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# taz.de -- Der Stadtheilige Ferdinand Porsche: Sakrileg in der Stadt des KdF-W…
> In Wolfsburg fordert die Linkspartei eine kritische Auseinandersetzung
> mit Ferdinand Porsche. Der Leiter des VW-Werks hatte während der Nazizeit
> nichts gegen das Massensterben von Säuglingen seiner Zwangsarbeiterinnen
> unternommen.
Bild: Der Führer und sein Ingenieur: Adolf Hitler 1936 mit VW Käfer-Erfinder …
HAMBURG taz |In der Porschestraße fahren keine Autos: Sie ist die zentrale
Fußgängerzone in Wolfsburg. Das Rathaus steht hier und ein Stückchen weiter
auch das Porsche-Hotel. Vorbei an einigen Geschäften bringen einen wenige
Schritte zur Porsche-Apotheke in einem Eckhaus. Hier rechts abbiegen, und
schon sieht man die Ferdinand-Porsche-Realschule. Auf deren Internet-Seite
findet sich kein kritisches Wort über den Namensgeber. Der Erfinder des VW
Käfer sei 1951 gestorben, heißt es da: "Aber der technische Ansporn lebt in
seinem Namen weiter!"
Doch nicht alle in Wolfsburg sehen in Ferdinand Porsche nur einen genialen
Autobauer. "Unglaublich" findet Pia Zimmermann von der Linkspartei den
Umgang mit dem Mann, der während des Zweiten Weltkrieges das VW-Werk
leitete. "Porsche war ein Kriegsverbrecher", sagt Zimmermann. Sie fordert,
dass die Porschestraße und auch die Realschule umbenannt werden. Im Rat der
Stadt Wolfsburg und im Niedersächsischen Landtag möchte sie das zum Thema
machen: "Ein Mensch, der für so viel Leid verantwortlich ist, darf kein
Vorbild sein."
Bereits in den 1980er Jahren hatte der VW-Konzern den Bochumer Historiker
Hans Mommsen beauftragt, die Verstrickungen des Konzerns in der NS-Zeit zu
erforschen. Wolfsburg, 1938 als "Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben"
gegründet, sollte die Produktionsstätte von Porsches Auto für die deutschen
Massen werden.
Doch der "KdF-Wagen" ging nicht in die Massenproduktion, denn das VW-Werk
wurde nach Kriegsbeginn für die Waffenproduktion gebraucht: Kampfflugzeuge,
Torpedohüllen, Tellerminen, Kübelwagen und "Vergeltungsraketen" (V1) wurden
dort produziert, seit 1941 mit dem Einsatz von Zwangsarbeitern.
In seinem Buch "Das Volkswagenwerk und seine Arbeiter im Dritten Reich" kam
Mommsen zu dem Schluss, Porsche sei der "Prototyp des ausschließlich an
technologischen Fragen interessierten Fachmanns". Inwieweit er den
verbrecherischen Charakter des Regimes durchschaut habe, müsse offen
bleiben. Porsche sei von den Alliierten nie angeklagt worden, sagt Mommsen
noch heute auf taz-Anfrage. "Deshalb ist er kein Kriegsverbrecher, auch
wenn er in mancher Hinsicht verantwortlich für Zwangsarbeit war."
Deutlich schlechter kommt Porsche beim ZDF-Historiker Guido Knopp weg. In
der Nazizeit habe VW zu den ersten Betrieben gehört, die Zwangsarbeiter
rekrutierten, schreibt Knopp in seinem 2004 erschienenen Buch "Hitlers
Manager". Im Volkswagenwerk sei eine systematische "Vernichtung durch
Arbeit" betrieben worden. Neben miserabler Unterbringung, Ernährung und
medizinischer Versorgung bedeutete das auch, dass Neugeborene von
Zwangsarbeiterinnen den Müttern weggenommen und in ein Heim gebracht
wurden.
Allein zwischen Juni 1944 und April 1945 brachen in dem Neugeborenenheim
mehrere Epidemien aus - über 300 Säuglinge starben: "Letztendlich hat kaum
ein Kind das Heim in Rühen überlebt", schreibt Knopp. Der zuständige Arzt
Hans Körbel wurde 1947 von den Briten als Kriegsverbrecher hingerichtet.
