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# taz.de -- INTERVIEW: Piraten für 'flüssige Demokratie
> Das Berliner Wahlergebnis hat auch die Bremer Piraten motiviert - sie
> gründeten einen Kreisverband. Wir fragten sie, wer sie sind und was sie
> wollen.
Bild: Bremer Piraten Sebastian Raible (links) und Robert Bauer (rechts) - auf V…
taz: Was hat Euch motiviert, bei den Piraten mitzumachen?
Robert Bauer: Ich bin nach der Bürgerschaftswahl eingetreten.
Obwohl die Piraten so schlecht abgeschnitten haben?
Bauer: Nein, weil sie so schlecht abgeschnitten haben. Die Ideen, die
hinter der Partei stehen, dürfen nicht wegsterben. Auch in meinem
Freundeskreis gehen immer weniger Leute wählen. Das zeigt, dass etwas mit
der momentanen Demokratie nicht stimmt. Deshalb will ich jetzt selbst an
den Bestimmungsprozessen und der Transparenz in der Politik mitarbeiten.
Erst seit ein paar Monaten Mitglied und jetzt schon Kreisvorstand. Macht
man so schnell Karriere bei den Piraten?
Bauer: Wer nicht schnell genug wegläuft... Man darf nur nicht damit
rechnen, dafür Geld zu bekommen.
Sebastian Raible: Ich bin seit 2004 netzpolitisch aktiv und habe mich
besonders 2009 gegen das Zugangserschwerungsgesetz engagiert. Nach dem
Wahlerfolg der Piraten in Berlin dieses Jahres bin ich dann eingetreten.
Zugangserschwerungsgesetz. Wenn man dagegen ist, heißt das "Kinderpornos
für alle"?
Raible: Gegen das Zugangserschwerungsgesetz zu sein, heißt, sich gegen den
Aufbau einer Internet-Zensurinfrastruktur zu engagieren und zu verhindern,
dass eine Symbolpolitik auf dem Rücken der Opfer sexuellen Missbrauchs
ausgetragen wird.
Warum Symbolpolitik?
Raible: Das war in erster Linie Wahlkampf. Wolfgang Schäuble hat das auch
selbst zugegeben, er wurde vom Spiegel nach den Wahlen so zitiert.
Symbolpolitik auch deshalb, weil die vorgeschlagenen technischen Maßnahmen
nicht greifen. Internet-Sperren sind ein Wegschauen vor dem, was eigentlich
passiert. Vor einigen Wochen ist ja im Bundestag auch die Aufhebung des
Gesetzes beschlossen worden.
Wie kam das?
Raible: Das Gesetz ist 2009 im Schweinsgalopp durch das Parlament getrieben
worden, dann mittels eines rechtlich fragwürdigen Nicht-Anwendungserlasses
nicht angewendet worden, um jetzt endgültig aufgehoben zu werden.
Inzwischen hat sich die Meinung auch in der EU durchgesetzt, dass Löschen
vor Sperren geht.
Was heißt das?
Raible: Das Löschen der Materialien und das Verfolgen der Urheber der
Missbrauchsdarstellungen, was meiner Meinung nach auch der richtige Weg
ist.
Hat man als Altenpfleger nicht auch ganz andere Interessen? Muss sich immer
alles um das Internet drehen?
Bauer: Ich habe einmal Politik und Geschichte auf Lehramt studiert und bin
dann in die Altenpflege gerutscht, weil ich mein Referendariat nicht
beendet habe. Die Piraten machen zudem nicht nur Netzpolitik. Wir wollen
auch die "analogen" Menschen mit ins Boot holen. Ich finde, dass durch das
Internet eine neue Denkweise entstanden ist. Wer damit aufgewachsen ist,
hat ganz neue Kommunikationsformen kennengelernt, die im besten Fall auch
eine nachhaltige politische Umwälzung ergeben können.
Haben die Bremer Piraten eine sozialpolitische Idee? Wo stehen sie zwischen
CDU und SPD ?
Bauer: Es gibt bei uns den recht liberalen Gedanken von der
Selbstbestimmtheit des Individuums und der Bürgerrechte und zum anderen
auch den sozialen Gedanken, dass die Freiheit nicht alleine als die
Freiheit des Geldes verstanden werden darf. In der Sozialpolitik sind wir
sicher noch in der Findungsphase.
Herr Raible, Sie als Informatikstudent, interessiert Sie Sozialpolitik?
Raible: Ich habe auch für das bedingungslose Grundeinkommen gestimmt, weil
ich es für eine interessante soziale Idee halte. Man kann die Piraten als
Partei, aber auch als eine Art Bewegung auffassen, die das Thema
Transparenz auf allen Themenfeldern für sich entdeckt hat. Mehr Transparenz
wagen, so dass Bürger sich beteiligen können und das in allen Bereichen der
Politik.
