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# taz.de -- Ist Skifahren noch vertretbar?JA
> WINTERSPORT Jedes Jahr ziehen vier Millionen Skifahrer in die Alpen. Und
> stürmen auf Skiern wieder runter
Andrea Fischer, 36, Glaziologin am Institut für Meteorologie der
Universität Innsbruck
Ja natürlich Skifahren! Skifahren sichert das Überleben des gemeinen
knorrigen Gebirglers in seinem Habitat. Ohne Skitourismus wäre der
Lebensraum dieser Spezies gefährdet, mitsamt seiner unvergleichlichen
Kultur. Die Alpen, wie wir sie kennen, sind keine Natur-, sondern eine
Kulturlandschaft mit einem mühsam über tausende Jahre erarbeiteten
Landschaftsbild. In den letzten Jahrzehnten sind zu den traditionellen
Wirtschaftsgebäuden auch Seilbahnen gekommen. Müsste der Hintergebirgler
täglich zur Arbeit talauswärts fahren, würde er mehr CO2 an die Atmosphäre
abgeben als der Skitourist bei seiner Anreise. Natürlich braucht Skifahren
Wasser und Energie. Verzichten wir auf das Skifahren, sitzen wir
wahrscheinlich nicht untätig zuhause, sondern hinterlassen an anderen
Stellen unsere ökologischen Fingerabdrücke. Aber wieso sollten wir immer
aus moralischen Gründen die Dinge einsparen, die unglaublich viel Spaß
machen? Ökologisch handeln kann auch heißen, einen langen Urlaub statt
vieler kurzer zu machen. Das hilft außerdem beim Entschleunigen und
Seelebaumelnlassen. Ganz ohne Wechselwirkung mit der Umwelt kann weder
Mensch noch Tier existieren. Wir haben in Österreich sehr aufwendige
Genehmigungsverfahren, in denen mögliche ökologische Auswirkungen von
Anlagen im Vorhinein abgeschätzt und genau geprüft werden. Gilt eine Anlage
als ökologisch bedenklich, wird sie gar nicht erst genehmigt.
Jörg Ruckriegel, 38, ist Geograf und Ressortleiter Naturschutz beim
Deutschen Alpenverein
Auch wenn als Folge der Klimaerwärmung die Schneesicherheit gerade in
tiefen Lagen immer weiter abnimmt – Skifahren ist nach wie vor eine
faszinierende Sportart. Umweltprobleme entstehen vor allem immer dann, wenn
Skigebiete ohne Rücksicht auf Natur und Landschaft expandieren oder massiv
in Beschneiungsanlagen investieren. Hier sollte jeder Skifahrer das Angebot
auch unter Gesichtspunkten der Nachhaltigkeit kritisch überprüfen. Nicht
zuletzt besteht auch die Möglichkeit, beim winterlichen Skierlebnis ganz
auf die massive Infrastruktur von Liftanlagen, Pisten und Schneekanonen zu
verzichten. Wer als Skitourengeher im freien Gelände unterwegs ist, kann
Natur pur erleben. Natürlich nur mit einer fundierten Ausbildung und
Rücksicht auf die Tier- und Pflanzenwelt der Berge.
Jakob Tigges, 36, ist Architekt und Autor der städtebaulichen Utopie „The
Berg“ in Berlin
Großeinkauf im heimischen Aldi, Packen, Beladen, ADAC, zehn bis zwanzig
Stunden auf der Autobahn, Dosenravioli und Daunenjacken in karge Hütte
laden, Ausziehen, Anziehen, Anstehen am Skibus, Anstehen für den Skipass,
Anstehen am Lift, zehn bis zwanzig Minuten Abfahrt – Skifahren macht uns
Spaß. Für die Alpen ist die Ski-Saison wohl so etwas wie die Love Parade zu
ihren größten Zeiten für Berlin – aber ganze drei Monate lang, jeden Tag.
Das würde zwar nicht jede Lerche im Tiergarten glücklich machen, aber die
Stadt und eine Menge Leute würden gut daran verdienen. Dabei ist es uns
eigentlich egal, ob wir skifahren oder raven, solange unsere Bekannten das
Gleiche machen. Das Problem resultiert also eher aus der mangelnden
Differenzierung bürgerlicher Hobbys als der Tätigkeit an sich. Skifahren
ist in Ordnung, genau wie Raven oder Kegeln. In Neuss und Dubai hat man mit
dem Bau von schrägen Tiefkühlhallen versucht, der Verstopfung der Berge
entgegenwirken, mit mäßigem Erfolg. Einzig Berlin, Brutstätte der
Innovation, ist in der Lage, das Massentourismusdilemma umzudrehen – seit
es einen Berg hat: The Berg ([1][www.the-berg.de]). Skifahren ohne Anfahrt,
Anstehen und Bezahlen, Schlittenfahren mit Blick auf den Alexanderplatz.
