# taz.de -- Thilo Weichert über den Kampf gegen Facebook: "Die Übertölpelung… | |
> Schleswig-Holsteins oberster Datenschützer will das größte soziale | |
> Netzwerk Facebook dazu bringen, sich an europäisches Recht zu halten. | |
> 2011 machte er bloß den Anfang. | |
Bild: Will den Usern klar machen, was mit ihren Daten passiert: Thilo Weichert. | |
taz: Herr Weichert, schön, dass Sie so kurz vor Jahresende Zeit haben. | |
Thilo Weichert: Da haben Sie Glück, vor zwei, drei Monaten hätte ich es | |
eher nicht einrichten können. Da gab es Tage, an denen ich zehn | |
Journalisten und Fernsehteams durch mein Büro geschleust habe. | |
Ihr Kampf gegen Facebook hat ganz schön viel Staub aufgewirbelt. | |
Das einschneidende Ereignis war dieses Jahr ganz klar unsere Aktion gegen | |
Facebook. Aber auf unserer Weihnachtsfeier musste ich eine sehr | |
durchwachsene Bilanz ziehen. Für den Datenschutz war 2011 kein gutes Jahr | |
und besonders frustriert haben mich CDU und Liberale, die gern ohne großes | |
Dankeschön von mir profitieren, wenn es ihnen in den Kram passt. | |
Wenn es aber politisch gefährlich scheint, wie jetzt beispielsweise bei | |
Facebook, wird meine Argumentation ignoriert, zurückgewiesen und teilweise | |
auch mit unlauteren Mitteln bekämpft. Ein Indiz dafür ist das jetzt | |
geänderte Landesdatenschutzgesetz, in dem auf Antrag der Grünen und des SSW | |
Regelungen aufgenommen werden sollten, die unsere Bußgeldzuständigkeit | |
klarstellen und eine zweite Wiederwahl des Datenschutzbeauftragten möglich | |
machen. | |
Mit einer solchen Regelung könnten Sie auch über 2014 hinaus | |
Datenschutzbeauftragter sein und müssten nicht nach der zweiten Amtszeit | |
aufhören. | |
Es gab vorher Zusagen von CDU und FDP, dass sie das mittragen würden, aber | |
dann haben sie es bei der ersten Novellierung angeblich vergessen. | |
Vergessen? | |
Nun, sagen wir, die Durchdringungstiefe der Politik in einzelnen Inhalten | |
ist manchmal nicht unbedingt so groß. Und als es dann beim zweiten Mal | |
beantragt wurde, wollten sie es plötzlich nicht mehr - mit einer ganz | |
perfiden Argumentation. | |
Wie ging die? | |
Die einmalige Wiederwahl solle die Unabhängigkeit des | |
Datenschutzbeauftragten gewährleisten, und um frischen Wind reinzubringen, | |
sei eine zweite Wiederwahl nicht sinnvoll. Als das im Ausschuss vorgetragen | |
wurde, haben alle anderen gelacht. | |
Sie können ja auch herzhaft darüber lachen! Das heißt aber, Sie gehen davon | |
aus, dass Sie in dieser Position nicht mehr unbedingt erwünscht sind? | |
Ich glaube eher, dass das ganz kurzfristige politische Reaktionen sind. Und | |
ich habe die Hoffnung, dass es in einem halben Jahr wieder anders aussieht, | |
der Datenschutz wieder wichtig für Schleswig-Holstein sein wird und | |
Facebook schon lange abgestellt und vergessen ist. | |
Sehr komisch. Aber das glauben Sie wirklich ein wenig, oder? | |
Nein, aber man kann ja ab und zu auch mal hoffen! | |
Mal im Ernst: Es ist ja schon so, dass Sie, was Facebook angeht, auf | |
verlorenem Posten agieren. Wie ist das für Sie? | |
Die Aussage ist so nicht richtig. Ich stehe nicht alleine, sondern habe die | |
hundertprozentige Unterstützung aller Datenschutzbehörden in Deutschland. | |
Die Kollegen waren nur etwas überrascht, wie wir bei Facebook vorgeprescht | |
sind. Aber es gab im September eine Entscheidung der Datenschutzkonferenz | |
und im November des Düsseldorfer Kreises, das sind die beiden | |
Koordinierungsgremien auf Bundesebene, die uns voll den Rücken gestärkt | |
haben. Und auch von den Datenschützern in Europa werden unsere Positionen | |
voll und ganz geteilt. | |
Aber anfangs haben schon alle gesagt: Der Herr Weichert gegen Facebook? Der | |
spinnt doch. | |
Zu Beginn schon, aber nach etwa einem Monat haben wir eigentlich nur noch | |
zustimmende Kommentare bekommen. Mir ist natürlich klar, dass es sehr viele | |
Facebook-Nutzer gibt und sich diejenigen, die unser Engagement negativ | |
sehen, nicht unbedingt bei uns melden. Aber es geht mir nicht nur um die | |
Nutzer von Facebook, sondern um die rechtmäßige oder eben die unrechtmäßige | |
Datenverarbeitung im Internet. Die Nutzer müssen die Chance haben, zu | |
