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# taz.de -- Neues App Socialsitter: Online-Identität billig abzugeben
> Dachdecker, Party-Friseuse oder Hausfrau: Nun kann man sich im Social Net
> vertreten lassen. Und jetzt sollen nicht gleich wieder Kulturpessimisten
> vom Leder ziehen!
Bild: Jedes Problem lässt sich lösen.
Neulich ging ein Video durch die Presse, eine Braut vor dem Altar, kurz vor
dem Ja-Wort. In der Hand hat sie ihr Handy, das sie vorher im Dekolleté
versteckt hatte und das sie sich jetzt unter den Schleier hält, zum
Entsetzen all jener Boulevardmedien, die sie kurze Zeit zur Ikone des
modernen Sittenverfalls stilisierten, zum Mahnmal gegen das Always Online
in Zeiten des Smartphones. Bei so viel Symbolik war es beinah egal, dass
das Video [1][schon drei Jahre alt war].
Aber auf Aktualität kann der Boulevard als moralische Anstalt keine
Rücksicht nehmen: Zu drängend ist das Problem, dass das Netz das Leben
frisst, die Lieblingsthese aller Kulturpessimisten. Man schreibt die
Artikel neu, die im 19. Jahrhundert über Romane geschrieben wurden, im 20.
über das Radio und, natürlich, das Fernsehen, weil: alles geht den Bach
runter mit diesem Teufelszeug, und je schneller die Zeiten sich wandeln,
desto schneller ist der Kulturpessimist tot. Das kann er nicht akzeptieren,
der Kulturpessimist, denn wenn er tot ist, ist alles im Sack, dann hört die
Welt auf sich zu drehen.
Dabei gibt es andere, produktivere Möglichkeiten, das Problem der
immerwährenden Vernetzung zu lösen: Man ist ja mit seinen
Online-Identitäten nicht verwachsen. Im Gegenteil, alles, was einen mit
beispielsweise einem Facebook-Profil verbindet, sind ein Passwort, diesem
Ehegelübde ans Netz 2.0, und eine gemeinsame Geschichte.
## Das Versprechen kostenloser Vertretung auf Facebook
Diese gemeinsame Geschichte ist nie selbst erzählt, sondern voller
übernommener Bilder, Witzen, Spielen, Fotos. Es ist also nur ein kleiner,
auch die letzten Reste Autorenschaft an der eigenen Online-Identität
abzugeben und weiterzudelegieren, und es ist im Nachhinein erstaunlich,
dass erst jetzt jemand auf die Idee kommt, den Nutzern die Arbeit am
digitalen Ich vollständig abzunehmen. Aber jetzt ist es soweit: die
[2][//socialsitter.net/app/:App "Socialsitter"] verspricht, sofern
gewünscht, kostenlos eine Vertretung für das eigene Facebookprofil zu
stellen.
Man kann wählen, ob man sich (zum Beispiel) vom prolligen Dachdecker
vertreten lassen will, der durchgeknallten Party-Friseuse oder der
lieb-biederen Hausfrau: die übernehmen dann bis zu zwei Wochen die lästigen
Pflichten, wahllos "Gefällt mir" unter Statusmeldungen zu klicken oder den
ein oder anderen Satz fallenzulassen.
Ganz ernst gemeint ist die Aktion nicht. "Wir haben uns da einfach einen
kleinen Scherz erlaubt", sagt eine Mitarbeiterin der verantwortlichen
Werbeagentur Kolle Rebbe, die beeindruckt genug von der Resonanz ist, um
ihren Namen zu verschweigen. So viel verrät sie immerhin, dass die Telefone
kaum mehr stillhalten. Tatsächlich gehen aber mehr Bewerbungen als Social
Sitter ein, als dass Interessenten ihr Profil abgeben.
Aber das war ohnehin nicht der Hintergrund: Man habe eben neue Mitarbeiter
und neue Kunden anziehen wollen, heißt es. Das klappt auch ganz
hervorragend, und obwohl die Aktion noch nicht lange läuft, zieht sie schon
jetzt ein positives Fazit. "Das ist auf jeden Fall gelungen."
Momentan bietet die Agentur den Service nur als Urlaubsvertretung an, bis
zu 14 Tage, aber das ist ganz sicher nur ein Anfang. Andere werden die
Lücke sicher auszufüllen wissen und daraus ein lebenslanges Angebot machen.
Oder sogar darüber hinaus: Kathrin Passig, visionär wie häufig, äußerte
einst den Wunsch, man möge sie, wenn sie mal tot sei, bei allen Social
Networks anmelden, die ihr gefallen hätten – "statt Blumen".
18 Nov 2011
## LINKS
[1] http://www.bildblog.de/34611/die-braut-die-sich-was-traut/
[2] http://https
## AUTOREN
Frédéric Valin
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