# taz.de -- Malerei: In einer graublauen Welt | |
> Silke Silkeborg ist Malerin, malt bevorzugt die Nacht und das auch noch | |
> am liebsten in einer Art Hundeperspektive. Wozu das alles? Um nicht in | |
> Routine zu verfallen. Ein Atelierbesuch. | |
Bild: "Der Tag ist doch viel bedrohlicher", Silke Silkeborg hat ein besonderes … | |
HAMBURG taz | Silke Silkeborg stellt den Kaffeebecher zur Seite, steht von | |
ihrem Stuhl auf, kniet sich auf den Boden, macht den Oberkörper langt, | |
rutscht so nach vorne. Sie stützt sich auf den Ellenbogen ab, aber so, dass | |
die Hände frei sind und dann tut sie so, als ob sie male. "Am liebsten | |
arbeite ich auf Boden, da nimmst du eine ganz andere Perspektive ein", sagt | |
sie. "Es ist das Gefühl, dem, was ich malen will, tierhaft nah zu sein - in | |
dieser Art Hundeperspektive." | |
Sie steht auf, lacht und sagt: "Manchmal denke ich, das ist totaler | |
Quatsch, das ist total absurd, was ich da mache: Unter so schlechten | |
Lichtbedingungen, etwas zu tun, was nun mal mit Farbe, also mit Licht zu | |
tun hat." | |
"Die Feuchtigkeit der Nacht macht mir beim Malen etwas zu schaffen. Mein | |
Atem erzeugt einen derartigen Nebelschwall, der durch das Licht meiner | |
Kopflampe die Sicht auf meine Leinwand versperrt." | |
(Silke Silkeborg, "Journalberichte über das Malen in der Nacht") | |
Silke Silkeborg ist Malerin - und sie malt die Nacht. Sie malt die Nacht in | |
der Nacht, die Nacht, während die Nacht vergeht. Eine Staffelei benutzt sie | |
fast nie. Die baut sie erst später auf, wenn sie geschlafen hat, wenn es | |
Tag ist, wenn sie das, was sie in der Nacht festgehalten hat, betrachtet, | |
begutachtet, umsichtig korrigiert. | |
"Es fällt schwer, die Dunkelheit hinzunehmen, sich dieser auszuliefern, | |
ohne sofort Gebrauch von einem Notlicht zu machen." | |
Schnell ist Silkeborg beim Unheimlichen der Nacht: "Unsere Kinderangst vor | |
der Nacht bestimmt uns das ganze Leben: diese Kinderangst auf dem langen | |
Weg im Dunkeln durchs Treppenhaus - da unten könnte einer stehen!" Dabei | |
sei das doch seltsam: "Warum sollte ich Angst haben in der Nacht? Der Tag | |
ist doch viel bedrohlicher! Einbrüche etwa finden meistens am Tage statt." | |
Aber das sei eben mit das Faszinierende der Nacht: dass sie uns einerseits | |
selbst verbirgt, uns Schutz gibt, wenn wir dort unerkannt im Dunkeln | |
stehen. Dass wir andererseits und gleichzeitig nie sicher sein können, was | |
in der Nacht auf uns wartet, wenn da etwas ist. Und mittendrin die | |
Künstlerin, die beidem auf der Spur ist. | |
Eine Fahrt nach Dubrovnik fällt ihr ein, der Weg zu ihrer allerersten | |
Einzelausstellung: "Ich war mit dem Auto unterwegs, zwischendurch hab ich | |
nachts an den Autobahnraststätten und Tankstellen angehalten und die Nacht | |
gemalt." Und wieder ahmt sie nach, wie sie damals gemalt hat: kleine, kaum | |
mehr als eben handgroße Formate hätte sie in der Hand gehalten, darauf | |
gemalt. Flüchtige Skizzen: "Damit ich das Bild sofort wegpacken konnte, | |
falls sich jemand genähert hätte." | |
Studiert hat sie erst experimentelle Druckgrafik in Holland, dann | |
Gestaltung an der Armgartstraße in Hamburg, dann einige hundert Meter | |
weiter Freie Kunst an der Hochschule für Bildende Kunst: bei Norbert | |
