als an Apfelsaft, manche Restaurants machen mit Gerichten | |
gar keinen Gewinn. | |
## Nimmt die Wirtin der Brauerrei die Mindestmenge nicht ab, drohen | |
Strafzahlungen | |
Da Sonja Obermeier - wie in München üblich - den Vertrag mit einer Brauerei | |
abschloss, stand der Einkaufspreis für das Bier schon fest: ein halber | |
Liter Löwenbräu Helles kostet einen Euro - weitaus mehr als im Supermarkt. | |
Als Ausgleich zahlt die Brauerei einen Großteil der Renovierungen. Dafür | |
muss die neue Klinglwirtin der Brauerei wiederum mindestens 180 Hektoliter | |
Bier jährlich abkaufen, sonst drohen Strafzahlungen. Um ihr Soll zu | |
erfüllen, muss Sonja Obermeier pro Tag fünfzig Liter Bier verkaufen. | |
Immerhin: Die Berechnung des Daumenpreises wird dadurch leichter: drei mal | |
eins ergibt drei - plus 19 Prozent ergeben 3,57 Euro. Das Bier für 3,57 | |
Euro? Oder 3,60 Euro? "Das war mir doch zu viel", sagt Sonja Obermeier. Der | |
Preis soll auch gut klingen - und zum Trinken animieren. Nach einer ersten | |
Schätzung sollte das Bier 3,30 Euro kosten. | |
Ende Juni erfuhr Sonja Obermeier, dass sie den Kredit erhält. Also fliesten | |
Handwerker die Küche, schliffen den Boden ab, strichen die Holzverkleidung | |
rot. Die Brauerei installierte die Schankanlage und lieferte die ersten | |
Fässer Bier. | |
Kurz darauf der Weinhändler, ein heißer Sommertag. Wir schwitzten, er | |
schleppte. Kistenweise. Grauburgunder, Veltliner, Spätburgunder. Wir | |
gurgelten und spuckten, während der Weinhändler über jede Flasche | |
philosophierte, als hätte er sie selbst gekeltert. Sonja Obermeier | |
kritzelte auf einen Zettel. Wenn die Flasche 7 Euro im Einkauf kostet, | |
müsste sie dann mehr als 7 Euro für ein Glas verlangen? | |
In der Tapasbar gegenüber suchten wir die Antwort. Konkurrenzbeobachtung: | |
Das Restaurant mit den kleinen Holztischen ist immer voll. Auf der Karte: | |
Helles 0,4 Liter: 3,40 Euro, Hauswein Rot: 5,20 Euro. Fast jeden Abend | |
studierten wir nun die Läden der Umgebung, die auch bayerisches Essen und | |
guten Wein anboten. Sonja Obermeier warf ihre Getränkekarte um, wieder und | |
wieder. Faustregel, meinetwegen, aber was hilft die, wenn das Bier beim | |
Nachbarn dreißig Cent günstiger ist? Ihr Bier schwankte. Zwischen 3,20 Euro | |
und 3,40 Euro. | |
Sie beschloss, die Preise im Mittelfeld ihrer Nachbarn anzusiedeln. "Nicht | |
teurer als das, was die Leute hier ausgeben", lautete ihr Resümee. "Aber zu | |
billig auch nicht. Sonst sieht es aus, als gebe es hier keine Qualität." | |
## Viel Gewinn bleibt da nicht übrig | |
Sonja Obermeier wollte aber Qualitätsanbieter werden. Sie wünscht sich ein | |
Wirtshaus, in dem die Gäste nicht allzu sehr über den Preis sinnieren und | |
wichtiger ist, was man auf Tellern und in Gläsern findet. Sie wünscht sich | |
Biofleisch, ausschließlich, auch Fisch, Gemüse und Weine sollen aus der | |
Region kommen. Die Köche bereiten alle Gerichte täglich frisch zu. Der | |
Schweinebraten landete so letztlich bei 12,90 Euro. Viel Gewinn bleibt da | |
nicht übrig. "Schon komisch", sagt Sonja Obermeier, "früher, im Klinglwirt, | |
konnten sich die einfachen Leute nur regionales Essen leisten." Heute ist | |
es Luxus. | |
Zwei Tage vor der Eröffnung brachte unser ehemaliger Mitbewohner ein | |
Laminiergerät vorbei, druckte die provisorische Karte auf rotes Papier, | |
legte Folien herum und schob sie durch die Maschine. Wir hatten es | |
schriftlich: Hauswein Weiß 3,90 Euro, Hauswein Rot 4,20 Euro. | |
Einen Tag vor der Eröffnung kam die Bezirksinspektion. Bis zwei Uhr nachts | |
hatten wir Lampen angeschraubt, Bilder an die Wände montiert, gespült, | |
geputzt. Die Kontrolleure wandelten durch die Räume, notierten, blickten | |
auf, prüften, ob die Kühlhäuser steril sind, ob es Fliegengitter an den | |
Küchenfenstern gibt, Netze in den Männertoiletten. Irgendwann, wir standen | |
wie gelähmt am Tresen, starrte Sonja Obermeier auf das Klemmbrett des | |
Kontrolleurs. Der schrieb. Und schrieb. | |
"Herzlichen Glückwunsch. Sie bekommen die Zulassung", sagte er dann, | |
drückte ihr ein weißes Papier in die Hand. Sonja Obermeier war Wirtin. | |
An jenem Freitag Ende August, punkt 17 Uhr, schloss sie die Tür auf. Nach | |
zwanzig Minuten waren die Plätze im Klinglwirt besetzt. Saure Knödel mit | |
Feldsalat wurden aufgetischt, Fleischpflanzerl mit Kartoffelsalat. So viel, | |
dass um 20 Uhr das Essen aus war. Glücklicherweise gab es auch Bier. Den | |
halben Liter für 3,30 Euro. | |
4 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
Maria Rossbauer | |
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