# taz.de -- Papierlos in Deutschland: "Niemand will hier für immer leben" | |
> Er ist einer von Hunderttausenden: Joseph aus Westafrika lebt und | |
> arbeitet ohne Papiere in Deutschland. Er hoffte auf ein besseres Leben - | |
> und ist enttäuscht. Ein Protokoll. | |
Bild: Küchenhilfe in Hamburg, sechs Tage die Woche. | |
Eigentlich heiße ich nicht Joseph. Aber der Name gefällt mir, weil Joseph | |
der Sohn Jakobs war, der an die Ägypter verkauft wurde. Er musste in einem | |
fremden Land überleben, so wie ich jetzt. Ich bin seit neun Monaten hier in | |
Deutschland, ohne Papiere. Ich bin 30 Jahre alt und habe in meiner Heimat | |
in Westafrika eine Frau und zwei Kinder. Meine Tochter ist sechs Jahre alt | |
und mein Sohn zwei. | |
Ich arbeite als Küchenhilfe in einem Hamburger Restaurant. An sechs Tagen | |
in der Woche stehe ich morgens um 4:30 Uhr auf. Weil ich zur Untermiete bei | |
einer Familie wohne und in einem Zimmer mit den zwei kleinen Söhnen | |
schlafe, lege ich mir mein Handy mit Weckfunktion unters Kopfkissen, damit | |
sie nicht aufwachen. An meinem einzigen freien Tag in der Woche toben sie | |
durchs Zimmer. Wenn ich abends im Restaurant fertig bin, ist es manchmal | |
schon 23 Uhr. Ich bin dann erst um 0:30 Uhr im Bett. | |
Mein größtes Problem ist: Ich habe keine Zeit, mich zu erholen. Ich glaube, | |
wenn ich keine Frau und keine Kinder hätte, dann würde ich mich hier nicht | |
so zu Tode schuften. Ich dachte, es wäre leichter, in Deutschland reich zu | |
werden. Diejenigen, die zurückkommen, geben immer mit ihrem Geld an. Sie | |
behaupten, dass sie in Autowerkstätten und Textilfabriken gearbeitet | |
hätten. Mittlerweile weiß ich, dass sie gelogen haben. | |
Körperlich geht es mir viel schlechter als in Afrika, aber meinem Kopf geht | |
es besser. Ich habe mich von einer Last befreit. In meiner Heimat hatte ich | |
Arbeit auf einer Palmölplantage. Aber das Geld, das ich da verdient habe, | |
reichte nicht zum Leben. Ich konnte nicht mal das Schulgeld für meine | |
Tochter bezahlen. Außerdem bin ich als ältester Sohn auch verantwortlich | |
für sieben jüngere Geschwister. Unsere Eltern sind beide schon tot. | |
## Elf Menschen ernährt | |
Der Besitzer des Restaurants hat mir vor ein paar Tagen mitgeteilt, dass | |
ich nur noch vier Wochen für ihn arbeiten kann. Weil dann nicht mehr genug | |
zu tun ist, aber auch, weil ich keine Papiere habe und er Probleme bekommt, | |
falls sein Restaurant kontrolliert wird. Wenn ich hier aufhöre, werde ich | |
ihm auf jeden Fall danken und sagen, dass er mit seinen Lohnzahlungen elf | |
Menschen ernährt hat. Ich schicke jeden Monat Geld nach Hause für Reis, | |
Seife, Schulsachen und die Stromrechnung. | |
In meiner Heimat denkt jeder schon in der Kindheit daran, nach Europa oder | |
Amerika zu gehen. Als ich sieben oder acht Jahre alt war, kam ich einmal | |
nach Hause und fand in dem Zimmer, in dem wir zu neunt lebten, eine große | |
Tasche. Ich öffnete sie - und sie war voller Geldscheine. Ich fragte meinen | |
Vater danach. Er erzählte mir, dass drei meiner Cousins aus Kanada | |
zurückgekommen seien und dass er das Geld für sie verstecke. | |
Einer der Cousins sagte mir: "Geh weiter zur Schule. Ich komme und hole | |
dich, wenn du älter bist." Das Versprechen hat er nicht gehalten, wie viele | |
andere nach ihm. Vor ein paar Jahren sagte mir ein anderer Cousin, der in | |
Italien lebt, ich solle zu Fuß nach Libyen gehen und dann mit dem Schiff | |
nach Italien fahren. Meine Familie war aber dagegen, dass ich weggehe. | |
Vor einem Jahr habe ich mich dann aber doch anders entschieden. 6.000 Euro | |
haben mich die Flugtickets und die Papiere gekostet, mit denen ich für drei | |
Monate nach Spanien einreisen durfte. Meine Tante stimmte zu, Geld von der | |
Bank zu leihen, um das zu bezahlen. Dafür hat die Bank die Kakaofarm, die | |
meine Tante von meiner Großmutter geerbt hat, für fünf Jahre übernommen, | |
bis der Kredit zurückgezahlt ist. | |
Meine Frau erfuhr durch Zufall davon. Sie hörte mit, wie ich einmal mit dem | |
Verbindungsmann, der die Papiere besorgt hat, telefonierte. Am Anfang war | |
sie nicht begeistert. Aber ich habe ihr gesagt: "Wenn alles funktioniert, | |
wirst du für immer lächeln." Jetzt ist sie glücklich, weil ich jeden Monat | |
Geld schicke und die Familie versorgt ist. | |
Nach Europa zu gehen ist in Afrika eine geheime Sache. Man erzählt | |
niemandem davon, bis man sicher angekommen ist. Wir glauben daran, dass | |
