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# taz.de -- Weihnachten auf der Straße: Besinnlichkeit ist anderswo
> Wie feiert Weihnachten, wer kein Zuhause hat? Vielen Obdachlosen bedeutet
> das Fest wenig - sie suchen einfach etwas Wärme
Bild: Viele Obdachlose verdrängen Weihnachten
Es gibt Hühnchen mit Rotkohl und Kartoffeln. Der Essensduft kann sich aber
nicht entfalten, er wird erstickt vom Tabakqualm, der schwer in der Luft
hängt. In den beiden Räumen mit gedimmten Lichtern stehen bunte Teller auf
den Tischen und kleine Weihnachtsbäume in den Ecken.
120 bis 150 Leute, schätzt Lothar Markwardt, werden an diesem Nachmittag
zur Weihnachtsfeier des Vereins mob e. V. kommen, der die Straßenzeitung
Straßenfeger herausgibt. Als Vorstand des Vereins für Obdachlose ist
Markwardt auch für das "Kaffee Bankrott" verantwortlich. "Ich kenne fast
alle, die hier sitzen", sagt er und zieht an seiner Zigarette.
Nicht alle Besucher des Treffpunkts seien wohnungslos. Aber alle verbinde,
dass es finanziell kaum reicht zum Leben. Das Café gegenüber der
S-Bahn-Station Prenzlauer Allee werde auch an anderen Tagen gut
frequentiert. Aber nun, da es draußen empfindlich kalt sei, "wird es hier
voller". Ein Weihnachtsmann läuft durch die Reihen. "Der ist nicht
gemietet, das ist einer unserer Zeitungsverkäufer", erklärt Markwardt.
Kurt heißt er, der Weihnachtsmann. Das besondere Outfit kurbele die
Verkäufe an, erklärt er. 20 bis 30 Zeitungen werde er in der Adventszeit
täglich los, deutlich mehr als im Rest des Jahres. In einem kleinen Raum am
Rande der Weihnachtsfeier türmt sich die aktuelle Ausgabe des
Straßenfegers. Kurt kauft ein paar Exemplare für 60 Cent ein, ein
Mitarbeiter des Vereins kassiert. Pro Heft, das er verkauft, macht Kurt 90
Cent Gewinn.
Aber nicht nur die Verkäufe steigen zur Weihnachtszeit. Auch die
Spendenbereitschaft sei größer, weiß Markwardt. "Die Menschen zeigen eher
Bereitschaft, die Situation ihrer Mitmenschen zu verbessern." Der Verein
finanziert von den Spenden unter anderem Sozialberatung und eine
Notunterkunft mit 17 Schlafplätzen. "Die sind das ganze Jahr über
ausgelastet." Staatliche Zuwendungen gibt es nicht: "Dann müssten wir
Auflagen erfüllen, wen wir aufnehmen dürfen und wen nicht. Das lassen wir
uns aber nicht vorschreiben."
Es sei nicht leicht, Menschen von der Straße zu holen, sagt Markwardt.
Einige hätten Freundschaften und Bekanntschaften geschlossen und suchten
gar nicht den Weg zurück in "geordnetere Verhältnisse". An besinnlicher
Stimmung zum Fest der Liebe fehle vielen einfach das Interesse, auch hier
bei der Weihnachtsfeier. "Die sind froh, wenn sie zusammensitzen, ein
bisschen reden und Gesellschaft haben."
Im Nebenraum mit den Zeitungen herrscht reger Betrieb. Viele Verkäufer
decken sich ein, andere schnorren Zigaretten. Immer wieder dringt der
stechende, leicht süßliche Geruch von Menschen in die Nase, die keine
Möglichkeit haben, sich zu waschen. Oder denen dazu der Antrieb fehlt.
Uwe und Charlie sind verstimmt. Ihnen gefällt nicht, dass so viele
Unbekannte zur Feier kommen. Sie zeigen auf ein paar Besucher, die im
Eingang stehen. "Was will denn der hier? Den hab ich noch nie gesehen",
sagt Charlie. Beide sind Rentner, dazu erhalten sie Bezüge vom Sozialamt,
weil es sonst nicht reicht. Uwe, einst Hochdruckkesselwärter, hat kaum
Zähne im Mund. Er bekomme 285 Euro im Monat, sagt er. Charly bezieht
Erwerbsminderungsrente: 126 Euro.
Seit zehn Jahren verkaufen sie den Straßenfeger, damit es einigermaßen zum
Leben reicht. Momentan liefen die Geschäfte gut, "jeden Tag zwölf
Zeitungen", sagt Charlie. Uwe nickt, sein Revier ist die Ringbahn. In
anderen Monaten, "da verkaufe ich oft tagelang nichts", sagt Charlie. Uwe
ärgert sich schon wieder über "die Leute, die hier herkommen, aber nicht
bereit sind, etwas zu tun". Sie, die Zeitungsverkäufer, die nicht auf
Almosen angewiesen sein wollen, blicken mit Argwohn auf die "Schnorrer".
