| # taz.de -- Kolumne Trends und Demut: Baguettes für die Revolte | |
| > Occupy London und die Renaissance alter politischer Symbole. | |
| Bei meinem ersten Londonbesuch kaufte ich mir 1991 einen übergroßen | |
| Pullover mit Peace-Aufdruck. Zu diesem Kleidungsstück baute ich den ganzen | |
| Sommer über eine fast persönliche Beziehung auf. Sein beruhigendes Symbol | |
| war in der Lage, in feinster minimalistischer Manier eine Nachricht in die | |
| Welt zu posaunen, die man im Grunde ja gar nicht in drei Strichen fassen | |
| konnte. | |
| Das Peace-Zeichen war Coolness in Reinform. Dennoch hatte ich zur | |
| Anti-Golfkrieg-Mahnwache, die damals bei uns am Hauptbahnhof stattfand, | |
| nicht einmal diesen Pullover an. Viel zu offensichtlich! Mit einem | |
| Friedenspulli auf die Demo zu latschen hatte eine Naivität, die selbst bei | |
| meiner Mutter grenzwertig wirkte, als sie in den Achtzigern in Wackersdorf | |
| bei Demonstrationen gegen die geplante Wiederaufbereitungsanlage | |
| Gänseblümchen in den Stacheldraht steckte. Wieder anders löste es mein | |
| damaliger Brieffreund. Seine dezente Form von Protest war chlorfreies | |
| Recyclingpapier mit stahlblauer Friedenstaube, auf dem er mir glühende | |
| Briefe über Skateboarden, John Lennon und Spießer schrieb. Statt plakativem | |
| Widerstand wählte er Stubenhockerprotest. | |
| Jetzt wurde ich unversehens wieder mit meiner Vergangenheit konfrontiert. | |
| Eine junge Bewohnerin des derzeitigen Protestcamps "Occupy London" vor der | |
| Saint Pauls Cathedral hob mein damals so behutsam gepflegtes Verhältnis zum | |
| schicken Friedenssymbol in eine neue Phase: Sie posierte vor einem Panorama | |
| aus aufgeschlagenen Zelten für eine Magazin-Fotoproduktion in diversen | |
| Klamotten, auf denen irgendwie das Peace-Zeichen zu sehen war. Zunächst | |
| regte ich mich auf. Total. Danach fühlte ich mich einfach nur alt. Denn das | |
| tatsächlich Lachhafte war doch, dass ich mich damals für politisch hielt, | |
| weil ich diesen Pullover eben extra nicht als symbolisch-ausgeleiertes | |
| Sprachrohr anzog und alle folgenden performativen Versuche à la "heute mal | |
| in Prada auf die Demo" nur noch zum Totlachen fand. | |
| ## Ein Mittelstandsbetrieb | |
| Doch so umständlich wird heute überhaupt nicht mehr gedacht! Das ganze Camp | |
| ist ein gut geführter Mittelstandsbetrieb, hier herrscht reine | |
| "Camponomie". Warum sollen Briten, die endlich beginnen, ihr eigenes | |
| Protestpotenzial zu entdecken, diese Erfahrung nicht in einem straff | |
| durchorganisierten, konsumfreudigen Umfeld erleben? Revolte? Ja gern, aber | |
| wo ist das frische Baguette, wo kann ich mein iPhone aufladen und wie heißt | |
| noch gleich unser zuständiger Pressesprecher? | |
| Innerhalb weniger Wochen hat sich auf dem Areal eine typisch britische, | |
| nahtlos marktwirtschaftliche Situation eingestellt, mit kollektivem | |
| Bankkonto, täglich 1.500 frei Haus gelieferten veganen Mahlzeiten, | |
| Meditationsecke, einer eigenen Zeitung (The Occupied Times) und einem | |
| überdimensionalen Monopoly-Spiel, gespendet vom | |
| Straßenkünstler-Multimillionär Banksy. Verpeilte Organisation und typisches | |
| Chaos? Das überlassen diese Protestanten lieber den Banken. Und ich hole | |
| meinen Peace-Pullover schon einmal aus dem Keller. | |
| 14 Nov 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Julia Grosse | |
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