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# taz.de -- Meeresforschung: Bioressourcen aus dem Meer
> Das Ökosystem Meer wird durch Ausbeutung und Raubbau zunehmend zerstört.
> Der Großteil der kommerziell genutzten Fischbestände ist überfischt.
Bild: Sardinenfang an der Küste Portugals. Ökologen plädieren für "humane" …
Aus dem All betrachtet sieht die Erde blau aus, weil Blau als Farbe des
Lichtspektrums zu allerletzt von den Tiefen der Ozeane geschluckt wird. 70
Prozent der Erdoberfläche sind von ihnen bedeckt. Bis vor Kurzem waren die
Meere die letzte freie und wilde Zone auf der Erde.
Doch heutige Gesellschaften erblicken in ihnen eher ein letztes Reservoir,
aus dem sie schöpfen können, und zwar - so lange dort noch vorhanden -
proteinreiche Lebensmittel und auch Rohstoffe für fast alle
Produktionszweige. "Bioressourcen aus den Ozeanen", so nannte sich eine
Tagung der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW) Ende
November. Unter anderem ging es um Artenvielfalt, Genressourcen,
Klimawandel und Schadstoffe.
Als Referenten und Workshop-Teilnehmer eingeladen waren nicht nur, wie zu
erwarten, Meeresbiologen, Fischereifachleute oder Vertreter der
Pharmaindustrie, sondern auch Ökonomen, Historiker und Philosophen - ein
Hoffnungsschimmer für von Zweifeln zerfressene KonsumentInnen.
Denn während wir hierzulande zu manchen Fischarten greifen, um uns vor dem
Herzinfarkt und vielen Erkrankungen zu retten, wissen wir doch um die
bedrohliche Situation: Nach Angaben der Welternährungsorganisation FAO sind
80 Prozent der kommerziell genutzten Fischbestände rund um den Globus ganz
oder beinahe überfischt.
Einen Ausweg aus dem Dilemma versprechen die Marikulturen, zum Beispiel
Aquakulturen von Fischen. Diesen Zuchtformen galt die Diskussion am ersten
Nachmittag der Veranstaltung. Zum Fischfang auf hoher See verhalten sie
sich anscheinend wie der Ackerbau zur Jagd. Doch bei näherem Hinsehen hinkt
der Vergleich: Nicht die Schafe unter den Fischen werden hier eingepfercht,
sondern bevorzugt die Löwen und Tiger. Als Raubtier verschlingt ein Lachs
je nach Kalkulation zwei bis drei Kilogramm Fische, um selbst ein Kilo an
Gewicht zuzunehmen. Das norwegische staatliche Forschungsinstitut Nifes
experimentiert mit einer Fütterung, bei der man die Lachse zu Allesfressern
erzieht und bis zu rund einem Drittel mit Gemüse wie Sojabohnen und
Pflanzenöl, zum Beispiel Leinöl, bestreitet.
Was die Haltungsdichte von Fischen betrifft, so gibt es in Europa hierfür
bereits Zertifizierungsnormen. Doch von den in Aquakulturen gezogenen
Fischen liefert unser Kontinent aber weltweit nur 3 Prozent, in Asien
werden 91 Prozent gezüchtet. Dabei nutzen transnational agierende Firmen
die Unterschiede zwischen den lokalen Gesetzgebungen bisweilen aus. So
ließen vor wenigen Jahren auch norwegische Firmen mit Staatskapital die
Richtlinien, die sie zu Hause einhalten mussten, in Chile völlig außer Acht
und trugen damit zum Grassieren von Lachsseuchen bei.
##
Und wie geht es in solchen Anlagen den Fischen? Auch darüber sprach
Reinhold Hanel, Leiter des Thünen-Instituts für Fischereiökologie, in
Hamburg, in seinem Referat zum Thema "Animal Welfare and Aquaculture". Dass
Fischen die Fähigkeit abgeht, Schmerz zu empfinden, galt unter
Fischereiforschern über lange Zeit als unumstößliches Dogma. Diese Position
ist aber durch das fundierte Werk "Do fish feel pain" der US-Biologin
Victoria Braithwaite erschüttert worden. Sie weist darin unter anderem
nach, dass Fische über Nociceptoren verfügen - spezielle Nervenzellen die
Schmerzreize übermitteln.