Bauer: Transparenz und Teilhabe sind für andere Parteien leider oft nur
Lippenbekenntnisse.
Raible: Wir meinen, dass sich in jedem Schritt eines Entscheidungsprozesses
Bürger beteiligen können müssen. Seit 2003 gibt es die Idee, eine
"flüssige" Demokratie zu schaffen, die die Grenzen zwischen direkter und
repräsentativer Demokratie aufweicht. Mittels Software wie "Liquid
Feedback" kann man einen Vorschlag zu etwas zur Diskussion freigeben.
Menschen können dann dafür oder dagegen stimmen und bei mehreren
Alternativen auch ihre Präferenzen angeben.
Ist es dann mehr als ein klassisches Diskussionsforum?
Raible: Es ist mehr wegen der Abstimmungsmöglichkeiten. Bei einem Thema,
das mich nicht interessiert oder bei dem ich mir nicht genug Kompetenz
zutraue, kann ich meine Stimme zudem einer Person übertragen. Die Software
ist noch in der Testphase, wird aber auf Bundesebene zur Meinungsfindung
eingesetzt. Im Moment kann teilnehmen, wer Mitglied bei den Piraten ist.
Anschauen kann sich die Diskussion aber jeder. Abstimmungen finden
öffentlich statt, während der Abstimmung sind die Stimmen aber verdeckt, um
taktisches Wählen zu verhindern. Am Ende des Abstimmungsprozesses werden
sie dann offengelegt.
Mit Namen?
Raible: Oder mit Nickname, ja. Das ist nötig, um nachvollziehbar zu machen,
dass keine Manipulation stattfand.
Und damit kann man Demokratie neu organisieren?
Bauer: Das wird sich zeigen. Momentan werden im Piratenwiki, unserer
Informations- und Diskussionsplattform, Vorschläge für den Bundesparteitag
in der sogenannten Antragsfabrik erarbeitet.
Raible: Der Chaos Computer Club hat in einer Stellungnahme vor dem
Bundesverfassungsgericht dargelegt, dass mittels Wahlcomputern nie eine
geheime Abstimmung durchgeführt werden kann, da man nie sicherstellen kann,
dass sie nicht manipuliert wurde.
Waren Sie früher politisch aktiv?
Raible: Ich war vorher bei den Grünen und bin da 2009 ausgetreten. Damals
hat Matthias Güldner, der Fraktionsvorsitzende der Grünen Bremen, in einem
Artikel in der Welt sinngemäß erklärt, dass das Zugangserschwerungsgesetz
in die richtige Richtung ginge und dass jetzt endlich mal jemand etwas tue.
Haben Sie Güldner mal mit Ihren Argumenten konfrontiert?
Raible: Ich habe ihm einen offenen Brief geschrieben, habe ihn aber nicht
persönlich getroffen.
Ist die Idee der Piratenpartei nicht etwas nur für sehr gut informierte,
studierte, technisch interessierte Männer?
Bauer: Wir versuchen Politik sehr niederschwellig zu gestalten; schon
alleine mit einem Monatsbeitrag von drei Euro kann eigentlich jeder
mitmachen.
Auch Frauen...
Bauer: Ich fände es schön, wenn sich mehr Frauen bei den Piraten engagieren
würden.
Raible: Es gibt in der Gesellschaft ein bestimmtes Frauen- und Männerbild.
Dazu gehört, dass Frauen eher vermittelt wird, sich nicht so in den
Vordergrund zu drängen.
Bauer: Marina Weisband ist ja auch in ihre Position der politischen
Geschäftsführerin mehr reingeschubst worden. Sie sagt, dass sie gegen eine
Frauenquote ist, weil das kaschieren würde, dass bei den Piraten so wenige
Frauen sind. Und dabei entscheiden die hohen Ämter ja auch gar nicht mehr
als andere Mitglieder, die Ämter sind ja wie gesagt eher organisatorisch.
Raible: Ich glaube aber, dass in der Gesellschaft immer mehr erkannt wird,
dass Frauen und auch andere Gruppen nicht beteiligt werden und stattdessen
ein "Mackertum" gefördert wird.
Wie gehts in Bremen mit der Piratenpartei weiter?
Bauer: Erst einmal wollen wir piratige Ideen aus der Stadt hinaus auch ins
Umland tragen. Langfristig wollen wir uns in Bremen für mehr
Bürgerbeteiligung einsetzen. Deswegen unterstützen wir die Proteste gegen
Kürzungen in der Bildung und setzen uns für Gerechtigkeit und soziale
Sicherheit ein.
26 Dec 2011
## AUTOREN
Anissa Brinkhoff
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