# taz.de -- Schulpflicht: Die unsichtbaren Kinder von Horst | |
> Trotz eines eindeutigen Schulgesetzes sind Familien mit schulpflichtigen | |
> Kindern nach wie vor im Flüchtlingslager in Mecklenburg-Vorpommern | |
> untergebracht. Eine Schule gibt es dort nicht, auch keinen Bus. | |
Bild: Schulpflichtig aber keine Möglichkeit zum Schulbesuch: Kinder im Flücht… | |
HAMBURG taz | Sie sollten dort nicht mehr sein - doch noch immer wohnen | |
schulpflichtige Kinder im Flüchtlingslager Nostorf/Horst in | |
Mecklenburg-Vorpommern. Als Oppositionspartei hatte die Hamburger SPD sich | |
noch vehement gegen ihre Unterbringung in Horst ausgesprochen, schließlich | |
gebe es in dem Ort keine Schule. Doch seit die SPD im Senat sitzt, wird | |
über die dort untergebrachten Kinder nicht mehr gesprochen. | |
Es ist nicht leicht, sich als Besucher Zutritt zu dem Lager zu verschaffen, | |
das 60 Kilometer von Hamburg entfernt liegt. Die Pförtner überwachen das | |
Eingangstor, Anwälten war eine Zeit lang der Zugang verboten, Mitglieder | |
des Hamburger Flüchtlingsrats haben striktes Hausverbot. Der letzte | |
Pressetermin, eine begleitete Führung über das Gelände, liegt über ein Jahr | |
zurück. Individueller Zutritt unerwünscht, heißt es auf Anfrage. | |
Besucher sind also gut beraten, am Eingang den Namen eines Bewohners zu | |
nennen. Hashem Jafari ist 17, er ist Afghane und gehört zur ethnischen | |
Gruppe der Hasarer, die seit Jahrzehnten von den Paschtunen verfolgt wird. | |
Für drei Jahre darf er zunächst in Deutschland bleiben, er wohnt in einer | |
WG auf Hamburg-St. Pauli. Seine 25-jährige Schwester ist mit ihren zwei | |
Kindern in Horst untergebracht. | |
"Klack" macht das Tor mit den grünen Gitterstäben. Das Lager, drei | |
Kilometer hinter der Landesgrenze, ist umzäunt - und umgeben von | |
Maisfeldern und Brachflächen. Eine Schule gibt es nicht hier, auch keinen | |
Bus, der die Kinder transportieren könnte. Deshalb hatte die schwarz-grüne | |
Regierung in Hamburg in ihren Koalitionsvertrag geschrieben: Familien mit | |
Kindern dürfen in Horst nicht mehr untergebracht werden, die SPD hatte sich | |
ebenfalls für diesen Passus ausgesprochen. Das hat sie wohl vergessen. | |
Norbert Smekal, Sprecher der Hamburger Ausländerbehörde, bestätigt auf | |
Nachfrage der taz, dass derzeit 65 Minderjährige in Horst untergebracht | |
sind - "wie viele davon schulpflichtig sind, kann leider in der Kürze der | |
Zeit nicht ermittelt werden", sagt er. Insgesamt wohnten 169 in Hamburg | |
gemeldete Flüchtlinge im Horster Lager. | |
Die Innenbehörde weist jede Zuständigkeit in dieser Sache von sich. "Eine | |
Unterbringung von schulpflichtigen Kindern in Horst ist nicht gewollt", | |
sagt deren Sprecher Frank Reschreiter nur. Wenn die 70 vorhandenen | |
Erstaufnahmeplätze in der Hamburger Sportallee allerdings belegt seien, | |
müsse die Stadt notgedrungen auch Kinder nach Horst schicken. "Solange der | |
Vertrag läuft, also bis Ende 2012, werden wir die Unterbringung auch so | |
handhaben", sagt Reschreiter. Jeder Bewohner in Horst solle dort aber nur | |
drei Monate bleiben, für die weitere Unterbringung sei die Sozialbehörde | |
zuständig. | |
Da die Stadt Wohnungsmangel und keinen Platz hat, hatte sie 350 | |
Flüchtlingsunterkünfte im benachbarten Bundesland gekauft. Doch auch für | |
diejenigen, deren Status in Deutschland noch nicht geklärt ist, die sich | |
auf der Schwelle zwischen Drinnen und Draußen befinden, gelten gewisse | |
Standards. "Wer in der Freien und Hansestadt Hamburg seinen Wohnsitz oder | |
gewöhnlichen Aufenthalt hat, ist in Hamburg zum Schulbesuch verpflichtet." | |
So steht es im Hamburgischen Schulgesetz, §37, Artikel 1. Es gilt auch für | |
Flüchtlinge. | |
"Hashem! Hashem!", ein Mädchen kreischt und saust noch schnell die Rutsche | |
runter, bevor sie sich an Hashems Ärmel klammert. Auf dem Spielplatz sind | |
etwa 30 Kinder zu sehen. Mindestens ein Drittel ist offensichtlich im | |
schulpflichtigen Alter. Das Lager war früher eine Kaserne, heute | |
unterscheiden die Flachbauten pastellfarbene Fassaden. Von langen Fluren | |
gehen die Zimmer ab, auf etwa zwölf Quadratmetern stehen Feldbetten, ein | |
Spind, ein Tisch. Es gibt Waschräume für Frauen, Waschräume für Männer, | |
Plumpsklos. Hashem hat gebratene Auberginen mitgebracht. Und kleine | |
Marzipanschokoladen. Für die Kinder. | |
17 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
Emilia Smechowski | |
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