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# taz.de -- Die Wahrheit: Seltene Hefen
> Verknappte Zutaten und gepanschtes Gebäck aus Fernost bedrohen die
> gebeutelte deutsche Zuckerbäckerbranche.
Bild: Wertvoller Christstollen mit viel Zitronat und Orangeat und anderen selte…
Mit angewidertem Gesichtsausdruck riecht Waldemar Snatschke an dem Stück
Stollen. Der staatlich geprüfte Stollenprüfer aus Radebeul mag gar nicht
glauben, was ihm da unter den Riechkolben geraten ist. "Absolut
minderwertige Ware", er schnüffelt noch einmal an dem leicht schmierigen
Teigbatzen, "vermutlich eine billige Stollenkopie aus China."
Weitere sensorische Prüfungen sind hier nicht von Nöten, das Testurteil
steht auch so schon fest: mangelhaft, ungenießbar. Selbstverständlich würde
sich ein Fachmann vom Range eines Waldemar Snatschke niemals dazu hinreißen
lassen, in ein derartiges Machwerk hineinzubeißen, geschweige denn es
hinunterzuschlucken, folglich wird das durchgefallene Produkt sogleich in
dem bereitstehenden Sondermüllcontainer entsorgt.
Der gelernte Bäcker und hochdekorierte Stollenveteran Snatschke hat es in
letzter Zeit immer öfter mit ungenießbaren Pseudostollen zu tun. Die
aufstrebende Stollenindustrie Chinas überschwemmt den einheimischen
Einzelhandel mit ihrer hastig zusammengerührten Billigware, die dem nichts
ahnenden Konsumenten als hochwertiges Weihnachtsgebäck verhökert werden
soll.
Doch auch der deutsche Qualitätsstollen hat mitunter schwer zu kämpfen. Die
für einen echten Premiumstollen notwendigen Rohstoffe sind dünn gesät und
werden immer teurer. Der Zentralverband des deutschen Bäckerhandwerks stuft
die Versorgungslage für sieben Backzutaten als mittlerweile "sehr kritisch"
ein. Diese Rohstoffe seien für viele Produkte des deutschen Bäcker- und
Konditoreiwesens von herausragender Bedeutung.
Beispiel seltene Hefen: Ohne sie ist ein ordnungsgemäßes "Aufgehen" eines
Hefeteigs vollkommen unmöglich, ohne seltene Hefen sitzt der
Stollenstandort Deutschland buchstäblich auf dem "Trockenen", das heißt, er
muss dann auf minderwertige Trockenhefe ausweichen, die aber in keiner
Weise das gewünschte Backergebnis zu liefern vermag. Wirklich selten sind
die seltenen Hefen zwar nicht, aber die ergiebigsten Vorkommen liegen
größtenteils in China, oder sie liegen in mehreren tausend Metern Tiefe auf
dem Meeresgrund.
"Schwer zu finden, teuer zu fördern", meint denn auch Richard Dücklen von
der Deutschen Rohstoffagentur in Darmstadt. Der mit Abstand größte Tagebau
für seltene Hefen befindet sich in der Mongolei. Als Bundeskanzlerin Angela
Merkel jüngst in Ulan-Bator weilte, war es deshalb ihr zentrales Ansinnen,
der deutschen Stollenindustrie Zugang zu den seltenen Hefen der Mongolei zu
ermöglichen. Merkel hatte als Gastgeschenk natürlich einen Original
Dresdner Christstollen im Gepäck und geizte auch sonst nicht mit
Komplimenten. Sie sei "sehr beeindruckt von dem Demokratisierungsprozess,
den die Mongolei in den letzten Wochen und Monaten durchgemacht hat."
Beispiel Zitronat und Orangeat: Deutschlands Spitzenposition im
Stollenwesen gründet nicht zuletzt im gezielten Einsatz dieser an und für
sich ungenießbaren Backzutaten. Nach der dramatischen Zitronatkrise des
vergangenen Jahres droht nun aber Ungemach - ohne das kandierte
Fruchtprodukt fehlt dem Stollen seine charakteristische Note. Der Zitronat-
und Orangeatbedarf der deutschen Backwarenindustrie hat sich in den
vergangenen Jahren mehr als verdoppelt - und Deutschland ist auf Einfuhren
dringend angewiesen. Ob aber die krisengebeutelten Zitrusländer am
Mittelmeer die gewünschte Menge zu liefern vermögen, scheint nach den
tragischen Entwicklungen der letzten Zeit doch mehr als fraglich.
Beispiel Butter: selige Zeiten, als es in Europa noch einen Butterberg
abzutragen galt. Doch nun, in Zeiten der allgemeinen Butterverknappung,
gerät das Alleinstellungsmerkmal eines gelungenen Stollens, nämlich ein
Butteranteil von mindestens 25 Prozent, zusehends in Gefahr. In Norwegen
herrscht bereits jetzt akuter Buttermangel. Einziger Lichtstrahl am
Horizont: Dank der stark gestiegenen Butterpreise dürfte auch der Abbau in
weniger zugänglichen Gebieten wieder interessant werden. In der Lausitz
laufen in diesen Tagen erste Probebohrungen für eine Buttermine an. Männer
wie Waldemar Snatschke dürfen also wieder hoffen!
17 Dec 2011
## AUTOREN
Rüdiger Kind
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