# taz.de -- "Rolling Stone Weekender": Ein wenig wild, ein wenig frei | |
> Der "Rolling Stone Weekender" ist ein Festival für Menschen, die während | |
> der Konzerte ihre Mails checken. Auf dieser Zeitreise ist sogar die | |
> Security nett. | |
Bild: Die größte Rarität: Frauen. Aber es muss sie gegeben haben, jemand hat… | |
WEISSENHÄUSER STRAND taz | Die ersten Worte des Wochenendes machen Lust auf | |
weniger: "Bruttogehalt", "Rentenversicherung", "Pflichtbeiträge" - die | |
dunkelgelockte Schwäbin mit der jugendlichen Umhängetasche kennt ihre | |
Rechte. Auf der Zugfahrt von Hamburg nach Oldenburg (Holstein) redet sie | |
ausdauernd auf ihr Gegenüber ein. Die Freundin, blond und in ihrem | |
Schweigen hochsympathisch, leistet kaum Gegenwehr. Sie weiß, dass es | |
rausmuss. | |
Die Gesprächsthemen sind genauso erwachsen wie das Festival, zu dem die | |
beiden unterwegs sind: der "Rolling Stone Weekender" an der Ostsee, vom | |
Veranstalter als "Indoor-Komfort-Festival" beworben - mit anderen Worten: | |
ein Festival für Leute, die eigentlich nicht mehr auf Festivals fahren, | |
weil sie Kinder haben. Oder Rücken. Oder beides. | |
Als der ICE in Oldenburg (Holstein) hält, zieht die dunkelgelockte Schwäbin | |
wie so viele hier einen Rollkoffer hinter sich her. Das dutzendfache | |
Klackern der Kunststoffrollen kündet von einer Invasion der | |
Junggebliebenen, gekommen, um sich noch mal ein Wochenende frei und auch | |
ein bisschen wild zu fühlen, so frei und wild, wie man sich mit | |
Taxireservierung in eine Ferienanlage aus den 70ern fühlen kann. Rund 3.600 | |
Menschen übernachten an diesem Wochenende in den betongrauen Plattenbauten, | |
hinzu kommen 400 Heimschläfer. Am beliebtesten sind die Apartments für vier | |
bis sechs Personen, jedenfalls waren die am schnellsten ausgebucht. | |
Festivals sind auch in dieser Altersgruppe noch Anlass für ein | |
Jungswochenende. | |
## Nostalgie ist im Preis inbegriffen | |
Der eine oder andere Besucher dürfte am Weißenhäuser Strand als Kind schon | |
mal Familienurlaub gemacht haben. Es ist also eine doppelte Zeitreise: in | |
die eigene Kindheit und in die Jugend, als man "Helga" über den Zeltplatz | |
rief, weil das alle taten und Bier aus einem langen Schlauch trank, weil | |
das so schön effektiv war. Nostalgie ist im Preis der pastellfarben | |
eingerichteten Ferienapartments ebenso inbegriffen wie der Eintritt ins | |
"subtropische Badeparadies". | |
Auch die Bands, die auf einer der vier Bühnen beim "Rolling Stone | |
Weekender" auftreten, sind größtenteils lange genug im Geschäft, um von den | |
über 30-Jährigen "von früher" gekannt zu werden. The Notwist, Death Cab For | |
Cutie, Nada Surf, Wilco - noch hält die Bands nicht ausschließlich das Geld | |
zusammen, noch ist das hier keine Oldieparade, kein reines Schwelgen im | |
Vorgestern, aber die halbe Strecke ist gemacht. | |
Die zahlreichen älteren Herren in Lederjacke, denen die Musik der | |
auftretenden Bands insgeheim zu jugendlich ist, können sich auf der | |
Plattenbörse in der "Galeria an der Düne" auch mit richtigen Oldies | |
eindecken: mit Don McLean oder den Dubliners auf Vinyl oder sogar CD. Die | |
größte Rarität hier sind - Frauen. | |
## Zynische Männer über 35 | |
"Das ist das Schöne am Rolling Stone Weekender", sagt Thees Uhlmann bei | |
seinem Auftritt am frühen Samstagabend. "Zu 95 Prozent zynische Männer über | |
35." Die sich zu späterer Stunde auch gern mal bierselig in den Armen | |
liegen und schunkeln. Die Virtuosität von Wilco-Gitarrist Nelf Cline | |
belohnen sie mit Szenenapplaus, irgendjemand kommentiert: "saucool". Das | |
Höchste der Gefühle sind vereinzelte Bravo-Rufe. Die Bands können einem | |
fast ein bisschen leid tun, weil das Publikum so novemberlich-gemütlich | |
drauf ist, und das Publikum kann einem leid tun, weil die Konzerte nicht | |
bestuhlt sind. Der Rücken! | |
Als Zugeständnis an die Gebrechen der Besucher ist der Boden vor der | |
Hauptbühne im Zelt mit gelenkschonenden Kunststoffplatten ausgelegt. Wer | |
nach den Konzerten immer noch stehen kann, steht auf der After-Show-Party | |
weiter rum. Wunschdenken gab ihr den Namen: "Excess all areas". Betrunken | |