Schwontkowski, aber mehr noch bei Werner Büttner, der sie trotz aller | |
Unterschiedlichkeit in der künstlerischen Ausrichtung sehr geprägt habe: | |
"Welche Künstler er gut fand und welche ich gut fand, da gab es viele | |
Überschneidungen. Und die Bilder hatten fast immer was mit Dunkelheit zu | |
tun." | |
Von Büttner habe sie vor allem zwei Dinge gelernt, sagt Silkeborg: dass das | |
Lesen von Texten immens wichtig sei. Und dass ein Bild einen Titel zu | |
tragen habe. In ihrem Atelier stapeln sich entsprechend die Bücher, | |
darunter jede Menge Bände, die versuchen die Nacht zu beleuchten: | |
literarisch, kulturwissenschaftlich, historisch. | |
Die Theorie, die kunstgeschichtlichen Bezüge sind dabei das eine. Das | |
andere Silkeborgs praktische Herangehensweise, wenn sie mit einem kleinen | |
Wagen voll ihrer Malutensilien aufbricht, dick eingepackt, die Kleidung mit | |
Farbe bekleckst. Sie klemmt sich auch schon mal unter einen Lastwagen, der | |
irgendwo abgestellt steht und auf den Tag wartet. Dort entstehen Bilder wie | |
"Unter HH GT 1087 - Mercedes Actros" oder "In der Ottestraße unter Rudi". | |
Ein anderes Bild heißt "Ente verlässt die Eckernförder Bucht": Man sieht | |
einen kleinen, irgendwie flauschigen Fleck inmitten einer nachtblauen | |
Fläche, die am Rande von Laternen grafisch streng beleuchtet wird. Ist das | |
Tier gleich in Sicherheit - oder verloren? "Ich glaube", sagt Silke | |
Silkeborg, "ich bin abenteuersüchtig." | |
"Einige nächtliche Spaziergänger wählen ihren Weg so, dass sie einen Blick | |
auf mein Bild werfen können. Aber der momentane Zustand lädt zum Glück | |
nicht gerade zum Verweilen ein." | |
In ihrer aktuellen Ausstellung zeigt sie ein Stück des neuen Weges, den sie | |
in letzter Zeit gegangen ist: Sie hat sich entfernt vom zuweilen | |
Realistischen und ist hinüber geschritten ins vorsichtig Abstrakte. | |
Heimische Bäume werfen in einer graublauen Welt ihre langen Schatten, | |
oftmals gemalt bei offenbar seidigem Mondlicht. Stämme und Äste | |
verschmelzen mit dem Boden, auf den sie ihren Schatten werfen, um sich | |
danach wieder zu erheben. | |
"Ich will ja nicht einfach das weiter machen, was ich schon kann, sondern | |
das ausprobieren und mir erarbeiten, was mir nicht möglich erscheint", sagt | |
Silkeborg. "Ich merke, dass ich anfange mich zu langweilen, wenn ich beim | |
Malen nebenher Radiohören oder telefonieren kann. Diese Routiniertheit | |
finde ich ganz ekelhaft, eine Form der Ermüdungserscheinung. Sofort muss | |
ich diesen Zustand verlassen, mir neue Versuchsanordnungen geben, um mein | |
Wach-sein zu provozieren." | |
Gebündelt werden ihre neuen Werke durch einen entsprechenden | |
Ausstellungstitel "Solanum Nigrum": der lateinische Name für das Gewächs | |
"Schwarzer Nachtschatten". Nutzbar als Droge und Heilmittel, gefährlich für | |
Hühner, Weidevieh und Kinder - und überall zu finden. | |
7 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
Frank Keil | |
## TAGS | |
Künstlerin | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Malen in der Nacht: Sich ins Dunkle wagen | |
Silke Silkeborg malt Städte und Landschaften in der Nacht. Das Beleuchtete | |
wird zum Blickfang. Sie sieht aber auch, dass uns die Nacht verloren geht. |