Und vor allem: Je mehr Leute mitmachen, desto vollkommener wird die Idylle.
## NEIN
Julian Heiermann, 33, ist Zoologe und Naturschutzexperte beim
Nabu-Bundesverband
Der Alpenraum ist bereits stark gebeutelt. Durch die Folgen des
Klimawandels wird die Wintersaison immer kürzer: Waren es in den
1970er-Jahren noch 120 Tage, sind es heute, mit massivem Einsatz von
Beschneiungsanlagen, 100 Tage, Tendenz fallend. Die „Lösung“ ist häufig d…
Ergründung neuer Skigebiete in höheren Lagen. Die Folge: noch mehr
Zerstörung, Zerschneidung der Landschaft durch Pisten und Lifte, Abholzung
der wertvollen Wälder, Bodenverdichtung, Erosion. Alles auf Kosten der
Tier- und Pflanzenwelt. Und mit Schneekanonen wird weiter aufgerüstet. Pro
Hektar werden gut 1 Million Liter Wasser und Energie von im Schnitt
unglaublichen 15.000 Kilowattstunden verbraucht. Dies entspricht in etwa
dem dreifachen Verbrauch eines Vier-Personen-Haushaltes. Der intensive
Wintersport riskiert, sein wertvollstes Gut zu zerstören: seine Natur und
die atemberaubende Schönheit der Alpen.
Undine Kurth, 58, naturschutzpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion
Die Grünen
Wir wären gut beraten, genau hinzuschauen, was wir den Wintersportgebieten
noch zumuten können. Wenn für das Geschäft mit dem Wintersport Wälder
fallen, Wasser für Kunstschnee verpulvert wird und Skilifte bis mitten in
die Nacht arbeiten, dann greifen wir rabiat in den Naturhaushalt ein. Viele
natursportlich genutzte Bergregionen befinden sich in einer bedrohlichen
ökologischen Schieflage. Infolge des Klimawandels sind zudem immer weniger
Orte schneesicher. Gerne weicht man dann in höhere, aber ökologisch
sensible Gebiete aus. Bau- und Erschließungsmaßnahmen führen zu weiteren
Belastungen, unverbaute Flächen werden selten. Haben wir eigentlich nichts
dazugelernt? Mein Plädoyer: Bewegung ist gesund, Skifahren auch – und doch
ist es nicht überall gut. Wir müssen nicht auf das Skifahren, sollten aber
dringend auf die Erschließung neuer Skigebiete verzichten.
Jens Niemann ist taz.de-User und kommentierte die Streitfrage über
[2][[email protected]]
Wer im Sommer die Bergwelt durchwandert und sich an ihren Pflanzen und den
Felsformationen erfreut, der ist jedes Mal aufs Neue erschreckt, wenn er
auf eine Abfahrt stößt. Zerstörte, der Erosion schutzlos ausgelieferte
Natur, wissentlich zerstört. Die, die Abfahrtski fahren wollen, sollten
zuvor den Anstieg zu Fuß bewältigen. Dadurch gewännen sie an Kondition und
der Körper wäre auch ohne Heißgetränk oder gar Alkohol gut aufgewärmt für
die Abfahrt.
Carmen de Jong, 41, Professorin am Gebirgsinstitut der Universität Savoyen,
Frankreich
Während der letzten 50 Jahre hat sich das Skifahren in den Alpen
intensiviert und wird zunehmend durch umfangreiche technologische Hilfen
unterstützt. Oft können sich während der kurzen Sommer in den Hochlagen die
Vegetationsdecken nicht regenerieren und werden Herde der Bodenerosion. In
Anpassung an den Klimawandel nehmen die Belastungen der Natur erheblich zu.
Die künstliche Beschneiung und Bearbeitung der Skipisten mit tonnenschweren
Pistenfahrzeugen verändert Böden, Vegetation, Wasserhaushalt und
Wasserqualität. Der tägliche Wasserverbrauch pro Skifahrer wird durch
künstliche Beschneiung mindestens verdoppelt – zu Lasten von
Feuchtgebieten. Weitflächig führt auch die Vernichtung der
jahrtausendealten Böden in wenigen Jahren zur Entwicklung von immer
größeren Arealen mit CO2-Ausstoß. Zu bedenken ist, dass der Autoverkehr im
Zusammenhang mit dem Tourismus den Hauptanteil der CO2-Ausstöße verursacht
(75 Prozent).
2 Jan 2010
## LINKS
[1] http://www.the-berg.de
[2] /[email protected]
## AUTOREN
Andrea Fischer / Jörg Ruckriegel / Jakob Tigges / Julian Heiermann / Undine Ku…
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