Hanel warnt periodisch davor, den Begriff "Leiden" allzu anthropozentrisch
auf Fische zu übertragen, teilt Braithwaites Sicht der Dinge aber im Großen
und Ganzen. Er scheint in den Aquakulturen eher einen Nebenschauplatz zu
erblicken. Schließlich kann man hier mit gutem Willen Normen für das Leben
der Tiere durchsetzen und auch "humane" Tötungsarten. Für viele - nicht
alle - Fischarten wäre dies ein Elektroschock.
"Aber wenn die Diskussion auf die Seefischerei überschwappt, dann wird's
natürlich kritisch: Wenn man sich anschaut, mit welchen Methoden die Tiere
aus dem Wasser gezogen werden", sagt Hanel. "In Grundschleppnetzen
ersticken die Tiere in einer Sedimentwolke. Bei Freiwasserschleppnetzen
sorgt die rasche Veränderung des Wasserdrucks beim Hochziehen von tiefer
lebenden Fischen wie Rotbarsch oder Heilbutt dafür, dass ihnen die
Eingeweide aus dem Maul quellen und die Schwimmblase platzt. Kommen sie
lebend an Bord, ersticken sie langsam." Und die Alternative? Bis heute
konnte sich niemand eine ausdenken. Die Zukunft eines Weltwirtschaftszweigs
und für Teile der Weltbevölkerung auch ihr Grundnahrungsmittel stünden auf
dem Spiel, sollten solche ethischen Erwägungen um sich greifen.
Eines ist immerhin klar: Wenn eine Miesmuschel Schadstoffe aus gewaltigen
Mengen von Meerwasser herausfiltert, so geschieht dies völlig unbewusst. An
ihrem Beispiel zeigt am Rande des Workshops Dietmar Kraft, passionierter
Miesmuschelesser und Wattwanderer sowie Wissenschaftlicher Mitarbeiter am
Institut für Chemie und Biologie des Meeres (ICBM) der Universität
Oldenburg in Wilhelmshaven, wie Marikulturen das Ökosystem auch des sie
umgebenden Meeres verändern.
Die Austernzucht auf Sylt ist dort schon seit über einem Vierteljahrhundert
Tradition. Ähnlich wie die sonst auch natürlich vorkommenden Miesmuscheln
auf bestimmten Zuchtstationen in der Nordsee, wurden auch die Austern als
Winzlinge "gesät". Ja, und dabei büxten vermutlich einige Exemplare aus.
Die Pazifische Auster (Crassostrea gigas), auch aus den Niederlanden
angedriftet, vermehrt sich heute in der Nordsee rasant. Sie überwächst die
Miesmuschelbänke, wird pro Exemplar bis zu 20 Zentimeter lang (im Pazifik
das Doppelte) und ist außerordentlich scharfkantig.
## "Mit barfuß Wattwandern ist es nun aus"
"Mit barfuß Wattwandern ist es nun aus", klagt Kraft. Das Nachsehen haben
auch viele Vögel, zum Beispiel Austernfischer, deren natürliche Beute -
ihrem Namen zum Trotz - eigentlich Miesmuscheln sind. Die Pazifischen
Auster ist ungleich schwerer zu knacken. Das ICBM untersucht nun eine Reihe
von Fragen: Wie ist es um die Artenvielfalt kleinerer Organismen auf und in
der Auster bestellt? Wird sie die Miesmuschel verdrängen? Ja, und schafft
sie es, genauso viel Wasser zu filtern?
"Wenn wir die die Nutzung dieser Bioressourcen optimieren wollen, müssen
wir sehr wohl darüber nachdenken, welche Funktionen jeder einzelnen
Organismus für das Ganze hat", sagt Kraft. "Äußerst spannend" fand er auf
der Konferenz die philosophischen Aspekte: "Was Begriffe wie Biodiversität
oder Nachhaltigkeit nicht alles beinhalten können! Die Fischbestände sind
schon lange überfischt und die Diskussion über den Begriff Nachhaltigkeit
im Zusammenhang mit der Ernährung der Menschheit, die steckt noch in den
Kinderschuhen. Das finde ich erschreckend."
Der Küstenforscher freut sich, dass Wissenschaftler der verschiedensten
Disziplinen in ihrem Diskurs über die Weltmeere auf der Berliner Tagung
gezwungen waren, nach einer gemeinsamen Sprache zu suchen. Aber: "Sosehr
mich das freut, so hielte ich es doch auch für unerlässlich, dass die
Verwaltung an solchen Tischen mit säße und auch die Politik."
16 Dec 2011
## AUTOREN
Barbara Kerneck
## TAGS
Meeresschutz
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