# taz.de -- Rentenreform in Großbritannien: Zwei Millionen Beschäftigte strei… | |
> Die Renten sinken, das Eintrittsalter steigt, mehr als 700.00 Stellen | |
> sollen weg. Aus Protest streiken die britischen Angestellten im | |
> öffentlichen Dienst für 24 Stunden. | |
Bild: Protest gegen die geplanten Kürzungen in London. | |
LONDON taz | Pünktlich um eine Minute nach Mitternacht verließen | |
Großbritanniens Krankenhausangestellte gestern ihren Arbeitsplatz. Es war | |
der Auftakt zum größten Streik seit über 30 Jahren. 29 Gewerkschaften | |
beteiligten sich daran, mehr als zwei Millionen Angestellte des | |
öffentlichen Dienstes legten die Arbeit aus Protest gegen die geplante | |
Rentenreform für 24 Stunden nieder. | |
Die öffentlichen Angestellten sollen bis 2015 insgesamt 2,8 Milliarden | |
Pfund mehr in die Rentenkassen einzahlen - bei gleichzeitiger Senkung der | |
Renten sowie einer schrittweisen Erhöhung des Rentenalters auf 68. So | |
sollen Lehrer zum Beispiel ab 2014 doppelt so viel einzahlen wie bisher. | |
Bob Crow, Chef der Gewerkschaft RMT, sagte: "Bei einer Inflation von mehr | |
als 5 Prozent und einer Erhöhung der Rentenbeiträge büßen Krankenschwestern | |
und andere Bedienstete in den nächsten vier Jahren ein Viertel ihres | |
Gehalts ein, während das Einkommen der Bosse um 12 Prozent im Jahr steigt. | |
Das ist ein Skandal." Der Streik sei eine erste Warnung. | |
Seine Auswirkungen auf den Alltag hielten sich allerdings in Grenzen. Die | |
Passbehörden und 60 Prozent der Schulen blieben geschlossen, der Müll wurde | |
nicht abgeholt, und nicht lebenswichtige Operationen wurden verschoben, | |
aber da Busse, Bahnen und die Londoner U-Bahn fuhren, gelangten die nicht | |
Streikenden wie gewohnt zur Arbeit. | |
## Kein Chaos | |
Auch an den Flughäfen kam es nicht zu dem erwarteten Chaos. In | |
London-Heathrow hatte man bei der Ein- und Ausreise mit Wartezeiten von bis | |
zu zehn Stunden gerechnet und Wasser, Obst und sogar Windeln | |
bereitgestellt, da die 5.000 Grenzkontrollbeamten zu Hause geblieben waren. | |
Doch es ging alles glatt, weil die Grenzkontrollbehörde die Kollegen in den | |
USA, Kanada, Australien und Japan um besonders gründliche Kontrollen beim | |
Einchecken gebeten hatte. Außerdem hatten tausende Ministerialangestellte, | |
Polizisten und Botschaftspersonal am vergangenen Wochenende - für 450 Pfund | |
Überstundengeld - Schnellkurse in Sachen Grenzkontrolle absolviert und | |
kamen gestern zum Einsatz. | |
Sie fassten zahlreiche Drogenschmuggler, die den Streik der | |
Grenzkontrolleure offenbar ausnutzen wollten. In Stansted wurden unter | |
anderem 1,5 Kilogramm Kokain beschlagnahmt. | |
Je nachdem, welche Zeitung man las, lehnte die britische Öffentlichkeit den | |
Streik entweder mit großer Mehrheit ab oder unterstützte ihn mit | |
überwältigender Mehrheit. Laut Evening Standard waren mehr als zwei Drittel | |
der Befragten gegen den Streik, laut Guardian war es lediglich ein Fünftel, | |
während die Umfrage der Daily Mail ergab, dass 90 Prozent der Bevölkerung | |
mit den Streikenden sympathisierten. | |
## Der Schatzkanzler provoziert | |
Der britische Schatzkanzler George Osborne gehörte nicht dazu. Er hatte die | |
öffentlich Bediensteten am Vortag noch mehr provoziert. In seiner | |
traditionellen Herbsterklärung zum Zustand der britischen Wirtschaft | |
kündigte er an, dass die Gehälter der Staatsdiener, die über zwei Jahre | |
eingefroren sind, auch danach nur um ein Prozent steigen werden. Darüber | |
hinaus werden in den kommenden fünf Jahren 710.000 Stellen gestrichen. | |
Osborne malte ein düsteres Bild. Das britische Defizit sei höher als | |
erwartet, das Wachstum dagegen geringer als noch im März prognostiziert. | |
Damals erwartete man 1,7 Prozent, es wurden 0,9 Prozent. 2012 wird die | |
Wirtschaft statt wie erwartet um 2,5 nur um 0,7 Prozent wachsen. Deshalb | |
müsse man in den nächsten fünf Jahren zusätzlich 111 Milliarden Pfund | |
aufnehmen. | |
Die Tories waren voriges Jahr mit dem Versprechen angetreten, den Haushalt | |
bis zu den Wahlen in dreieinhalb Jahren auszugleichen. Nun drohe die Gefahr | |
einer erneuten Rezession, sagte Osborne. Er machte dafür vor allem die | |
Eurokrise verantwortlich. Die Hälfte der britischen Exporte gehe in die | |
EU-Länder. Und die könnten sich britische Waren demnächst vielleicht nicht | |
mehr leisten. | |
Zum Schluss seiner Rede wandte er sich an die Gewerkschaften. "Kommt zurück | |
an den Tisch", sagte er. "Ich frage euch erneut, warum ihr unserer | |
Wirtschaft in diesen schwierigen Zeiten schaden und Arbeitsplätze gefährden | |
wollt? Blast eure Streiks ab." Die Gewerkschaften erklärten dagegen, der | |
Streik sei der Auftakt für weitere Aktionen, sollte die Regierung an der | |
Rentenreform festhalten. | |
30 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
Ralf Sotscheck | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |