# taz.de -- Buch zur "Glaubensrepublik Deutschland": Säkularisten auf dem Vorm… | |
> Glauben ohne Religionsführer: "Glaubensrepublik Deutschland" ist eine | |
> anregende Sammlung von fein geschriebenen Texten über Religion zwischen | |
> Oder und Rhein. | |
Bild: Wie viel Glauben gibt es noch in Deutschland? Ein Buch als Spurensuche. | |
Der Titel ist eine kleine Provokation: "Glaubensrepublik Deutschland". Dazu | |
der Untertitel: "Reisen durch ein religiöses Land". Ein religiöses Land? | |
"Ja", möchte man mit dem Kaiser ausrufen: "Ist denn scho Weihnacht!?" | |
Noch nicht ganz, aber das Buch von Matthias Drobinski und Claudia Keller | |
widerspricht mit diesem gut als Schlagwort in öffentlichen Debatten | |
nutzbaren Titel gegen einen Grundglauben aufgeklärter Menschen hierzulande, | |
nämlich dass die Bundesrepublik kein gläubiges, gar religiöses Land sei - | |
oder zumindest nicht mehr sei. | |
Die Säkularisten sind in den vergangenen Monaten medial ganz klar auf dem | |
Vormarsch. Nur noch 60 Prozent der Bundesbürger sind Mitglied der | |
evangelischen oder katholischen Kirche, in zwanzig Jahren haben die beiden | |
großen Volkskirchen mehr als acht Millionen Mitglieder verloren. | |
"Bald wird es in Deutschland so viele Kirchenmitglieder wie Konfessionslose | |
geben", schreiben Drobinski und Keller, die als Redakteure mit dem | |
Schwerpunkt Kirche/Religion bei der Süddeutschen Zeitung und dem | |
Tagesspiegel zu den besten und erfahrensten ihres Fachs gehören. | |
## Glaube weiterhin prägende Kraft? | |
Noch vor 30 Jahren verstanden sich zumindest in Westdeutschland noch rund | |
95 Prozent der Bürgerinnen und Bürger als Christen. Seitdem hat vor allem | |
die deutsche Einheit durch den weitgehend entchristlichten Osten dem neuen | |
Deutschland einen gehörigen Säkularisierungsschub verpasst. Dennoch | |
versuchen Drobinski und Keller zu verdeutlichen, dass der Glaube weiterhin | |
"eine prägende Kraft des Landes" ist. | |
Denn sie weiten in ihren Reportagen und präzisen Analysen den Blick. Sie | |
finden die metaphysisch gesonnenen Menschen nicht nur, aber auch außerhalb | |
des Christentums: bei Muslimen und Buddhisten, bei Juden und Anhängern | |
esoterischer Erklärungen des Kosmos. | |
Zu lesen ist eine anregende Sammlung von fein geschriebenen Texten über das | |
religiöse Leben zwischen Oder und Rhein. Wichtige Religionsführer (es sind | |
ja meist Männer) kommen ausdrücklich nicht vor, sondern sozusagen die | |
Basis. | |
Da ist etwa die muslimische Konvertitin Suriyya aus Berlin. Sie hieß früher | |
Sonja und wuchs in einer unreligiösen ostdeutschen Familie auf. Dazu gehört | |
auch Madhava, der einst auf Mario hörte und Werkzeugmacher war, während er | |
heute für 350 Euro bei freier Kost und Logis in der Telefonzentrale von | |
Europas größtem Yoga-Zentrum in Bad Meinburg arbeitet. | |
## Wärme und Fairness | |
Ihre Geschichten zu erfahren ist fesselnd. Besonders stark sind die | |
Reportagen, wenn sie sich den Menschen nähern, die nur am Rande oder gar in | |
Negation zu dieser Glaubensrepublik gehören, etwa das atheistische Pärchen | |
in Stuttgart oder eine Wahrsagerin in Hattersheim-Okriftel. Hier vor allem | |
zeigt sich die Stärke dieses Buchs, nämlich die Wärme und Fairness, die | |
Drobinski und Keller allen Porträtierten entgegenbringen. | |
Jürgen Habermas hat vor zehn Jahren geschrieben, dass man sich einer | |
"postsäkularen" Gesellschaft nähere. Umstritten ist, ob sich der große alte | |
Philosoph der Bundesrepublik da nicht geirrt hat. | |
Liest man das kluge Buch von Drobinski und Keller, neigt man dazu, ihm | |
recht zu geben. | |
Matthias Drobinski & Claudia Keller: "Glaubensrepublik Deutschland. Reisen | |
durch ein religiöses Land". Herder Verlag, Freiburg 2011, Hardcover, 200 | |
Seiten, 16,95 Euro | |
12 Dec 2011 | |
## AUTOREN | |
Philipp Gessler | |
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