# taz.de -- Weihnachten: Hier esse ich Geld | |
> In diesem Auszug aus ihrer Kurzgeschichte spinnt sich die | |
> Schriftstellerin Sibylle Berg nach St. Moritz - mitten in die Welt der | |
> Reichen. | |
Bild: Die Schriftstellerin Sibylle Berg lebt in Zürich. | |
Wir veröffentlichen an dieser Stelle den Anfang einer Kurzgeschichte von | |
Sibille Berg für die Weihnachtsausgabe der sonntaz. Der gesamte Text | |
erscheint in der gedruckten Ausgabe. | |
Es ist Weihnachten, das ist furchtbar, in den Tiefebenen ist es grau, | |
aushalten kann man diese tristen Tage eigentlich ausschließlich in St. | |
Moritz. Aus Gründen, die ausschließlich kapitalistischer Natur sind, wie | |
das Testen von Eiderdaunenbetten, die Erprobung schwarzer Kreditkarten oder | |
das Erschießen von Polopferden, halte ich mich beinahe jedes Jahr dort auf | |
und kann zu Recht behaupten: meine Güte. | |
Von der Natur begünstigt, erlag die Attraktivität des Ortes komplett den | |
Anstrengungen der Schweizer Einwohner in den Siebzigern und Achtzigern, sie | |
zu ruinieren. Überall stehen nun gelbe und ockerfarbene Wohnblocks aus | |
jener Zeit, die vermutlich Ausdruck der Schweizer Gesinnung sind: Wir | |
lassen uns von Schönheit nicht korrumpieren, wir sind auch wer, | |
demokratisch, proper und schnörkellos. | |
Wie unschöne Perlen von trunkener Neureichenhand sind die Läden ins | |
St.-Moritz-Dorf aufgefädelt, zwischen ansehnlichen Hotelgebäuden lungern | |
Häuser, die aussehen, als würden sie eine Post beherbergen. Unten, im Tal, | |
in St.-Moritz-Bad, stehlen sechsstockige Kastenbauten den alten Kurhäusern | |
die Show. Und all die Ware, die Pelze, die Klunker, die Geschmacklosigkeit, | |
und während ich Geschmacklosigkeit denke, merke ich, wie albern das ist. | |
Ein Leichtes ist es, als Sozialhilfeempfänger, der ich im Verhältnis zum | |
gemeinen St.-Moritz-Winterurlauber bin, den Kopf zu schütteln, angewidert | |
zu tun, aber ist das nicht ein wenig zu einfach? Und offenbart es nicht | |
einzig den kleinen Geist, Dinge und Gepflogenheiten zu ächten, die sich | |
nicht im Rahmen der eigenen Welt abspielen? | |
## Schnee hüllt das Elend in Watte. Ich denke: Marbella | |
Nähmen wir an, mein Reisebudget betrüge 60 Millionen Euro, die mir in | |
fröhlichen Scheinen aus Mund und Taschen lappten, würde ich noch genauso | |
einfältig mosern, oder gelänge es mir die Spiritualität des Ortes zu | |
entschlüsseln, gleichsam Teil der drolligen weltweiten Milliardärsfamilie | |
seiend? | |
Mit ein wenig Anstrengung kann man sich in alle Bewusstseinszustände | |
versetzen. Ein paar Minuten, und ich bin reich. Ich habe 60 Millionen Euro | |
in meiner Urlaubskasse. Warum 60? Ist doch egal, irgendeine reale Zahl muss | |
man haben, um die Vorstellungskraft zu aktivieren. Schnee hüllt das Elend | |
in Watte, die Lichter gehen an, und ich erinnere mich an Marbella, auch so | |
ein ästhetisch gewagter Platz, der erst in der Dunkelheit zu leben beginnt. | |
Ich bin Millionär. Und als solcher reise ich nie allein. Millionäre führen | |
Chauffeure mit sich, Freunde, Kinder, Tanten, minimale Gruppengröße zehn | |
