# taz.de -- Lebensgeschichte eines Meisterfälschers: "Weil einer es machen mus… | |
> Verschwiegenheit zeichnet ihn aus: Adolfo Kaminsky. Er war ein genialer | |
> Fälscher und bescheidener Lebensretter. Seine Tochter hat seine | |
> Geschichte aufgeschrieben. | |
Bild: Falschgeld hat immer hohe Konjunktur. | |
Die Geschichte ihres Vaters, die Sarah Kaminsky aufgeschrieben hat, liest | |
sich wie ein spannender Roman. Der heute 86-jährige Adolfo Kaminsky sitzt | |
neben ihr in seiner Wohnung in Paris und bestätigt wortkarg, was sie sagt. | |
Diese Verschwiegenheit ist er seit seiner Zeit als Fälscher von | |
Ausweispapieren während des Zweiten Weltkriegs nicht losgeworden. Nur wer | |
den Mund halten kann, überlebt im Untergrund. Kaminskys Tochter Sarah | |
hingegen ist ständig in Bewegung, spricht, holt ein Papier oder raucht, am | |
Fenster stehend, eine Zigarette. | |
Doch schließlich holt Kaminsky eine Schachtel, in der er bis heute | |
Erinnerungen aus einem anderen Leben aufbewahrt hat. Es sind | |
"Arbeitsproben": aus Hartgummi geschnitzte Stempel, verschiedenste | |
Personalausweise, französische Rationierungskarten, ein deutsches | |
Soldatenbuch - alles selbst gemacht. Sogar den einst "fälschungssicheren" | |
Schweizer Pass habe er kopiert. Niemand sei mit seinen Werken aufgeflogen, | |
sagt er und kann seinen Stolz darauf dann doch nicht so ganz verbergen. | |
Sarah hat erst als Schulmädchen und eher zufällig von der Fälscherkarriere | |
ihres Vaters erfahren. Sie hatte den Unterricht geschwänzt und war mit | |
einem falschen Entschuldigungsschreiben aufgeflogen. "Das hättest du | |
wirklich besser machen können", meinte ihr Vater. Und so kam nach und nach | |
die Biografie des Widerstandskämpfers zum Vorschein, die eines | |
Meisterfälschers, dem viele Menschen ihr Leben verdankten. Und von dessen | |
Existenz bis zu Sarahs Buch nur wenige wussten. "Du willst alles über mein | |
Leben wissen. Dann sag doch mal, was du schon zu wissen glaubst." So | |
zitiert die Autorin ihren Vater zu Beginn der Geschichte, die sie in | |
unglaublich spannender Weise aufgeschrieben hat. | |
Demnach hat Adolfo Kaminsky schon als 15-jähriger Färberlehrling in einer | |
Kleinstadt der Normandie gelernt, wie man selbst hartnäckigste Tintenflecke | |
entfernt. Die Chemie war seine wirkliche Leidenschaft. Als ihn später ein | |
Bekannter in Paris fragte, ob er auch fähig sei, den Judenstempel zum | |
Verschwinden zu bringen oder Ausweispapiere zu fälschen, nahm der kaum | |
18-Jährige die Herausforderung sehr motiviert an. | |
## Deckname Julien Keller | |
1943 wurden im besetzten Frankreich die Juden registriert, verhaftet und | |
deportiert. Zwei Jahre zuvor war seine eigene Mutter ermordet worden. Sie | |
wurde vermutlich bei einer Kontrolle aus der rollenden Bahn auf die | |
Schienen gestoßen. Auch der junge Jude Kaminsky war Anfang 1943 im | |
Durchgangslager Drancy gelandet. Doch weil er 1925 in Buenos Aires auf die | |
Welt gekommen war und damit argentinischer Staatsbürger war, konnte der | |
argentinische Konsul seine Freilassung durchsetzen. | |
Adolfo Kaminsky hatte begriffen, dass Papiere Leben retten können. Unter | |
dem Decknamen Julien Keller gehörte er in Paris als Mitglied der jüdischen | |
Selbsthilfeorganisation und Widerstandsgruppe "La Sixième" (die Sechste) | |
dem Untergrund an. Seine Waffen fand er in Chemielabor, Dunkelkammer, | |
antiker Handdruckpresse und Nähmaschine (zur Imitation der Perforierung in | |
den Pässen), die er mit einem schier unglaublichen handwerklichen Geschick | |
und naturwissenschaftlicher Erfindungsgabe einzusetzen wusste. | |
Kaminsky lernte sehr schnell, wie man Stempel und Ausweispapiere auf | |
Spezialpapier mit Wasserzeichen neu herstellen und künstlich "altern" | |
lassen konnte, sodass die französische Polizei oder die deutsche Gestapo | |
sie von echten nicht zu unterscheiden vermochte. Jede Unachtsamkeit konnte | |
den Tod bedeuten. | |
Da die Widerstandsbewegung dank Hinweisen von bevorstehenden Razzien | |
wusste, musste er häufig ganze Gruppen mit falschen Papieren ausstatten. | |
Sarah schildert, wie ihr Vater dann in seiner improvisierten Werkstatt, | |
einer Dachkammer in der rue des Saints-Pères, wie besessen arbeitete. Oft | |
