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# taz.de -- die wahrheit: Verabredung in der Handelsschule
> Ursprünglich hatte ich an diesem Vormittag in der Stadt Lebensmittel
> einkaufen wollen, doch nun war ich, wie mir schien, mit einer Frau in der
> Handelsschule verabredet ...
... Ich hätte nicht sagen können, weshalb. Jedenfalls blieb mir nicht mehr
viel Zeit, ich musste mich beeilen. Ich lief zum Busbahnhof, doch da hieß
es: Der Busbahnhof ist heute woanders. Da, wo er sonst immer zu sein
pflegte, waren überraschenderweise gigantische Baumaßnahmen im Gange, die
sechs Jahre dauern sollten. Anwohner und Passanten zeigten sich verärgert.
Konnte das nicht vorher angekündigt werden, fragte eine Frau. Die
Bauarbeiter waren selbst überrascht worden, wie sie daraufhin erklärten.
Man hatte sie in der Nacht geweckt und, notdürftig instruiert, zu ihrem
neuen Einsatzort gebracht. Inzwischen hatten sie ein enormes Loch
ausgehoben. Der Zweck war ihnen nicht bekannt.
Zu diesem Zeitpunkt hatten die Baumaßnahmen noch nicht auf die
Handelsschule übergegriffen, daher konnte ich hoffen, besagte Frau dort
anzutreffen. An der Bar war sie nicht, aber man wusste immerhin Bescheid
und schickte mich ins oberste Stockwerk, wo sie mich angeblich schon
erwartete. Inzwischen bestand sogar eine Sprechfunkverbindung zwischen uns.
Sind Sie da, erkundigte ich mich und hörte unter Knistern und Rauschen ihre
Erwiderung: "Ja, ich warte."
Als ich mit auf dem speckigen Fußboden quietschenden Schuhsohlen den Flur
der obersten Etage entlangeilte, wurde eine Tür geöffnet. Man bat mich ins
Klassenzimmer, um den Handelsschülern etwas zu erklären. Mir passte das
eigentlich nicht ins Konzept, andererseits mochte ich aber nicht ungefällig
sein und entledigte mich rasch der Aufgabe. Nur leicht verspätet setzte ich
meinen Weg fort und erreichte endlich den Raum, der die Frau enthielt, mit
der ich verabredet war. Die Sprechfunkverbindung riss ab, vielleicht, weil
allmählich doch die Baumaßnahmen am früheren Busbahnhof auf die
Handelsschule übergriffen. Wir fuhren zu mir nach Hause, da war es ruhiger.
Ich machte die Frau (von der ich nicht wusste, wer sie war und wie sie
aussah) mit meinen Eltern bekannt, die in der Küche umhergeisterten. Sie
berichteten in groben Zügen, wie sie sich kennen gelernt hatten, auch meine
Geburt ward in all ihrer Schaurigkeit kurz umrissen. Leider sah ich mich
wieder außerstande, mir die wichtigsten Details einzuprägen. Sämtliche
Ausführungen wurden von jeweils ganz unpassenden Hintergrundgeräuschen
begleitet bzw. kommentiert: Tischfeuerwerk, Tröten, Pfeifen etc. Auch
Klingeln war zu hören, doch kam es von der Wohnungstür. Ich ging nachsehen.
Draußen stand ein vor Jahren verstorbener Schulfreund. Besorgt fragte ich
ihn: Du weißt doch, dass du tot bist?"
"Ja, ja" antwortete er, "ich will dir nur das hier bringen." Ich war
entzückt: "Danke! Das habe ich seit vielen Jahren gesucht!" Die Höflichkeit
gebot, dass ich ihn hereinbat, um meinen Eltern und der Frau Guten Tag zu
sagen. Doch er lehnte ab: "Keine Zeit. Ich muss zurück." Und ich musste
zurück in die Küche.
21 Dec 2011
## AUTOREN
Eugen Egner
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