Auf einem der Tische hat ein Gast seinen Kopf seit Minuten auf dem Arm
abgelegt und rührt sich nicht. Als ein Nebenmann ihm auf die Schulter
klopft, reagiert er barsch. Wenig später ruft er laut "Ich kann nicht mehr"
und beschwert sich, er habe seit einer Stunde nichts zu essen bekommen. Er
wird ausfallend, droht Mitarbeitern mit Gewalt. Dabei wird das Essen hier
überhaupt nicht serviert, jeder muss sich seinen Teller an der Küche holen.
Erst als man ihm mit Rauswurf und Polizei droht, entspannt sich die
Situation wieder. Bei Alkohol gebe es keine Toleranz, sagt ein Mitarbeiter
im Vorbeigehen. Wer Hochprozentiges mitbringe, dem drohe sogar ein
Hausverbot.
Während in diesen Tagen viel von Besinnlichkeit und Nächstenliebe die Rede
ist, leben geschätzt 11.000 Menschen in Berlin auf der Straße. Offiziell
stehen in Unterkünften nur rund 400 Schlafplätze zur Verfügung. Oft werden
jedoch mehr Plätze bereitgestellt, die über Spenden finanziert werden.
In der Kreuzberger Bergmannstraße sitzt ein junger Mann auf einer dünnen
Decke vor einem Supermarkt. Die Kapuze hat er tief ins Gesicht gezogen.
Wenn jemand aus dem Laden kommt, blickt er auf, aber er spricht niemanden
an. "Will ja nicht stören", sagt er. Mit Weihnachten müsse man ihm nicht
kommen: "Ist doch egal." Wer jetzt etwas gebe, aber im Januar schon nicht
mehr, der tue das nicht aus Nächstenliebe, "da gehts ums schlechte
Gewissen". Über seine eigene Situation will er nichts Genaueres sagen -
aber Weihnachten, das sei für ihn eine Zeit wie jede andere.
Am Zoo steigt ein Motz-Verkäufer in die S-Bahn ein. Viel verkauft er in
diesem Waggon nicht, aber zahlreiche Fahrgäste stecken ihm Kleingeld zu.
"Mehr als sonst, klar", sagt er mit Blick auf Weihnachten. Er stellt sich
als Henry vor und nimmt kurz Platz. Auch im Weihnachtsgeschäft muss ein
Päuschen drin sein. "Ich hab ne Wohnung", sagt Henry, es gehe ihm gut. Aber
aus Gesprächen "mit Kollegen" wisse er, dass Zeitungen, die am Tag nicht
verkauft werden, in der Nacht oft zur zweiten Decke umfunktioniert werden.
"Ist doch Mist", sagt er, "kuck mal raus!" Draußen fällt Schneeregen.
Das größte Problem vieler Obdachloser sind nach Angaben der
Wohlfahrtsverbände nicht die niedrigen Temperaturen. Vor ihnen schützen
warme Kleidung und ein guter Schlafsack. Bedrohlicher ist die Nässe der
vergangenen Tage. Sie lässt Kleidung und Decken schnell klamm werden. Dann
frisst sich die Kälte in die Knochen.
Seit Anfang November ist der Kältebus der Berliner Stadtmission unterwegs.
Jede Nacht spreche der Fahrer bis zu 30 Obdachlose an, sagt Mitarbeiterin
Ortrud Wohlwend. "Sie trinken einen heißen Tee, nehmen einen Schlafsack
oder warme Kleidung an." Aber nur ein kleiner Teil dieser Menschen sei
bereit, sich in eine warme Unterkunft bringen zu lassen.
Manchmal verbiete ihnen ihr Stolz, Hilfe unvoreingenommen zu akzeptieren,
meist sei es aber Misstrauen. Deshalb gehe es beim Kältebus, der täglich
von 21 bis 3 Uhr unterwegs ist, vor allem darum, Zutrauen zu gewinnen, eine
Vertrauensbasis zu schaffen, sagt Wohlwend: "Der Fahrer sagt zu ihnen: Ich
komme morgen wieder." Bei vielen Obdachlosen handele es sich um Eremiten,
die den Kontakt zur Gesellschaft abgebrochen hätten. "Man kann ihnen aber
zeigen, dass es möglich ist, wieder Kontakt zu bekommen."
Weihnachten, sagt Ortrud Wohlwend, hätten viele Obdachlose aus ihren
Gedanken verdrängt. Sie erzählt von Weihnachtsfeiern in der Stadtmission,
davon, dass dort gesungen werde und Geschenke verteilt würden. Dann breche
mitunter doch durch, was im Alltag auf der Straße, unter dem Einfluss von
Alkohol und aus Scham, vor anderen Schwäche zu zeigen, unterdrückt wird:
"Wenn sie Weihnachtslieder hören und sich an bessere Zeiten in ihrem Leben
erinnern, an ihre Kindheit, an Geborgenheit, das sind bewegende Momente."
21 Dec 2011
## AUTOREN
Torsten Landsberg
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