Beim Prozess sagte er aus, dass er Ferdinand Porsche an Weihnachten 1944
über den Zustand in dem Kinderheim informiert habe. Aber, schreibt Knopp:
"Von einer Initiative Porsches zugunsten der Kinder von Rühen ist nichts
bekannt."
1944 und 1945 wurden unter Porsches Leitung gut 14.000 V1-Raketen in den
VW-Werken gebaut. "Bis zuletzt scheint er Hitlers wirren Parolen vom
Endsieg geglaubt zu haben", kommentiert Knopp.
Schon in den 1980er Jahren hatte der Wolfsburger Stadtrat über eine
Umbenennung der Porschestraße und der Ferdinand-Porsche-Realschule
diskutiert. 1988 stellte Betty Rannenberg von den Grünen einen Antrag, der
von der Ratsmehrheit abgeschmettert wurde. "Obwohl mit den Jahren der
Abstand immer größer wird, sehen die jungen Menschen Porsche nicht
kritischer als ihre Großeltern", sagt Rannenberg, die sich aus der aktiven
Politik zurückgezogen hat. Zwar bestreite niemand, dass Porsche schlimme
Dinge getan hat. Aber: "Seinen Stadtheiligen köpft man nicht."
"Es bringt nichts, per Beschluss Namen aus dem Stadtbild zu tilgen", sagt
Klaus Mohrs (SPD), Wolfsburgs neuer Oberbürgermeister. Porsche habe viel
für die Stadt getan, und Wolfsburg habe eben eine ambivalente Geschichte.
Schließlich wäre die Stadt gar nicht entstanden, wenn Hitler nicht an der
Macht gewesen wäre und im Mai 1938 den Grundstein der Volkswagenwerke
gelegt hätte.
Erst vergangene Woche machte der Leiter der "Historischen Kommunikation"
von VW, Manfred Grieger, die NSDAP-Mitgliedschaft von Hugo Bork bekannt:
Der Wolfsburger Ehrenbürger war von 1957 bis 1971 Betriebsratsvorsitzender
bei VW und zwischen 1961 und 1974 fast ununterbrochen Bürgermeister. "Das
wussten wir alle. Nur wir haben es nicht publik gemacht", sagte Wolfsburgs
früherer Stadtarchivar Klaus-Jörg Siegfried. Oberbürgermeister Mohrs hat
angekündigt, "die Zeit seit 45" aufarbeiten zu wollen.
Mit der Aufarbeitung der Verstrickungen von Ferdinand Porsche tut sich die
Stadt schwerer. "Die Stadt ist abhängig vom Konzern, unserem segensreichen
Arbeitgeber", sagt Mechthild Hartung vom Verband der Opfer des
Nationalsozialismus. Es komme nicht zu einer Umbenennung, weil das schlecht
wäre für das Markenimage von VW: "Verkaufszahlen und damit Steuereinnahmen
für Wolfsburg würden darunter leiden."
Laut Almut Henkel, der Leiterin der Porsche-Realschule mit rund 370
Schülern, finden gut 80 Prozent der Schulabgänger einen Job beim Autobauer
oder seinen Zulieferbetrieben: "20 Prozent unserer Schüler schaffen es nach
dem Schulabschluss direkt zu VW." Weder Schüler noch Lehrer wollen ihre
Schule umtaufen, sagt sie.
Henkel findet es "wichtig, dass die Schüler beide Seiten der Persönlichkeit
Porsches sehen". Deshalb gebe es für Zehntklässler mehrere Projekte wie den
Besuch in einem KZ bei Nordhausen oder einen Rundgang durch Wolfsburg -
auch zu dem Friedhof, wo das Mahnmal für die Säuglinge stehe: "An solchen
Orten wird den Schülern bewusst, was für Grausamkeiten da passiert sind."
Bei einem solchen Projekt, sagt Henkel, hätten die Schüler auch Ferdinand
Porsches Lebenslauf auf die Internetseite der Schule gestellt. Das
Massensterben im Säuglingsheim kommt darin nicht vor.
18 Dec 2011
## AUTOREN
Alexander Kohn
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