# taz.de -- Anreise nach London: "Da sind wir längst durch" | |
> Das "London Spezial"-Ticket der Deutschen Bahn ist eine Alternative zum | |
> Billigflieger. | |
Bild: Scheller als gedacht mit der Bahn in London. | |
Zugegeben: Berlins Ostbahnhof kann an einem grauen Novembermorgen schon | |
etwas trostlos wirken. Dafür fährt der Zug heute jedenfalls pünktlich ab. | |
Rund zehn Stunden dauert die Reise durch vier Länder, am Ende winkt - | |
London. Seitdem es den Kanaltunnel und den Eurostar gibt, hat der Boattrain | |
ausgedient, doch ist der Zug in die britische Hauptstadt wirklich eine | |
Alternative zum Billigflieger? | |
Die Reise beginnt im ICE nach Köln, alles Routine, auch wenn die selbst | |
gedruckten Fahrkarten etwas anders als die üblichen Onlinetickets aussehen. | |
Spätestens hinter Hannover wird klar, warum sich die Reise dann doch ganz | |
schön zieht. Mehr als die Hälfte der echten Fahrzeit geht nämlich für die | |
Strecke Berlin-Köln und nicht etwa den internationalen Teil drauf. | |
Noch immer sind es 40 Minuten bis Bielefeld, aber wozu gibt es gute Bücher, | |
alte Filme auf DVD oder mitnahmefähige Arbeit? Besser als das mehrfach | |
halbstündige Schlangestehen und Rumwarten in spartanischen | |
Billigflieger-Abfertigungshallen ist der ICE allemal. | |
Und seitdem es das "London Spezial"-Ticket der Deutschen Bahn gibt, stimmt | |
auch der Preis: Ab 49 Euro in der 2. Klasse oder 99 Euro in der 1. ist man | |
deutschlandweit dabei. Realistischer sind allerdings Tickets zu 69 Euro (2. | |
Klasse) oder 119 Euro (1. Klasse), je nach Vorausbuchzeit und Reisetag | |
ziehen die Preise auch schon mal an. Dafür ist die Reservierung im Eurostar | |
inbegriffen. | |
## Erster Höhepunkt der Reise | |
Die Umwelt lacht sowieso, weil sich noch im Vergleich zum schadstoffärmsten | |
Flieger der CO2-Abdruck einen ganz schlanken Fuß macht. Als Reisender lacht | |
man spätestens dann, wenn es beim Gepäck kurzfristig mehr oder schwerer | |
wird, weil man auch dann nicht - wie bei den meisten Fluggesellschaften - | |
nach Art der Weihnachtsgans ausgenommen wird. Auf dieser Reise gilt der | |
alte Bahnfahrer-Grundsatz: Was auf den Buckel passt, darf mit. Geht auch, | |
denn nur zweimal heißt es umsteigen, in Köln und Brüssel, da sind selbst | |
kleinere Umzüge drin. | |
Einzige Einschränkung: Die Reise nach Brüssel hat mit einem | |
ICE-international der Deutschen Bahn stattzufinden, und wer immer dachte, | |
schlimmer als "Thank you for travelling with Deutsche Bahn. Goodbye" könnte | |
es nicht kommen, wird eines Besseren belehrt: Die Ansagen sind - | |
viersprachig. Da heißt es tapfer sein, mindestens so tapfer wie später im | |
Eurostar. | |
Denn gegen die Beinfreiheit im ICE macht sich dieser auf TGV-Basis gebaute | |
Zug reichlich dünne. Das nimmt zumindest in der 2. Klasse jegliche | |
überflüssige Distanz zum Sitznachbarn und sorgt bei voller Belegung für | |
(Körper-)Kontakt. Anders als in vielen deutschen Schnellzügen gibt es aber | |
- ausgleichende Gerechtigkeit - fast so viel Platz fürs Gepäck wie für die | |
Lebendfracht. Und der Kaffee ist auch noch besser und billiger als im | |
DB-Bordbistro. Wer dazu noch einen guten Teil der eigentlich für die | |
Londoner Freunde in Brüssel noch schnell gekaufte Schokolade aufisst, hat | |
den ersten Höhepunkt der Reise schon erlebt. | |
Für zwei Stündchen geht das also allemal, der Streckenabschnitt | |
Brüssel-London ist tatsächlich gnädig kurz. Also macht man es sich als | |
Frischling in Sachen Eurostar noch mal bequem. Die Abenddämmerung ist | |
mittlerweile hereingebrochen, der Blick durch die Scheibe präsentiert das | |
eigene Spiegelbild. Und wenn man seine offensichtlich durch Dutzende | |
Fahrten gestählten Mitreisenden fragt, wann denn jetzt wohl der Kanaltunnel | |
käme und es richtig spannend werde, lautet die lakonische Antwort: "Da sind | |
wir längst durch." Rund 20 Minuten dauert der Spaß, von dem man fast nichts | |
merkt - zumindest, wenn es draußen schon dunkel ist. | |
## Dezent mit Schokolade beschmiert | |
Und dann ist der Zug schon wieder an Land und wird zum Unikum auf | |
Großbritanniens Schienen, zum einzigen Hochgeschwindigkeitszug der Insel. | |
Mit dem man nur von oder nach London kommt - denn bis auf Ebbsfleet, einer | |
Art Parkplatz an der südlichen Stadtgrenze der Hauptstadt, hält er | |
nirgendwo. | |
Pünktlich wird der internationale Teil des Bahnhofs St Pancras erreicht. | |
Ausweise hatte sich die britische Grenzpolizei schon beim Einsteigen in | |
Brüssel zeigen lassen, es gibt also keine Warterei - weder auf | |
Passkontrolle noch auf Gepäck. Und weil in England die Uhren anders gehen, | |
bekommt man sogar eine ganze Stunde geschenkt. | |
Fazit: ein Buch gelesen, wunderbar ausgeruht und dezent mit Schokolade | |
beschmiert in London ankommen. Die Uhr zeigt 19.05 Uhr Ortszeit. Und alles | |
könnte wunderschön sein, wenn es nicht Samstag wäre und die Londoner | |
Verkehrsverwaltung mal wieder ihrem Lieblingshobby frönte: dringenden | |
Reparaturarbeiten. | |
Fast alle U-Bahn-Linien sind an diesem Wochenende dicht. Macht nichts, | |
schließlich hat man sich auch das überteuerte Ticket für den Zug vom | |
Flughafen Heathrow, Stansted oder sonst wo gespart - wozu sonst ist London | |
die heimliche Hauptstadt der Taxis? | |
12 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
Steffen Grimberg | |
## TAGS | |
Reiseland Großbritannien | |
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