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# taz.de -- Kolumne Das Schlagloch: Der Krieg der Turbofeudalen
> Gegen die Finanzoligarchie hilft nur der demokratische Gegenangriff. Die
> wirksamsten Parolen liefert immer noch das Grundgesetz.
Heute in einem Jahr, am 21. Dezember 2012, ist Weltuntergang. So steht es
auf Millionen Seiten in den esoterischen Fluchtfalten des Internets, und
Erich von Däniken ruft die Wiederkehr der Götter aus.
Aber auch die Teilnehmer am wirklicheren Leben rechnen mit Veränderungen.
Denn die Zeichen mehren sich. In ihrem Vorort kämen die Reichenkinder mit
Audis in ihre Schule, sagt die Sachbearbeiterin in der Sparkasse. Das könne
nicht so weitergehen - nicht das Billionenkarussell und nicht die Dekadenz.
Und was sagen die professionellen Auguren? Meinhard Miegel gab schon 2009
zu Protokoll, dass uns die "finale Krise" 2015 heimsuchen werde: "Dann
werden nicht nur Banken, sondern Staaten zusammenbrechen." Die Boston
Consult Group, professionell nicht geneigt, Panik zu verbreiten, munkelt
von 1930.
Die Vorstellung finaler Krisen ist offenbar eine schwer zu überwindende
Denkgewohnheit. Es ist denkökonomisch bequemer, die "Nacht, in der alle
Kühe schwarz sind" (wie Hegel spottete), zu denken, als das Mittendrin, in
dem wir sind. Für die Zustände zwischen Weltaltern gibt es keine gute
Theorie.
## Finale Furcht ist bequem
Die ums Denken bemühte Mittelschicht ist gespalten, wie immer in
bedrohlichen Zwischenzeiten. In ihrem Zentralorgan, der Zeit, jubeln die
Leitartikler, "2011 war ein gutes Jahr für Europa", und feiern die
Gleichschaltung der europäischen Staatshaushalte unter dem Diktat der
Geldoligarchie als Verwirklichung des Traums von der "Abgabe nationaler
Souveränitätsrechte".
Weiter hinten widmet das Blatt je zwei Seiten dem Trend zu gebrauchten
Klamotten in gutbetuchten Haushalten oder, erstaunlich unironisch, der
Renaissance des Sozialismus. Und noch weiter hinten sind sich Heiner
Geißler und Sahra Wagenknecht so offensichtlich sympathisch, dass sie
einander Kooperationsangebote machen und über die Überwindbarkeit von
Koalitionszwängen spekulieren.
Wenn die Widersprüche aufbrechen, erobern die Widersprechenden die großen
Bühnen. Ausgerechnet Foreign Affairs bittet die beiden Edelanarchisten
Hardt und Negri, zu analysieren, was "The Fight for Real Democracy at the
Heart of Occupy Wallstreet" bedeute. Und ausgerechnet auf den Seiten des
FAZ-Feuilletons findet sich die härteste Analyse der sogenannten
Schuldenkrise. In zwei langen Aufsätzen (am 2./3. November) kommt der
US-Ökonom Michael Hudson zu dem Resultat: Es herrscht Krieg. Das meint er
nicht metaphorisch, sondern souveränitätstheoretisch.
## Kein Knall, ein Winseln
Staaten verfügen über drei Machtmittel: Sie können Geld schöpfen, Steuern
erzwingen und Krieg führen. Zwei dieser Mittel hat sich die Politik schon
entwinden lassen. Geldschöpfung und Steuerhoheit sind in die Hände
transnationaler Finanzoligarchien übergegangen: "Was wir heute erleben ist
das Äquivalent zum Krieg - aber nun gegen die Macht der Regierungen! Es hat
die Form eines Finanzkrieges, aber die Ziele sind die gleichen wie bei
militärischen Eroberungen - zuerst Land und Bodenschätze, dann die
öffentliche Infrastruktur, deren Nutzen kostenpflichtig gemacht wird, und
schließlich andere staatliche Unternehmen oder Vermögenswerte. Dieser neue
Finanzkrieg zwingt Regierungen, im Auftrag der Eroberer gegen die eigene
Bevölkerung vorzugehen."
Noch wackelt es in diesem Krieg der Turbofeudalen gegen Bürger und
Demokratie. Die Fronten sind unscharf. Auch weil die obere Mittelschicht
(und damit die meinungsmachende Klasse) von der Ahnung geplagt wird, dass
auch sie werde zahlen müssen: ob nun die Schulden gestrichen werden und
ihre Fonds und Versicherungen darben, oder ob die Kredite getilgt werden -
was auf eine Vermögensabgabe hinausläuft.
Weil der Abschied vom Wachstum tief in die Erwartungen und
Lebensgewohnheiten eingreifen muss, steht uns ein eher langer Abschied vom
kaputten System bevor. Die kapitalistische Welt endet nicht mit Knall,
sondern mit einem Winseln, wie der Dichter sagte, und das dürfte noch
optimistisch sein.
## Kampfansage aus dem Volk
Ich vermute also, die Welt wird nicht untergehen am 21. Dezember 2012, aber
auch der Sieg der Postdemokratie hat kein Datum. Große Wenden geschehen in
kleinen Schritten: Wichtiger als Theorien über das, was allmählich jeder
weiß, sind viele tausend kleine Schritte vieler tausend Handelnder -
jedenfalls solange wir noch in einer Ordnung leben, die uns Handeln
gestattet. "Demokratische Prozesse verhindern oft schnelle Entscheidungen",
drohte die IWF-Chefin letzte Woche, das sei ein "Zielkonflikt", der mit
"ganzheitlichen Schritten" gelöst werden müsse. Das ist eine Kampfansage.
Die Gegenansage steht in den Artikeln 38 (1), 56 sowie 14 (2) unserer
Verfassung. In Berlin trugen zehn Intellektuelle mit AAA-Rating, von
Franziska Augstein bis Roger Willemsen, Interventionen gegen den "Angriff
auf die Demokratie" vor.
Kritik an den Finanzoligarchien - das, was inzwischen jeder weiß, wenn auch
nur en gros - war vorausgesetzt, die Verteidigungslinie war das
durchlöcherte Grundgesetz, dessen Artikel, wie ich finde, immer noch die
breitenwirksamsten Parolen für demokratische Gegenangriffe liefern. Niemand
verkündete einen großen Plan. Das ist auch nicht nötig, denn die Buchläden
sind seit Jahren voll davon: vom "nachhaltigen Deutschland" bis zu den
Empörungskampfschriften.
Wir sind am Ende der Aufklärungsphase; nun geht es darum, Ernst zu machen
mit unseren Einsichten, mit der Wiedereroberung der kaputten Parlamente,
Redaktionen, Fakultäten. Kurzum, dass auch Intellektuelle sich dem
notwendigen, langweiligen, demokratischen Alltagsgeschäft stellen. Das sei
defensiv? Mag sein, dass ich zu pessimistisch bin, aber die Zeiten sind
nicht - um die Kriegsmetapher aufzunehmen - nach Angriff. Vorerst sind wir
noch auf der Rutschbahn; das gibt uns ein wenig Zeit, in der noch
zusammenfinden kann, was zusammengehört. Das klingt nicht nach
Systemüberwindung, jedenfalls nicht prima vista. Aber hinhaltende
Verteidigung, das habe ich beim Militär gelernt, sichert die Linien und ist
die Voraussetzung für Gegenangriffe.
21 Dec 2011
## AUTOREN
Mathias Greffrath
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