| # taz.de -- Neues Drama am Burgtheater Wien: Porno, Nazis und Fernsehballett | |
| > Oliver Kluck erzählt in seinem Stück "Die Froschfotzenlederfabrik" über | |
| > neue Karrieren im alten Osten. Die Uraufführung inszenierte Anna | |
| > Bergmann. | |
| Bild: Heile Familenwelt in "Die Froschfotzenlederfabrik". | |
| Beim Verfassen dieses Textes ist kein Tier zu Schaden gekommen. In Wien | |
| muss man die Sache mit dem Froschfotzenleder, das dem neuen Drama von | |
| Oliver Kluck seinen Namen gab, schon noch erklären. Die Feinheiten der | |
| Ex-DDR-Ersatzmittelwirtschaft sind hier nicht so geläufig. | |
| In der Uraufführung von Klucks Stück im Kasino am Schwarzenbergplatz, der | |
| Spielstätte des Wiener Burgtheaters für Neuigkeiten, ist es eine Art | |
| Audiotrailer, der sachdienliche Aufklärung leistet. Ein Zusammenschnitt von | |
| archivierten Werbeeinschaltungen kündet von den Wohltaten sozialistischer | |
| Alltagsbedarfsbefriedigung. Froschfotzenleder, so erfährt man, polsterte | |
| dem Neuen Menschen das Hinterteil, wenn er in sein lange begehrtes | |
| Zweitaktfahrzeug stieg. | |
| Didaktische Behutsamkeit und doppelte Anfänge sind überhaupt ein | |
| Markenzeichen dieser Uraufführung in der Regie von Anna Bergmann. | |
| Guido-Knopp-artige Videoprojektionen in beinahe alle Richtungen des Raumes | |
| lassen die DDR wiedererstehen und abermals untergehen. | |
| Junge Pioniere winken, proletarische Kampfdemonstrationen marschieren, | |
| Honecker tanzt im Kreis herum. Und dann diese Showtreppe, Katrin Nottrodt | |
| hat sie als Längsachse in den Raum gebaut, dahinter Pappsäulen und | |
| Plüschvorhänge, davor das Publikum an Bistrotischen. | |
| Parallel zu den Treppenstufen fahren Bühnenprospekte die wechselnden | |
| Schauplätze heraus und herein. Die ganze Ausstattung atmet den durchaus | |
| sympathischen Junge-Autoren-junge-Regisseure-neue-Stücke-Seufzer: endlich | |
| Platz, endlich Budget, endlich keine Nachwuchsförderungsprobenhinterbühnen | |
| mehr. | |
| ## Ausflug in die leichte Muse | |
| Die große Lust am Staatstheaterapparat verursacht dann gleich einen Ausflug | |
| in die leichte Muse. Das Ensemble hüpft herein mit einem Tanz, der dem | |
| MDR-Fernsehballett alle Ehre machen würde. Der ganze Bühnenzauber ist | |
| selbstverständlich dazu da, mediale Formate durch Überaffirmation kritisch | |
| zu hinterfragen. Können tut er dann doch nur Affirmation. | |
| Irgendwann landet man dann doch auf der Textspur. Richtig, was will uns der | |
| Autor damit sagen? Oliver Kluck sondiert Sprache, hört, rythmisiert und | |
| verdichtet das Justemilieu der blühenden Landschaften. Warum ist alles so | |
| öde hier, warum gehen alle weg, warum ist die Autobahn A 20 immer so leer | |
| und warum stehen Holger, Mandy oder Jessica plötzlich auf Blood & Honor, | |
| obwohl sie die Worte kaum aussprechen können? | |
| Der Neonaziaspekt hat dem Text im Vorfeld eine gewisse Dringlichkeit | |
| verschafft, die das Burgtheater in der Bewerbung sehr deutlich | |
| herausgestellt hat. Kluck sucht Gesellschaft und landet erst mal bei ihrer | |
| Keimzelle. Die Welt ist Mama, Papa und alle damit verbundenen Verluste und | |
| Versagungen. | |
| ## Mama säuft sich tot | |
| Mama ist dabei, sich totzusaufen (Michael König), Papa ist ein | |
| wendegewinnlerischer Textilunternehmer, ein stiernackiger Musterkapitalist | |
| aus dem Staatsbürgerkundebuch (Michael König), der seine Näherinnen unter | |
| Tarif bezahlt, seine blonde Tochter (Jana Schulz) abgrapscht und neuerlich | |
| Modeartikel für die Naziszene produziert. | |
| Die Tochter macht jetzt Pornos. Nicht irgendwelche, mehr so selbstbestimmt | |
| und mit Kunstanspruch, die vierte Wand durchbrechend und die patriarchalen | |
| Sehgewohnheiten unterwandernd. Das ist offenbar sehr anstrengend, zumindest | |
| das Referieren darüber. | |
| Im knappen Leopardenoutfit, welches ebenfalls sehr anstrengend sein muss, | |
| ist sie doch ganz der Papa, auch die Pornoindustrie strukturiert | |
| Verwertungszwang und Arbeitsethos. Mamas Zusammenbrüche enden im | |
| öffentlichen Krankenhaus, obwohl ihr doch nach der gesellschaftlichen | |
| Stellung ihres Mannes mindestens die Betty-Ford-Klinik zustünde. | |
| Wie war das nun mit den Neonazis? Auch den Blick auf sie versüßt letztlich | |
| die familiäre Brille: die doof gebliebenen Verwandten auf dem Lande, für | |
| die sich der gemeine Städter schämt, weil sie nach der ersten Flasche Korn | |
| schon die "Wacht am Rhein" singen. Den Sound aufnehmen und die Verhältnisse | |
| analysieren bleibt zweierlei. | |
| Zum guten Schluss dürfen etwa 15 echte MigrantInnen die weiße | |
| Mittelschichtbühne betreten, einen nachdenklichen Satz ins Mikro sagen und | |
| mit dem Ensemble das Abschlusstänzchen aufführen. Danke, Burgtheater, so | |
| haben wir uns Integration im kulturellen Feld immer vorgestellt. | |
| 22 Dec 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Uwe Mattheiss | |
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