# taz.de -- Neuer Polanski-Film: In der Gummizelle der Gesellschaft | |
> Roman Polanski hetzt in "Der Gott des Gemetzels" zwei brave bürgerliche | |
> Paare gegeneinander. Die verlassen schon bald die Pfade der Zivilisation. | |
Bild: Schlachtordnung: Szene aus "Der Gott des Gemetzels". | |
So könnte das Setting aussehen, wenn die Theaterautorin Yasmina Reza an | |
ihren Stücken arbeitet: Wie ein Kind hat sie aus Schuhkartons ein besonders | |
hübsches Modell der bürgerlichen Gesellschaft gebastelt, bevölkert von | |
wohlgekleideten Puppen. Man meint bereits die Höflichkeitsfloskeln zu | |
hören, den gepflegten Konversationston, mit dem der letzte Theaterbesuch, | |
die angesagte Kunstausstellung verhandelt werden. | |
Doch bauen Kinder nicht nur gerne Welten, sie zerstören sie mindestens | |
genauso lustvoll. Mit sadistischem Grinsen und Genuss reißt Yasmina Reza in | |
ihren Theaterstücken die aus Formen und Konventionen bestehende Fassade der | |
gehobenen Mittelschicht ein, blickt in Risse und dann in Abgründe, | |
befördert Triebe und Verdrängtes ans Tageslicht. | |
Wer wissen will, wie schnell unsere kleine Zivilisation den Bach | |
runtergehen kann, der sollte sich Roman Polanskis Leinwandadaption von | |
Rezas gleichnamigem Stück "Der Gott des Gemetzels" anschauen. Eine Wohnung | |
gutsituierter Leute im New Yorker Stadtteil Brooklyn wird zum | |
Kriegsschauplatz, und ein unaufhaltsam ausrastendes Darstellerquartett | |
zerrt die Fratzen, das Undomestizierte, Kreatürliche hinter unseren wohl | |
eingerichteten Existenzen ins Scheinwerferlicht. | |
Dabei beginnt alles ganz harmlos: Mit dem zunächst noch gesitteten | |
Rendezvous zweier Paare. Man trifft sich, um den gewaltsamen Streit der | |
halbwüchsigen Söhne zu regeln, bei dem der eine zwei Schneidezähne verloren | |
hat. Gemeinsam will man die Sache aus der Welt schaffen und für die | |
Versicherung eine gemeinsame Erklärung schreiben. Hier die linksliberalen | |
Cowens (Jodie Foster und John C. Reilly), die mächtig stolz sind auf ihre | |
Toleranz und ihr Gemeinschaftsgefühl. Und auf der anderen Seite das Ehepaar | |
Longstreet (Kate Winslet und Christoph Waltz) - er mit Trenchcoat, sie mit | |
Lackhandtasche. Die beiden mögen etwas spießig wirken, dafür geben sie sich | |
umso umgänglicher. | |
## Familie wird Sippe | |
Doch schon beim ersten, recht spitzmündigen Gespräch scheint die Rede-, | |
Verhandlungs- und Versöhnungsbereitschaft der Ehepaare ein wenig zu | |
aufgesetzt. Tatsächlich braucht es nur ein einziges Wort, um die Fronten zu | |
eröffnen: Hat sich der Sohn der Longstreets mit einem Stock "bewaffnet"? | |
Oder kann man das hässliche Wort nicht durch "ausgestattet" ersetzen? Zwei | |
Auffassungen, die zu Schlachtordnungen führen, zwei Familien, die plötzlich | |
zu Sippen werden. | |
In ihren Stücken hat Yasmina Reza das "Tropismen-Verfahren" der | |
französischen Schriftstellerin und Nouveau-Roman-Begründerin Natalie | |
Sarraute übernommen und ins Boulevardeske, Absurde überführt. In ihren | |
mikroskopisch genau beobachteten Romanen setzte Sarraute die | |
unwillkürlichen "Reizbewegungen" niederer Organismen mit den Impulsen | |
gleich, die das menschliche Innenleben steuern. Über die Sprache kommen bei | |
Sarraute die Komplexität und Kompliziertheit des seelischen Lebens, seine | |
