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# taz.de -- PorNeo – Pornofilm mit Anspruch: Sex, aber mit Niveau
> Saralisa Volm spielt die Hauptrolle in dem internet-finanzierten
> Neo-Porno "Hotel Desire". Zuvor reüssierte sie als "persönlichkeits-
> gestörte Sexbombe".
Bild: Im "Hotel Desire" haben Antonia (Saralisa Volm) und Julius (Clemens Schic…
Die "Ultrabrutalschöne" hat der Stern die Schauspielerin Saralisa Volm
genannt. Und das war nicht Jörges, der für Übertreibungen bezahlt wird. An
diesem Tag isst Volm in einem Lokal am Weinbergspark in Berlin zu Mittag.
Sie trägt darunter einen schwarzen Büstenhalter. Dezent, aber gut sichtbar.
Das muss dann jetzt aber auch schon genügen, denn das Gespräch dreht sich
um Patty, die Hauptfigur in Jonathan Franzens jüngstem Roman "Freiheit",
Bret Easton Ellis "Imperial Bedrooms" und worüber man sonst heute so redet.
Also Vegetarismus. Sie selbst ist keine Vegetarierin, wie man an ihrem
Essen unschwer erkennt, aber sie ist themakompetent und frei von
handelsüblichen Blockaden.
Volm ist 26, hat unlängst ihren Bachelor in Kunstgeschichte und Philosophie
gemacht, ist firm in Hegel, Luhmann, Wowereit - you name it. Klimawandel
sowieso. Sie liest Bücher möglichst nur ab 800 Seiten aufwärts. Und hat
soeben diesen 45-minütigen Fickfilm namens "Hotel Desire" abgedreht?
Falsch. Es handelt sich nicht um einen Fickfilm.
Es geht um Sex. Aber mit Niveau. Die Herausforderung sei, teilte Regisseur
Sergej Moya mit, "dass der Zuschauer es als normalen Teil der Handlung
empfindet, wenn er ein Geschlechtsteil sieht." Dafür wurde das Wort
"PorNEO" geschaffen, ein Superbegriff.
Ein beträchtlicher Anteil des 170.000-Euro-Etats wurde damit tatsächlich
über das Internet finanziert; sogenanntes Crowdfunding. Ein Ausweis von
Schwarmintelligenz, wenn man so will. Eine prominente Besetzung half sicher
auch. Dafür kriegt der Spender eine Nennung im Abspann und einen Zugang zur
Internetfassung, die in einem großen Portal zu sehen sein wird.
## Sex in Großaufnahme
Wann? Wenn Produzent Sascha Schwingel (teamworx) den Film auf der Berlinale
kommenden Februar unterbringt, dann danach. Falls nicht, noch in diesem
Jahr. Crowdfunding ist für Schwingel "ein Weg, besondere Filme zu
finanzieren, die mit normaler Finanzierung nicht funktionieren".
"Im Endeffekt", sagt Volm, "haben wir einen normalen Film gemacht, mit
einer expliziten Sexszene, aber keinen Hardcore-Porno." Der Unterschied zum
normalen Film sei, dass diese Sexszene "tatsächlich erzählt" werde. "Sex in
Großaufnahme?", röchelte Gräfin Dönhoffs Zeit so entsetzt wie begeistert.
Genau. Es wird gezeigt.
Worin besteht dann der Unterschied zum Porno? Sie lächelt. "Es klingelt
kein Klempner am Anfang, und es liegt auch nicht zufällig ein Strohballen
im Bad." Sondern? "Die Personen haben eine Geschichte, wir kennen sie, ihr
Zuhause, ihre Arbeit."
Nun spielt Saralisa Volm allerdings ein Zimmermädchen in einem Hotel, der
Mann ist ein blinder Maler, gespielt von Clemens Schick. "Klar, wir sind
nicht völlig abgerückt vom Klischee, wir spielen damit. Das fängt damit an,
das Ganze ,Hotel Desire' zu nennen …" Ihre Figur ist aber kein Klischee,
sondern eine verlorene Alleinerziehende, die ihr Leben so wenig auf die
Reihe kriegt, dass ihr achtjähriger Sohn sich um sie kümmern muss.
Was im krassen Gegensatz zu jenen Figuren steht, die Volm in Filmen des
Münchner Regisseurs Klaus Lemke spielt, des ungewöhnlichsten Filmemachers
in Deutschland. Gerade haben sie zusammen "Berlin für Helden" abgedreht. In
Lemkes grandiosem WM-2006-Film "Finale" war Volm eine Gelegenheitshostess
auf Männersuche, in "Dancing with Devils" zwingt sie eine andere Frau mit
vorgehaltener Knarre zu Oralsex.
## Mädchenstadt Berlin
Aber das ist jetzt verkürzt, und so wird man Lemke-Figuren und -Filmen
nicht gerecht. Lemke selbst beschrieb die Devils-Rolle in seiner
unnachahmlichen Art: "Saralisa ist eine persönlichkeitsgestörte Sexbombe,
ansteckend borderline, selbstzerstörerisch und Gift für jeden, der ihr zu
nahe kommt." Haut das hin? Jetzt lacht sie. "Genau."