bis zum Umfallen. "In einer Stunde kann ich dreißig Ausweise herstellen", | |
zitiert Sarah ihren Vater. "Wenn ich eine Stunde schlafe, sterben dreißig | |
Menschen." | |
Wie viele Menschen er mit seinem Einsatz und Können gerettet? Bestimmt | |
Tausende. Genaue Zahlen gibt es nicht. | |
Mit der Befreiung von Paris im Juni 1944, die der Pazifist Kaminsky als | |
Sanitäter auf den Barrikaden miterlebte, hätte er seinen Fälscherjob | |
eigentlich an den Nagel hängen können. Schließlich habe er das ja nur | |
gemacht, so sagte er es seiner Tochter, "weil einer es machen musste". Doch | |
seine Fähigkeiten waren auch weiterhin gefragt. Bis Kriegsende fälschte er, | |
in offiziellem Auftrag und als Mitglied der französischen Streitkräfte, | |
Papiere für Agenten der Armee der "France libre", die hinter den deutschen | |
Linien eingesetzt wurden. Und bald schon kamen weitere Anfragen. Von | |
mittellosen Überlebenden der Schoah, die nach Palästina auswandern wollten, | |
aber von den britischen Mandatsbehörden daran gehindert wurden. Für ihn | |
habe da einzig gezählt, dass diese Menschen in Not waren und Papiere für | |
ihre Ausreise brauchten. | |
## Falschgeld für die FLN | |
Im Unterschied zu Freunden, die auswanderten, um den Staat Israel zu | |
gründen, blieb er als Fotograf in Frankreich. Für den Zionismus sei er | |
heute noch weniger zu begeistern als damals, sagt Kaminsky. Einer Partei | |
sei er nie beigetreten und religiös sei er auch nie gewesen. | |
Mitte der fünfziger Jahre reiste er mit einer Freundin in das französische | |
Algerien. Und war schockiert. Die muslimischen Einheimischen seien | |
rassistisch und wie Bürger zweiter Klasse behandelt worden. Schon bald | |
engagierte er sich als Fälscher für die algerische Befreiungsbewegung FLN. | |
Und auch dieses Mal wieder nicht gegen Bezahlung, das erlaubten seine | |
humanistischen Prinzipien nicht. Genauso wenig wie den Terrorismus. Als die | |
FLN wollte, dass Adolfo Kaminsky einen Sprengsatz für einen Anschlag | |
besorgte, stellte er sicher, dass die Bombe nicht explodieren konnte. | |
Für die FLN sollte er auch Falschgeld herstellen. Die Algerier gedachten | |
Frankreich mit Falschgeld zu überschwemmen und ökonomisch zu schädigen. So | |
habe er versuchsweise "einen Kubikmeter" falscher Francs in | |
Hunderterscheinen gedruckt. Doch da sich die FLN und Frankreich auf einen | |
Waffenstillstand einigten, seien die falschen Hunderter in einem | |
"Freudenfeuer" aufgegangen. Kaminsky sagt, er habe das gesamte Falschgeld | |
verbrannt. Und das soll ihm nicht schwergefallen sein? "Ja, doch", so | |
Kaminsky, "das brennt sehr schlecht." | |
In den folgenden Jahren fabrizierte er Papiere für Verfolgte der | |
griechischen Obristendiktatur oder des spanischen Franco-Regimes sowie für | |
Widerstandskämpfer aus Afrika und Lateinamerika. 1971 wurde ihm in | |
Frankreich der Boden unter den Füßen zu heiß. Er setzte sich nach Algerien | |
ab, wo er seine Frau Leila kennenlernte, mit der er neben Sarah noch zwei | |
weitere Kinder hatte. Das "Fälscherleben" war damit definitiv zu Ende und | |
heil überstanden. Die zweite Hälfte, die danach folgte, nennt Kaminsky sein | |
"Bonusleben". | |
## Falsche Papiere zum Überleben | |
Dieses ist aber nicht Teil des Buchs, das die 32-jährige Sarah erst jetzt | |
geschrieben hat. Ihr war klar geworden, dass ihr Vater selber nie seine | |
Autobiografie schreiben würde. Dafür scheint er nach wie vor viel zu | |
bescheiden zu sein. Der Klandestine liebt die Öffentlichkeit nicht. Nun ist | |
ihr Buch "Adolfo Kaminsky. Ein Fälscherleben" bereits ins Spanische, | |
Italienische und jetzt ins Deutsche übersetzt worden. Es ist temporeich und | |
unterhaltsam geschrieben. | |
Und es sieht so aus, als könnte hier einer zum Vorbild reichen, in einer | |
Zeit, da Reisefreiheit oder der Zugang zu Chancen oftmals nicht zuletzt | |
eine Frage der richtigen Papiere und der territorialen Abstammung ist. Doch | |
das bleibt für Kaminsky, bei allem Verständnis, eine ganz andere Situation: | |
"Falsche Papiere braucht man, um vor dem Tod zu flüchten. Auf einer | |
falschen Identität aber baut man kein neues Leben auf." | |
11 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
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