Tiefen und Untiefen, die verdrängten und abgründigen Gefühle zum Vorschein. | |
Was bei Nathalie Sarraute eine Nuance im Tonfall auslösen kann, entlädt | |
sich bei Reza allerdings nicht selten in Dezibelstärken, bei denen man als | |
Zuschauer in Deckung gehen möchte. Roman Polanski wiederum setzt, salopp | |
gesagt, noch einen drauf. | |
Bis auf die kurze Eröffnungs- und Abschlusssequenz spielt sein Film | |
ausschließlich in der Wohnung der Cowens. Bei Polanski, dem Herrn der | |
Paranoia und der klaustrophobischen Zustände, wird das Quartett wie mit | |
unsichtbaren Fäden an die Wohnung gefesselt, und das bürgerliche Ambiente | |
entblößt sich als Gummizelle der Gesellschaft. | |
Doch auch wenn man sich vorstellen kann, mit welcher diabolischen Freude | |
Polanski sein Quartett aufeinanderhetzt, Jodie Foster anfeuert, ihre Stirn | |
noch mehr in Zornesfalten zu legen, Kate Winslet auffordert, endgültig die | |
Fasson zu verlieren, ist der Regisseur hier nicht die graue Eminenz im | |
Hintergrund. Die Überlebens- und anderen Instinkte brechen in Rezas | |
Theaterstück so schnell und krachend hervor, dass es letztlich gar keinen | |
Marionettenmeister mehr braucht. | |
Streiten die Cowens und die Longstreets zunächst über ihre Söhne und | |
Erziehungsfragen, geht es plötzlich in die große Politik und dann ans | |
Eingemachte. Es beginnt ein Krieg zunächst zwischen den Paaren, dann | |
zwischen den Geschlechtern, der in einem Krieg der Selbst- und Weltbilder | |
gipfelt. | |
## Irgendwie zum Kotzen | |
Bei dieser Schlacht wird viel Kuchen gegessen und viel Whisky getrunken und | |
irgendwann kann Kate Winslet nicht mehr an sich halten. Sie erbricht sich | |
in hohem Bogen auf den Tisch. Es ist eine Entladung, bei der eine Frau ihr | |
spießiges Dasein, ihre Frustration über ihre Rolle und ihr Leben auskotzt. | |
Das Perfide dabei ist, dass sie auf Jodie Fosters teure Kunstbände spuckt, | |
die als Symbol verbissener Bildung ja auch irgendwie zum Kotzen sind. | |
In der nächsten Eskalationsstufe wird Winslet ihrem Mann das Smartphone aus | |
der Hand reißen und in die Blumenvase schmeißen. Während sie einen herrlich | |
hysterischen Lachkrampf bekommt, fällt er, aller Status- und | |
Geschäftskontakte beraubt, wie ein Häufchen entmanntes Elend in sich | |
zusammen. "Der Gott des Gemetzels" ist eine boulevardeske Randale, eine | |
fast schon zwangsläufige Entgleisung, amüsant anzusehen, aber auch ein | |
wenig mechanisch. | |
Bleibt die Frage, weshalb Roman Polanski den Schauplatz von "Der Gott des | |
Gemetzels" von Paris nach New York verlegt hat. Wegen des in den USA gegen | |
ihn vorliegenden Haftbefehls konnte er die wenigen Außenaufnahmen ohnehin | |
nicht selbst drehen. | |
Vielleicht sollte man in diesem Zusammenhang nicht nur das Schlussbild von | |
"Der Gott des Gemetzels" als ironische Anspielung bewerten: Man sieht einen | |
von Mr Cowen ausgesetzten Hamster munter durch den Park laufen, er hat | |
seine kreatürliche Bestimmung wiedererlangt. Bei uns Menschen sieht es | |
weniger idyllisch aus, wenn wir die kaum ausgetretenen Pfade der | |
Zivilisation verlassen. | |
"Der Gott des Gemetzels". Regie: Roman Polanski. Mit Kate Winslet, Jodie | |
Foster u. a. Deutschland/ Frankreich 2011, 79 Min. | |
24 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
Anke Leweke | |
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