Geister von Menschen Besitz ergreifen und einem schaden können. Meinen | |
Geschwistern sagte ich, dass ich für eine Woche einen Job in einer | |
entfernten Goldmine habe. Als ich dann aus Spanien anrief, haben alle | |
gejubelt. | |
## Mit geliehenen Papieren nach Hamburg | |
Bei meiner Ankunft hatte ich zwei Schichten Kleidung an, außerdem hatte ich | |
eine Zahnbürste, ein Handtuch und eine Bibel dabei. In Spanien konnte ich | |
ein paar Mal auf einer Melonenplantage in Almería arbeiten. Viele der | |
anderen Arbeiter aus Afrika haben Drogen genommen, weil es so anstrengend | |
war. Nach drei Monaten bin ich mit dem Zug nach Hamburg gefahren. Ich hatte | |
geliehene Papiere dabei, wurde aber nicht kontrolliert. | |
Mein erster Eindruck von Deutschland? Ich war enttäuscht. Es war alles viel | |
gewöhnlicher, als ich es im Fernsehen gesehen hatte. Bevor ich herkam, | |
hatte ich mir vorgestellt, für immer hierzubleiben, eine weiße Frau zu | |
heiraten und "Oyibos", Mischlingskinder, zu bekommen. Aber wenn ich mir die | |
Kultur hier anschaue, dann möchte ich das nicht mehr. Viele Menschen haben | |
keine Achtung vor Gottes Wort. Und man wird dazu erzogen, selbstsüchtig zu | |
sein. Als ich mich neulich bei der Arbeit an der Hand verletzt habe, hat | |
mein Chef sich nicht erkundigt, wie es mir geht. Ihm ging es nur darum, ob | |
ich die Arbeit schnell genug hinbekomme. | |
Drei Jahre muss ich in Deutschland arbeiten, damit es sich lohnt. Ich weiß, | |
wir Illegale beunruhigen euer Land. Zirkuläre Migration? Wenn ich diese | |
Chance bekommen würde, wäre das perfekt für mich. Niemand will hier für | |
immer leben und sterben. Ich denke, drei Jahre sollten dabei das Minimum | |
sein. Anders ist es bei denen, die hier Kinder bekommen. Sie können nicht | |
zurück in ihre Heimat, weil die Kinder, die hier geboren wurden, das Leben | |
dort nicht ertragen könnten. | |
Wenn alles gut läuft, kann ich schon in einem Jahr den Kredit | |
zurückbezahlen. Ich habe nächste Woche ein Gespräch bei einem | |
Imbissbesitzer. Aber für den Job brauche ich Papiere. Ich habe auch schon | |
jemanden, dessen Papiere ich haben kann, aber der will 150 Euro pro Monat | |
dafür. Ich muss dann seinen Namen, seinen Geburtstag, seine Adresse und | |
seine Krankenkasse auswendig lernen. Er sieht mir zwar nicht so ähnlich, | |
aber das ist normalerweise kein Problem. Es ist komisch mit euch Weißen: | |
Ein Schwarzer ist für euch ein Schwarzer. | |
## Ein Schwarzer ist für euch ein Schwarzer | |
Manche Frauen, die schwanger sind, geben jemanden für 10.000 Euro als Vater | |
des Kindes an, damit er dann Papiere bekommt. Wenn die Behörden einen | |
Bluttest wollen, geht der echte Vater hin. Ich kenne eine Frau, die hat | |
drei Kinder, angeblich alle von verschiedenen Vätern. Aber das ist viel zu | |
viel Geld. Gibt es denn keinen guten Weg, um an Papiere zu kommen? Für | |
Papiere wäre ich bereit, auf einen Teil meines Lohns zu verzichten. Ich | |
weiß ja auch, ohne Steuern kann das Land nicht vorankommen. | |
Mit meiner Familie spreche ich nur selten. Eine Viertelstunde zu | |
telefonieren kostet 2,50 Euro. Ich kenne andere, die von ihren Kindern | |
nicht mehr erkannt wurden, als sie zurückkamen. Davor habe ich Angst. Wenn | |
ich Papiere hätte, dann sollten mich meine Kinder und meine Frau einmal | |
besuchen kommen. Zu Hause wissen sie nicht, wie wir hier leiden. | |
Wenn wir sprechen, fragt mich meine Tochter jedes Mal: "Papi, wann kommst | |
du zurück?" Und ich sage ihr dann: "Geh zur Schule. Wenn du älter bist, | |
komme ich und bringe dich nach Europa." Dann denkt sie, dass sie fleißig | |
lernen muss. Meine Kinder sollen selbst entscheiden, was sie werden wollen. | |
Ich möchte einfach nur, dass sie eine bessere Ausbildung bekommen. Und sie | |
sollen bescheiden sein im Leben. | |
Nach meiner Rückkehr in mein Heimatland würde ich gerne eine Fahrschule | |
eröffnen. In Afrika werden zu viele Menschen totgefahren. Ich würde gerne | |
Informationen von Fahrschulen aus Deutschland bekommen, aber ohne Papiere | |
traue ich mich nicht, dort hinzugehen. | |
Manchmal rufen Freunde aus meiner Heimat an und wollen Geld oder Handys. | |
Ein schlechtes Gefühl. Oder doch ein gutes? Jedenfalls sage ich ihnen dann | |
immer: "Hier ist alles so komplex. Ohne Papiere kann man nichts kaufen. | |
Frag mich noch mal, wenn ich Papiere habe." | |
PROTOKOLL: BENJAMIN GEHRS | |
12 Dec 2011 | |
## AUTOREN | |
Benjamin Gehrs | |
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