Bei Lemke treten auch keine Frauen auf, sondern "Mädchen", wie er sie
nennt. Manche Frauen kotzen bei dem Wort ab, wenn Erwachsene gemeint sind.
"Verstehe ich", sagt Volm. "Aber gerade Berlin ist eine ziemliche
Mädchenstadt, in der Frauen sich wie Mädchen verhalten und bis 45 rumlaufen
und so tun, als wären sie noch Mädchen. Das hat etwas Antierwachsenes."
Lemkes Mädchen sind in der Regel Anfang 20 und im Idealfall "Freiwild im
Bett, Fegefeuer im Leben", wie der Meister zu sagen pflegt. Volm teilt
längst nicht alles an seiner Mädchentheorie, aber: "Das, finde ich, ist ein
Supersatz." Wieso jetzt genau? "Ich glaube, dass Männer mit dieser
Zuckerbrot-und-Peitsche-Nummer …", sie bricht ab, "dass das nicht immer
falsch ist, um es mal vorsichtig zu formulieren."
Die Mädchen in Lemkes Filmen haben keine Kinder, keine Familie, keinen Job,
sonst wäre es ja langweilig wie das Leben. Aus seiner Sicht. Sie können
sich stets voll auf ihr riesiges Problem konzentrieren - auf sich. Das
versuchen sie auf zweierlei Arten zu lösen: durch Gewalt oder durch Sex.
Bisweilen verbinden sie auch beides.
Manche halten Lemkes Weg, Sex zu zeigen, für "nah am Porno" (FAZ), aber
davon könne keine Rede sein, sagt Volm. "Sie ficken, aber Lemke zeigt ja
keinen Sex. Sie sind auch selten nackt." Der Unterschied zu "Hotel
Desire"?: "Sie ficken an irgendwelchen Hauswänden, aber es gibt so gut wie
nie eine wirkliche Auseinandersetzung mit einer Thematik, die auch auf
einer emotionalen Ebene stattfindet.
## Goldenes Handwerk Sex
"Bei Lemke ist Sex immer schnell und markiert meist den Übergang von einer
Katastrophe zur nächsten. "In ,Hotel Desire' ", sagt Volm, "ist Sex viel
langsamer, zärtlicher und schöner und viel mehr eine Lösung."
Das klingt gut. Wird womöglich gleich auch noch die Volksweisheit "Dumm
fickt gut" widerlegt und die gebildete Mittelschicht reklamiert dieses
goldene Handwerk nun auch noch für sich? Sie blickt skeptisch. Eine
Fangfrage? Ein Irrer? "Ich glaube nicht", sagt sie vorsichtig.
"Dafür müsste man erklären, über welche geistigen Fähigkeiten die
Darsteller verfügen." Nein: "Es geht darum, dass diese Frau alleine ist,
sich nicht um sich kümmert, keinen Platz für sich findet, dass ihr Sex
zufällig passiert und es ein befreiender Moment ist, weil es einmal auch um
sie geht."
Der deutsch-französische Sender Arte ist als Koproduzent eingestiegen. Und
wird den Film auch zeigen? "Wir sind wild entschlossen", sagt der
zuständige Redaktionsleiter Andreas Schreitmüller. Und zwar in der
Originalversion.
Weil das passt: Intelligenzsender und Intelligenzsex? Nee, sagt
Schreitmüller, "verkopften, intellektuellen Sex könnte ich mir gar nicht
vorstellen, das wäre ein Widerspruch in sich." Sex gehöre zum Leben, mehr
noch: "Ohne Sex kein Leben." Aufgabe von Arte sei es, auch diese Sache
"künstlerisch originell gegen die Klischees darzustellen".
Auf [1][hotel-desire.com] gibt es schon seit Längerem einen Trailer zu
sehen: eine Frau unter der Dusche. Nackt. Stimmungsmusik. Aber das Erste,
was man sieht, ist eine Hornhaut am Fußrücken. (Volm dementiert das.) Die
Kamera tastet sich dann den Körper hoch - und oben angekommen sieht man
Saralisa Volm beim Zähneputzen.
Volm wuchs in Bayern auf und später in Sindelfingen, also bei Stuttgart.
Mit neun schrieb sie in ihr Ferientagebuch, dass sie Schauspielerin werden
wolle. Sie ging dann aber erst nach Münster, wo man eher nicht für den Film
entdeckt wird; also weiter nach Hamburg.
## Ultrabrutale Klugscheißerin?
Lemke soll sie der Legende nach als Verkäuferin bei H&M entdeckt haben, was
auch fast stimmt. Er entdeckte sie. Und sie arbeitete tatsächlich bei H&M,
allerdings nur zwei, drei Tage. Sie ging am ersten Tag zu den Chefs und
sagte: "Wo fertigen Sie?" Wollte über die Produktionsbedingungen der
Kleidung informiert werden. Das fanden die Chefs seltsam. Und sie fand
seltsam, dass die das seltsam fanden.
In der Schule soll sie eine Klugscheißerin gewesen sein. Mehr noch: "Ich
bin es geblieben." Ja? "Ist echt schlimm." Sie wirkt aber gar nicht
klugscheißerisch. Eher klug. Ultrabrutal sieht sie übrigens auch nicht aus.
18 Nov 2011
## LINKS
[1] http://hotel-desire.com
## AUTOREN
Peter Unfried
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