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# taz.de -- Elektrobeats zum Relaxen: Faulpelze kennen keine Zukunftsangst
> Neon Indian und andere US-Künstler haben Elektropop kreiert, der seiner
> Entspanntheit wegen Chillwave genannt wurde. Jetzt stellen sie ihre neuen
> Alben vor.
Bild: Sein "Deadbeat Summer" wurde zur Hymne: Neon Indian alias Alan Palomo.
Der "Summer of chillwave" ist gerade zwei Jahre her, und trotzdem wünscht
man ihn sich wieder herbei, weil er so intensiv war. Denn jener Sommer
gehörte Neon Indian und seinem tollen Song "Deadbeat Summer". Auch der
herrlichen Trägheit wegen wurde "Deadbeat Summer" zur Hymne aller
Faulpelze.
2009 war auch der Sommer von Toro Y Moi, von Memory Tapes und Small Black.
In jenem Sommer verbreiteten sich nämlich nicht nur erste Songs all dieser
Künstler im Netz. Ein Autor des Blogs Hipster Runoff erfand auch den
Begriff, der ihre Musik fortan verband: Chillwave.
Chillwave war der Soundtrack für die Akademiker unter den digital natives.
Stellen wir uns eine Geisteswissenschaftlerin am Ende ihres Studiums vor:
Sie blickt melancholisch zurück und etwas ziellos in die Zukunft, ihr
Aushilfsjob begeistert sie mäßig. Die Zeilen "I found a job / I do it fine
/not what I want / But I still try" aus dem Song "Blessa" von Toro Y Moi
sprechen ihr aus der Seele. Sie waren so etwas wie die Präambel des
Chillwave.
## Unfähig zur Imitation
Vergangenes Jahr folgten dann Debütalben der Protagonisten. Aber der Hype
verblasste. Als die Anzahl der Chillwave-Songs über ein Dutzend gebloggter
Tracks stieg, wurde bereits eine künstlerische Minikrise ausgerufen.
Inzwischen wird in der Blogosphäre gar gezweifelt, ob man Toro Y Mois
"Causers Of This" und Neon Indians "Psychic Chasms" überhaupt noch der
gleichen Musikrichtung zurechnen könnte.
Darüber hinaus wurde - allen voran vom New-York-Times-Popkritiker Jon
Pareles - moniert, Chillwave-Künstler wären Hipster, zu unfähig oder zu
feige, den 80er Synthiepop, den sie toll finden, überhaupt nur zu
imitieren.
Insofern ist das laufende Jahr 2011 jetzt entscheidend für das Genre
Chillwave. Alle Szenegrößen brachten jetzt neue Alben heraus. Neon Indian,
Toro Y Moi und Memory Tapes veröffentlichten ihre zweiten Alben, Washed Out
debütierte mit "Within And Without".
Nachdem mit Neon Indians "Era Extraña" soeben das letzte dieser Alben
erschienen ist, wird klar: Chillwave lebt - gerade weil jeder der
Beteiligten einen anderen Weg eingeschlagen hat. Die losen Gemeinsamkeiten
der Chillwaver bleiben bestehen. Alle sind sogenannte Laptop-Artists, zur
Produktion ihrer Musik brauchen sie nur sich und ihren portablen Computer.
Dazu kommen die Inspirationsquellen, die bei allen im schon erwähnten
Synthiepop der Achtziger liegen, vermischt mit Einflüssen der
Do-it-Yourself-Szene.
## Musik für emotionale Faulpelze
Am weitesten von den verrauschten Stimmen des Chillwave entfernt ist - und
war es schon immer - Dayve Hawks alias Memory Tapes. Zwar lässt er sich von
den Achtzigern inspirieren, eher aber von Joy Division als von OMD. Fast
prototypischer Chillwave ist dagegen auf dem Debüt von Washed Out zu hören.
Nicht nur der Name des Projekts von Ernest Greene, einem arbeitslosen
Bibliothekar, weist auf den verwaschenen Sound des Genres.
Auf "Within And Without" ist seine Stimme stets mit Hall und Filtern
bearbeitet, breiige Synthieflächen vermischen sich mit Synthiemelodien und
im Hintergrund pluckert ein Club-Beat gemächlich dahin.
Songs wie "You And I" oder "Eyes Be Closed" sind in ihrem lethargischem,
melancholischen Ton repräsentativ für die Chillwave-Stimmung. Washed Out
ist der Chillwave-Romantiker. Seine Songs drehen sich um die Sehnsucht,
Adressat ist meist ein namenloses "you". Washed Out - das ist Musik für
emotionale Faulpelze.
Chaz Bundick, der hinter Toro Y Moi steht, hatte mit besagtem "Blessa" das
Lebensgefühl im "Summer of chillwave" auf den Punkt gebracht. Nicht
zufällig verbindet es Chaz Bundick und Ernest Greene, dass sie gerade ihr
Studium absolviert hatten, als sie begannen, als Washed Out beziehungsweise
Toro Y Moi Musik zu machen. Chillwave ist die Musik der ersten Generation
von digital natives, die es zu akademischen Abschlüssen brachten.
Auf seinem zweiten, im Frühjahr erschienenen Album "Underneath The Pine"
zeigte Toro Y Moi nun einen deutlichen Hang zum Dancefloor. Seine Beats
sind schneller und druckvoller, manchmal erinnert das in Kombination mit
den Synthesizermelodien an die einschmeichelnden Beats von Italo-Disco. Das
Gegengewicht dazu bildet seine Vorliebe für Klavier- und Gitarrensamples.
## Ausgefeilte Arrangements
Auch auf "Underneath The Pine" zeigt sich, was Chaz Bundicks große Stärke
ist: Die Arrangements sind ausgefeilter als die von Washed Out und Neon
Indian. Er beherrscht Gitarren-Singer/Songwriter-Songs - freilich fehlen
auch hier die Synthesizer nicht - wie "Before Im Done", genauso wie der
cheesy Disco-Track "New Beat". Toro Y Mois Songs sind ein Spiel mit dem
Verhältnis von digitalen und wärmeren analogen Sounds.
Letztere interessieren wiederum Alan Palomo alias Neon Indian überhaupt
nicht. Bei ihm klingt alles, als wäre es frisch - oder besser gesagt so
kaputt, wie es sich anhörte - aus den Achtzigern importiert. Palomo ist
nach eigener Aussage auf der Suche nach dem Sound von Cyberpunk im Jahr
2011. Dementsprechend düster geht er auf "Era Extraña" zu Werke.
Ein zweiter "Deadbeat Summer" ist darauf nirgendwo zu finden, dennoch
stechen aus den Synthieflächen zwei Nummern heraus: Zum einen das
C-64-Gedudel von "Future Sick", zum anderen der treibende "Arcade Blues"
mit seiner knödeligen Synthiemelodie, seinem gehetzten Gesang und den
Spielhallen-Samples.
Ob das jetzt schon der Soundtrack zum Kampf des Cyberpunk gegen die
seelenlose Warenwelt ist, sei dahingestellt. Wie Punk wird auch Chillwave
mit einfachsten technischen Mitteln erzeugt. Die Musik einer
finanzkrisengeplagten Zeit, wie Jon Pareles anmerkte. Trotz Rezession:
Einen Laptop hat jeder. Den kann man übrigens nicht nur zum Musikmachen,
sondern auch zum Musikhören benutzen. Vielleicht hilft Neon Indian der
Zukunftsangst der digitalen Akademiker mit seinem Chillwave-Cyberpunk ja
auf die Sprünge.
18 Nov 2011
## AUTOREN
Elias Kreuzmair
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