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# taz.de -- 2. Literaturfest München: Wo ist zu Hause, Papa?
> Beim Münchner Literaturfest geht's nicht nur um Inhalte, sondern es geht
> ums Ganze: um eine Standortbestimmung der deutschsprachigen Literatur.
Bild: Der Schriftsteller Matthias Politycki freut sich nach einem Jahr als Kura…
Mit Podiumsdiskussionen ist das so eine Sache. Nicht selten werden die
Bühnen dabei zu einem Ort für egomane Selbstdarstellung. Gerne wird auch
mal aneinander vorbeigeredet. Wenn dann noch der Moderator eine Portion
Disziplinlosigkeit walten lässt, wird es oft ziemlich grausam. Gespräche
entstehen so nicht, und im Publikum kämpfen die Zuhörer noch stärker als
sonst gegen die Müdigkeitsäußerungen ihrer Körper.
Deshalb ist man auch bei verschiedenen Literaturfestivals und
-veranstaltungen dazu übergegangen, die Aufmerksamkeit der Zuhörer allein
schon durch die Wahl der Orte zu steigern: Kirchen, Sportarenen,
öffentliche Toiletten und ähnlich authentische Räume müssen als Triggerorte
herhalten.
Das gerade stattfindende Münchner Literaturfest hingegen macht hier auf
retro. Weg von der Inspiration der Orte, hin zu den Inhalten, also der
Literatur, genauer gesagt: hin zu den Autoren und zum Podium. Der
Schriftsteller Matthias Politycki hatte als Kurator der Reihe
"forum:autoren" ein Jahr Zeit, um sein Programm zu realisieren.
## Eine Standortbestimmung
Nachdem sein Vorgänger Ilija Trojanow 2010 seine Kuratorentätigkeit genutzt
hat, um unter dem Dachthema "lokal/gobal" das Kosmopolitische in der
Literatur zu verhandeln, kehrt Politycki vor der eigenen Tür: "Die Welt auf
Deutsch" lautet der politisch zunächst etwas schlüpfrig klingende Titel. Wo
ist zu Hause, Papa? Eine Standortbestimmung der gegenwärtigen
deutschsprachigen Literatur soll versucht werden - darf es ein bisschen
mehr sein?
Politycki versprüht gute Laune en gros. In fast jeder Veranstaltung der
Reihe "forum:autoren" ist er präsent. Egal ob als Moderator, Kommentator,
Diskutant oder einfühlsamer Vor-Redner: Immer macht er den Eindruck, als
komme er geradewegs von einem Wellness-Ausflug aus dem Literatur-Spa
zurück. Das erstaunt, hat er doch sehr viel geschultert: Unter der
Beschriftung "Backstage" sollen Literaturgroupies dadurch generiert werden,
dass einige der ungefähr 50 eingeladenen Autoren in Gymnasien auftreten und
dort den Deutschlehrern unter die Arme greifen.
Grüß Gott, Herr Ostermaier! Was dabei wichtig ist: Es werden hier keine
lebenden Hörbücher zu sehen sein, die Autoren sollen sich nicht hinter
ihrer Lesung verstecken können, sondern der Dialog von Schülern und
Schriftstellern steht im Vordergrund. Make Literature, not Facebook!
## Immer auf den Punkt
In der Rubrik "Klartext" wirds akademisch: an der
Ludwig-Maximilians-Universität diskutieren Autoren mit Germanisten und
Sprachwissenschaftlern über den Stand der deutschen Literatur. Standpunkte,
Standpunkte, Standpunkte!, fordert Politycki, der durch eine strenge
Zeitdisziplin bei den jeweiligen Statements alles auf den Punkt bringen
möchte. Bei der Auftaktveranstaltung wurde schnell klar, dass die Reduktion
auf den einen Punkt nicht zu erreichen ist: Gerade die Autoren verweigern
sich dem wissenschaftlichen Zugang über klare Kategorisierungen.
Natürlich gibt es auch den literarischen Vortrag, allerdings nicht in der
klassischen Spielweise. Politycki will nämlich quatschen, will die Autoren
zum Reden bringen. Sowohl bei den "Prosa-Lesungen" als bei der
"Samstagnachmittagserklärung" bildet er Autorenpaare, die nach einem
vorgegebenem Motto oder mit allgemeinen Fragen in den Dialog treten: "Haben
Sie das alles selbst erlebt?", "Ich bin doch (k)ein Berliner" oder "Der
Stoff, der auf den Nägeln brennt" sind solche thematischen
Kommunikationsrouten.
Und auf wunderbare Weise scheint hier etwas zu gelingen. Wenn
beispielsweise der Österreicher Josef Winkler die Blutspur, die sich in
seinem Werk durch sein Heimatdorf zieht, autobiografisch grundiert, wird es
Annette Pehnt, die neben ihm sitzt, fast unheimlich zumute. Hat der das
wirklich alles selbst erlebt?
## Ichöffnung des Literaten
Bereitwillig folgen die Autoren der Vorgabe, entweder nur ein "Statement"
abzugeben oder ein paar Miniaturen zum Besten zu geben, um dann über den
Schriftsteller in sich sehr offen Auskunft zu geben. Man hat das Gefühl,
einem seltenen Moment der Ichöffnung von Literaten beizuwohnen. Irgendwie
scheint das zumeist traditionelle Ambiente beispielsweise eines
Literaturhauses oder eines Theaters den Künstlern einen Schutzraum zu
bieten, der ihnen das Reden über das Schreiben leicht macht.
Ob am Ende der Reihe allerdings eine Standortbestimmung der
deutschsprachigen Literatur gefunden ist, darf bezweifelt werden. Zu
hochgesteckt ist das Ziel, zu vielfältig sind die vertretenen Positionen,
Erzählhaltungen, Formate und Themen in der Gegenwart: Die eine will von den
"ganz großen Themen", der andere nur von sich erzählen, ein Dritter beides
im Never-ending-DDR-Familienroman zusammenbringen.
Politycki mag das bedauern. Jedenfalls freut er sich auch darauf, nach
einem Jahr als Kurator, nun endlich bald wieder selbst zu schreiben.
16 Nov 2011
## AUTOREN
K. Erik Franzen
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