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# taz.de -- Rechtsextremismus im deutschen Film: Die Neonazis nicht im Blick
> Blinder Fleck in der Filmgeschichte: Warum sich das deutsche Kino lieber
> mit Hitler und Baader als mit dem Phänomen des aktuellen
> Rechtsextremismus beschäftigt.
Bild: Mit Neonazis möchte das deutsche Kino lieber nichts zu tun haben.
Das Schlagwort von der Braunen Armee Fraktion, mit dem Deutschland sich
gerade herumschlägt, wirft auch ein bezeichnendes Licht auf die
Filmgeschichte der vergangenen zwei Jahrzehnte. Denn nach dem Fall der
Berliner Mauer 1989 war es unübersehbar, dass in den Ländern der ehemaligen
DDR der Rechtsextremismus zu einer der Ideologien wurde, mit der die
Probleme der Transformation bewältigt wurden.
Einige dokumentarische Filme gingen unmittelbar darauf ein, während die
Spielfilme im wiedervereinigten Land sich im Lauf der Jahre viel stärker
mit der NS-Zeit beschäftigten und für die jüngere Gegenwart eine fast schon
obsessive Beschäftigung mit der linksterroristischen Roten Armee Fraktion
zu verzeichnen ist.
Dieser Befund (Hochkonjunktur im Mainstream mit Hitler und Baader bei
gleichzeitiger markanter Randlage der filmischen Beschäftigungen mit
aktuellem Rechtsextremismus) verlangt nach einer Deutung. Dabei ist
vielleicht die Erinnerung an zwei markante Titel hilfreich, die sich nach
1990 der Aufgabe stellten, den rechten Rand in den Blick zu nehmen.
"Stau - Jetzt geht's los" (1992) von Thomas Heise ist eine Dokumentation
über Jugendliche in Halle-Neustadt, einer typischen DDR-Trabantensiedlung.
Heise reagierte mit dieser Beobachtung auf Ereignisse in Hoyerswerda, wo es
im September 1991 zu ausländerfeindlichen und rassistischen Ausschreitungen
gekommen war - man spricht von dem ersten "medialisierten Pogrom" in
Deutschland. Heise ging hinter diese Medialisierung einen Schritt zurück
und brachte den alltäglichen und individuellen Kontext des
Rechtsextremismus in den Blick.
## Differenzierte Langzeitbeobachtung
Dafür wurde ihm von der politischen Linken "die unkommentierte
Selbstdarstellung" von Faschisten vorgeworfen. Der Film geriet zwischen
alle Lager, davon unbeirrt kam Heise mehrfach auf die Menschen von
Halle-Neustadt zurück ("Neustadt", 2000; "Kinder, wie die Zeit vergeht",
2007; "Material", 2009), sodass das deutsche Kino hier immerhin über eine
differenzierte Langzeitbeobachtung eines in sich viel komplexeren Milieus
verfügt, als es nun das Schlagwort von der Braunen Armee Fraktion zu
bezeichnen vermag.
Der zweite relevante Film war "Beruf: Neonazi" (1993) von Winfried
Bonengel. Hierbei handelt es sich um ein Porträt des von München aus
agierenden Neonazis Bela Ewald Althans und einen organisierten,
internationalen Rechtsextremismus: eine Leitfigur wie Ernst Zündel in
Kanada, dessen Verbindungsmann in Deutschland Althans war, nahm Bonengel in
den Blick.
Besonders kontrovers ist eine Szene, in der Bonengel mit der Kamera Althans
in die Gaskammer von Auschwitz folgte, wo dieser offen und provokant von
der "Holocaust-Lüge" zu sprechen begann. Auch hier wurde der Vorwurf der
impliziten Komplizität erhoben, mit guten Gründen, denn die Kamera kann
hier durchaus als Ansporn für Althans gesehen werden, einen Auftritt
hinzulegen, der wiederum den Filmemacher in den Verdacht eines
Skandalinteresses geraten lässt.
Mit diesen beiden Filmen war das Thema als Gegenwartsbeobachtung im Grunde
erledigt, auch wenn sowohl Heise wie auch Bonengel ("Führer Ex", 2002)
davon nicht abließen, und auch zwischendurch immer wieder kleinere Arbeiten
mit spezifischen Beobachtungen zur oder aus der rechten Szene herauskamen
(zum Beispiel "No Exit" von Franziska Tenner, 2003).
## Extremisten auf beiden Seiten
Andres Veiel hat als vielleicht Einziger auf beide Seiten der
Radikalisierung reagiert, auch bei ihm gibt es zwischen "Der Kick" (2006,
über einen Gewaltfall in Brandenburg, bei dem drei Neonazis einen Jungen,
den sie als "Untermenschen" bezeichneten, zu Tode prügelten) und seinen
beiden Hauptwerken "Black Box BRD" (2000) und "Wer, wenn nicht wir" (2010)
eine gewisse Tendenz, den Linksterrorismus stärker zu berücksichtigen. In
"Wer, wenn nicht wir" wird die Frühgeschichte der RAF auch als eine
gescheiterte Auseinandersetzung mit dem faschistischen Erbe gesehen.
Eine spontane Hypothese dazu, warum das deutsche Mainstream-Kino sich so
auf die Thematiken des NS-Faschismus und des Linksterrorismus
konzentrierte, könnte auf mehrere Faktoren verweisen: Erstens handelt es
sich dabei um Themen, die vermeintlich schon zu Ende interpretiert sind,
sodass es zu Filmen wie "Der Untergang" oder "Der Baader-Meinhof-Komplex"
kommen konnte, die so tun, als wäre alles "so gewesen" wie in der von ihnen
gewählten Darstellung - sie versuchen damit eigentlich, Geschichtlichkeit
zu unterschlagen.
Zweitens erlauben diese Themen eine wohlfeile Form von politischer
"Unkorrektheit" - man kann sich leicht über Hitler und im Grunde auch über
Baader lustig machen, weil sie so lange ohnehin gebührend ernst genommen
wurden. Einen ostdeutschen Rechtsradikalen hingegen so ins Bild zu rücken,
dass Empathie nicht als Zustimmung missverständlich wird, und Distanz nicht
als Bloßstellung, erfordert ungleich subtilere Mittel und eine politische
"Korrektheit", die immer eine Gratwanderung sein wird.
Die Tatsache jedenfalls, dass es in Deutschland über viele Jahre eine
rechtsextreme Terrorzelle gab, die im Untergrund agierte, lässt vor allem
die "Hitlerei" (Dietrich Kuhlbrodt) des deutschen Kinos noch stärker als
das erscheinen, was sie zuletzt immer deutlicher wurde: ein nostalgischer
Reflex auf eine bewältigte Vergangenheit, deren Inspirationspotential für
politische Gewalt nicht mehr ernst genommen wurde.
18 Nov 2011
## AUTOREN
Bert Rebhandl
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