Personen, für die es gilt, eine geeignete Übernachtung zu finden. Das | |
Chalet Gaia kann man für 100.000 Euro in der Woche mieten. Das Haus liegt | |
in einer kameraüberwachten Privatstraße, bewegte ich mich ohne eine dem | |
Sicherheitspersonal bekannte Person hier, wäre innerhalb von einigen | |
Sekunden Schluss mit Bewegen. | |
## Was man eben so braucht, wenn man es braucht | |
Die erste Lektion: reich sein in der Art, der es bedarf, um ein Chalet in | |
St.-Moritz-Dorf zu erwerben, ist nicht nur Spaß. Die berechtigte | |
Befürchtung, gehasst, beneidet, entführt zu werden, kennen wir alle, bis | |
auf den letzten Punkt, den haben die Reichen exklusiv. Das Haus selbst, 900 | |
Quadratmeter, Wellnessbereich, fünf Mann Personal, ist, was man eben so | |
braucht, wenn man es braucht. | |
Feine Hölzer, Blick auf den See, Saunen, Dampfbad, Granit, alles | |
computergesteuert, wireless, Fernseher in jedem Raum. | |
Das Haus wird nicht an jedermann vermietet, zum Beispiel nicht an Banker, | |
die im Rudel Boni verjubeln wollen. Da ich ein Banker bin, kommt das Objekt | |
für mich nicht infrage, und ich besichtige das Kempinski unten in | |
St.-Moritz-Bad, das von außen aussieht, wie alte, reiche Badehotels | |
aussehen müssen. Es ist vor allem bei jungen Millionären äußerst beliebt. | |
Bevor ich mir die Unterkunft ansehe, wird mir ein Menü in der Küche des | |
Hauses serviert. Event-Dining oder auch einfach eine reizende Idee. Sitzen | |
neben Köchen, die funktionieren wie kleine Kochroboter, hundert Gänge mit | |
Kaviar und allem, was der Gourmet gern verputzt. Der Spitzenkoch schwärmt | |
vom Wagyu Beef, 250 Kracher die Portion, und weißem Albatrüffel für 2.600 | |
Euro pro 500 Gramm. Dazu ein oxidativ ausgebauter Cherry. Prost, meine | |
putzmunteren Küchenfreunde, gerade wird mir klar: Das Kempinski ist für | |
mich als Millionär das Haus meines Vertrauens. | |
Was soll ich in einem Chalet, wenn ich hier in der Präsidentensuite wohnen | |
kann. Drei Schlafzimmer, zwei Etagen, guter Geschmack, liebenswürdiges | |
Personal und: Elena. Die vermutlich einzige Butlerin Europas. Sie steht den | |
Gästen der Suite 24 Stunden zur Verfügung. Wobei meist zu der Suite die | |
restlichen Zimmer der ganzen Etage gemietet werden. 100.000 Euro am Tag? | |
Keiner weiß es so genau. Doch der Reihe nach. | |
Wir wollen Millionärsferien, und die beginnen so: Mit meinem | |
Millionentaschengeld, meinen Nannys, den Bodyguards und meinen gekauften | |
Freunden würde ich im Privatjet oder Charterjet auf dem Flughafen Samedan, | |
dem höchstgelegenen Europas, landen. Dort würde Elena in den Limousinen auf | |
mich warten. Sie hätte Tage im Voraus diskret Informationen über meine | |
Vorlieben (Baldrian, Grüntee und englische Bulldoggen) eingeholt und würde | |
mich und meine Kollegen auf der Fahrt zum Hotel einchecken, denn eine wie | |
ich steht nicht an der Rezeption, um ihre Zimmerschlüssel in Empfang zu | |
nehmen. | |
Die vollständige Kurzgeschichte erscheint an diesem Wochenende in der | |
gedruckten Ausgabe der taz. | |
24 Dec 2011 | |
## AUTOREN | |
Sibylle Berg | |
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