sind nach Mitternacht viele, ausfällig wird kaum jemand. | |
Der Rolling-Stone-Weekender-Besucher weiß sich zu benehmen. Was auch den | |
Bands nicht entgeht. "We love you", legt sich Nada-Surf-Sänger Matthew Caws | |
schon vor dem Auftritt fest, weil das Publikum so geduldig den verzögerten | |
Soundcheck abgewartet hat. Mit der allgegenwärtigen Harmonie ist es wie mit | |
dem durchweg hohen handwerklichen Niveau der Bands: erst mal ganz schön, | |
auf Dauer aber ein wenig fad. Der Höhepunkt des Festivals ist eine Art | |
Gottesdienst mit Elbow. Alle singen mit. Sogar die Securitys sind nett! | |
## Mittvierziger spielen Flunky-Ball | |
Schick ist auch der Strand, spiegelglatt die Ostsee. Auf dem Steg flanieren | |
Familien mit Kindern. Gerade noch händchenhaltende Paare schießen | |
Erinnerungsfotos, überhaupt hat jeder hier mindestens eine Kamera und ein | |
Smartphone dabei, das ständig gezückt wird, auch um während der Konzerte | |
E-Mails zu checken. Könnte ja wichtig sein. Unter dem Steg spielen zwei | |
ergraute Mittvierziger Flunky-Ball - ein typisches Festivalspiel, bei dem | |
es darum geht, möglichst schnell möglichst viel Bier zu trinken. Man gibt | |
sich jung - aber nicht so jung, dass man nachts noch am Strand rumhängt. | |
Erstens ist es kalt, und zweitens will man ja auch noch was vom nächsten | |
Tag haben. | |
Tomte-Sänger Thees Uhlmann, der sich wegen des unerwarteten Charterfolgs | |
seines Solodebüts "Europas ältester Newcomer" nennt, kann als | |
prototypischer Künstler dieses Festivals gelten: Trotz Familie nimmt sich | |
der 38-Jährige immer noch Zeit für die wirklich wichtigen Dinge des Lebens: | |
Musik, Kumpels, FC Sankt Pauli, Bier. "Die Nacht war kurz und ich stehe | |
früh auf" heißt sein Song zu diesem Lebensentwurf. Einige Gründe fürs frühe | |
Aufstehen springen auf den Konzerten zwischen ihren Eltern herum. Gegen den | |
Lärm tragen viele der Kinder Ohrenschützer, die ein findiger Hersteller | |
eigens ihren kleinen Köpfen angepasst hat. Auch optisch: Pink ist die Farbe | |
der Wahl. | |
Das eigene Leben mag nicht mehr so unbeschwert sein wie früher - das | |
Festivalgepäck allerdings ist leichter als damals beim Hurricane, das | |
übrigens von der selben Firma organisiert wird wie der Rolling Stone | |
Weekender, - nicht nur weil man die Koffer hinter sich herzieht, auch weil | |
niemand mehr palettenweise Dosenbier mit sich führt. Alles, was man braucht | |
- inklusive Olivenöl in Miniflaschen und 80 Sorten Chips - hält ein | |
Supermarkt auf dem Gelände bereit. Und außerdem kann man es sich im Urlaub | |
ja auch mal gutgehen lassen und essen gehen. | |
Doch die Auswahl im Feriendorf hält den gestiegenen Ansprüchen der | |
Festivalbesucher nicht wirklich stand: eine Pommesbude, ein Italiener, ein | |
gutbürgerliches und ein Fischrestaurant, das aber geschlossen hat. Wohl | |
besser so. Wo ist der Vietnamese, nach dem die Gäste aus der Großstadt sich | |
sehnen? Immerhin eine Kaffeebar gibt es, allerdings eine schlecht | |
organisierte, die Wartezeit vertreiben sich die Besucher mit Kommentaren | |
über die Servicequalität. | |
## Pünktlichkeit als Zier | |
Das Festival selbst bietet da wenig Angriffsfläche: Hier ist Pünktlichkeit | |
noch eine Zier! Kaum eine Band, die die Gäste warten ließe. Weil die im | |
Programm angegebenen Zeiten stimmen, kann man zwischen den Bühnen pendeln, | |
ohne auf böse Überraschungen gefasst sein zu müssen. Wie schön. | |
Im Gegensatz zur Welt da draußen ist der Rolling Stone Weekender | |
blutdruckschonend berechenbar. Man weiß genau, was man kriegt - und wann | |
man es kriegt. Deswegen werden viele Besucher nächstes Jahr wohl wieder | |
dabei sein. Denn das Schöne am Rolling Stone Weekender ist ja: Für dieses | |
Festival wird man so schnell nicht zu alt. | |
Wenn sie zu Hause allerdings gefragt werden, wie es war, werden viele der | |
zynischen Männer aus Prinzip "Scheiße" sagen, wie Thees Uhlmann | |
antizipiert. Sonst will die Freundin beim nächsten Mal noch mit. "Helga" | |
hat niemand gerufen. Weil sie zu Hause geblieben ist. | |
14 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
D. Denk | |
A. Stenzel | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |