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# taz.de -- Der Mädchenmord von Stolzenau: Eskalierter Familienkonflikt
> Der Leichnam von Souzan B. ist beerdigt worden. Warum ihr Vater die
> 13-Jährige auf offener Straße erschoss, ist noch immer unklar: Er ist
> weiterhin auf der Flucht.
Bild: Der Schock sitzt tief: Die Trauergemeinde folgt bei der Beerdigung dem Le…
HANNOVER taz | Blumenkränze und in buntes Papier gewickelte Sträuße liegen
am Grab. Viele der Trauergäste tragen das Foto eines Mädchens auf Brusthöhe
an ihre Jacken geheftet. Ein Beerdigungsritual der Religionsgemeinschaft
der Jesiden, erklärt ein Mann dem Pressepulk, der die Beerdigung auf dem
Stadtfriedhof Hannover-Lahe beobachtet.
Knapp 250 Menschen haben am Mittwoch in Hannover an der Beerdigung von
Souzan B. teilgenommen. Das Mädchen war vor anderthalb Wochen im Alter von
13 Jahren von ihrem Vater auf offener Straße in Stolzenau (Kreis Nienburg)
erschossen worden. Der Vater ist auf der Flucht.
Auf Wunsch der Mutter wird Souzan hier in Lahe beigesetzt: Hier gibt es ein
Gräberfeld eigens für Jesiden, auf dem die Toten in Richtung der
aufgehenden Sonne beerdigt werden können.
Nach einem Gespräch in einer Beratungsstelle hatte Ali Askar Hasso Barakat
seine Tochter umgebracht. Mehrere Schüsse trafen die 13-Jährige in
Oberkörper und Kopf, als sie in das Auto ihrer Mutter stieg. Das Gespräch
fand im Rahmen einer Mediation des Jugendamts statt, die das Mädchen und
seine Eltern wieder zusammenführen sollte.
Seit einem halben Jahr lebte Souzan in einer Jugendhilfeeinrichtung. "Auf
eigenen Wunsch und zunächst im Einvernehmen mit den Eltern", so
Jugendamts-Sprecher Thorsten Rötschke. Er spricht von "Konflikten in der
Familie", Anzeichen für eine gewalttätige Eskalation habe es aber nicht
gegeben.
In der Jesidischen Gemeinschaft in Nienburg, wo Souzans Familie seit 2008
lebt, habe es keine Beschwerden gegeben, sagt am Rande der Beerdigung Sükrü
Kaska vom Vorstand der Gemeinschaft. Regelmäßig sei die Familie sonntags
erschienen - bis vor einem Jahr. Aufgefallen sei sie seitdem nicht, sagt
Kaska, der nach eigenen Angaben derzeit Souzans Mutter betreut.
Nach der Tat war rasch die Rede vom Ehrenmord des irakischen Jesiden an
seiner Tochter: Darüber spekulierte etwa die [1][Hannoversche Allgemeine
Zeitung] nur wenige Stunden später. "Mord aus Ehre oder sonstigen Gründen",
erklärte unverzüglich der Zentralrat der Jesiden in Deutschland, "ist mit
unserer Religion nicht vereinbar."
Auch auf Souzans Beerdigung verurteilt der Vorsitzende des Zentralrats,
Telim Tolan, die Tat. "Wir sind bestürzt, dass ein Vater seine Tochter
ermordet", sagt er in Richtung der Trauergäste - und in Richtung der
Presse. Gewalt in Familien sei kein spezifisch jesidisches Problem: Nicht
umsonst, sagt Tolan, gebe es Gesetze gegen häusliche Gewalt.
Für die Polizei ist die Motivlage "völlig unklar", sagt Sprecher Axel
Bergmann, schließlich habe man mit dem mutmaßlichen Täter nicht gesprochen
- er ist seit anderthalb Wochen flüchtig. Eine Mordkommission mit 20
Beamten und speziellen Zielfahndern suche nach dem 35-Jährigen,
international. Konkrete Hinweise, dass Barakat sich ins Ausland abgesetzt
habe, gebe es nicht, so Bergmann.
Die Polizei geht von einer vorsätzlichen Tat aus, der Vater habe bei dem
Gespräch eine Waffe bei sich gehabt und die Flucht offenbar geplant. Eine
"heiße Spur" allerdings fehle, sagt Bergmann, trotz mittlerweile über 115
Hinweisen aus der Öffentlichkeit.
Spekuliert wird auch auf Souzans Beerdigung. Unter den Gästen kursiert ein
Gerücht: das Mädchen sei schwanger gewesen. Das gut eine Woche alte
Obduktionsergebnis dagegen schließt eine Schwangerschaft aus. Telim Tolan
spricht von der "Eskalation eines Familienkonflikts", in dem der Vater
"krankhafte Vorstellung hatte". Und er fordert "ein hartes Urteil mit hoher
Strafe" für Souzans Vater. "Wir wollen", sagt er, "keine mildernden
Umstände."
Eine Kurdische Fraueninitiative aus Hannover verteilt Handzettel: Der Mord
an Souzan beruhe auf einer "rückständigen und patriarchalen Mentalität".
Ihr Tod zeige, "dass es notwendig ist, diese Kulturirrtümer als das zu
verstehen, was sie sind: Verbrechen gegen die Menschlichkeit."
14 Dec 2011
## LINKS
[1] http://www.haz.de/Nachrichten/Panorama/Uebersicht/Vater-erschiesst-13-jaehr…
## AUTOREN
Teresa Havlicek
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Beim Prozessauftakt in Detmold gesteht der Bruder tödliche Schüsse auf die
junge Kurdin Arzu Ö. Bleibt die Frage, ob der ehrbezogene Mord vorsätzlich
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Kommentar Mädchenmord: Leider gar nicht so selten
Der Vater hat es auf offener Straße getan und er hat es offenbar geplant,
denn er hatte eine Pistole dabei. Das ist es, was die Tat so schockierend
macht.
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