erfahren, was mit ihren Daten passiert. Und Facebook verweigert das wegen | |
des banalen Interesses, Geld zu verdienen. | |
Das heißt, Sie wollen mit Ihrem Vorgehen gegen Facebook ein Exempel | |
statuieren? | |
Ich muss am Ende gar nicht gewinnen, aber wir müssen einen Prozess in Gang | |
setzen, der eine rationale und rechtlich korrekte Auseinandersetzung mit | |
sich bringt und zu politisch akzeptablen, demokratisch legitimierten und | |
gesellschaftlich akzeptablen Lösungen führt. | |
In Schleswig-Holstein Fanseiten und "Gefällt mir"-Buttons zu verbieten, | |
scheint aber nicht unbedingt gesellschaftlich akzeptabel zu sein. | |
Es geht doch darum: Der Nutzer von Fanpages und Social Plug-ins wie dem | |
"Gefällt mir"-Button wird weder darüber informiert, dass seine Daten in die | |
USA übermittelt werden, noch hat er die Möglichkeit, zu sagen, ich möchte | |
nicht, dass von mir ein persönliches Profil angelegt wird. Ohne diese | |
Wahlmöglichkeit verstößt Facebook schlicht und einfach gegen europäisches | |
Datenschutzrecht. | |
Das scheint aber nicht nur Facebook kalt zu lassen. Ihre Frist zum | |
Entfernen des "Gefällt mir"-Buttons und von Fanseiten hat auch die | |
Staatskanzlei mit der Begründung ignoriert, sie sei ein wichtiges | |
Kommunikationsmittel. | |
Hier besteht inhaltlich eine Kontroverse zum Ministerpräsidenten, zur | |
Staatskanzlei und im Prinzip auch zur Landesregierung, weil das | |
Innenministerium als Rechtsaufsichtsbehörde und das Wirtschafts- und | |
Wissenschaftsministerium als Fachaufsichtsbehörde aufgefordert sind, die | |
Fanpages stillzulegen. Das machen die einfach nicht. | |
Was ist denn so schlimm an Facebook? | |
Wir haben bei Facebook das ganz große Problem, dass sich etwas | |
Rechtswidriges als Kommunikationsstandard in unserer Gesellschaft | |
festgesetzt hat. Wenn dann die Staatskanzlei sagt, man brauche die | |
Fanseite, um mit den Bürgern zu kommunizieren, ist das natürlich Unsinn und | |
führt dazu, dass man meint, etwas aufzugeben, wenn man sich an Recht und | |
Gesetz hält. Das kann nicht richtig sein. | |
Juristen bestreiten Ihre Position ja durchaus. | |
Aber sie wird von allen Datenschutzkollegen geteilt und ist auch | |
mittelfristig politisch gar nicht anders zu handhaben. Andernfalls könnten | |
sich Anbieter wie Google und Facebook aus der Verantwortung stehlen, indem | |
sie einfach sagen, wir sitzen in den USA oder in Irland und haben mit dem, | |
was ihr da in Deutschland macht, rechtlich nichts zu tun, sondern greifen | |
nur den Profit ab. | |
Dass wir da für die Nutzer zunächst mal Spielverderber sind, ist ganz klar, | |
weil wir das Spielen mit dem Internet unter Umständen ein bisschen | |
schwieriger machen, wenn wir fordern, die Nutzer mit bestimmten Fakten zu | |
konfrontieren. Aber beim Datenschutz ist es immer so: 80 Prozent wollen | |
wissen, was mit ihren Daten passiert und 20 Prozent ist es absolut egal. | |
Sie haben auf einer Diskussionsrunde mit dem US-amerikanischen Journalisten | |
Jeff Jarvis mal gesagt: "So lange die Deutschen so dumm sind und die | |
Suchmaschine Google benutzen, haben sie es nicht besser verdient." Was | |
mühen Sie sich denn dann überhaupt ab? | |
Informationelle Selbstbestimmung bedeutet auch, dass jeder sein ganzes | |
Lebens ins Netz stellen darf, wenn er will. Nur: Viele machen das nicht | |
bewusst, sondern werden durch technische Einstellungen dazu gedrängt und | |
von Allgemeinen Geschäftsbedingungen übertölpelt. Facebook & Co verdienen | |
mit dieser Übertölpelung der Nutzer dann Geld. | |
Ihnen wird oft vorgeworfen, dass Sie sich die glamourösen Themen | |
raussuchen, weil Sie sich gern profilieren. | |
Das ist völliger Unsinn! Dass man sich mit den Punkten, die am | |
relevantesten sind, auch profilieren kann, liegt auf der Hand und ist | |
vielleicht ganz gut so. Aber ich bin wirklich davon überzeugt, dass | |
Fanpages und Social Plug-ins gegen bestehenden Datenschutz verstoßen und | |
ein ganz zentraler Aspekt des Geschäftsmodells von Facebook sind - deswegen | |
tut es denen ja auch so weh. Ich habe mir das Thema nicht wegen der | |
Medienwirkung herausgesucht. | |
Ärgert Sie so ein Vorwurf? | |
Ach nein, das belustigt mich. Und es zeigt, dass es nicht völlig nutzlos | |
ist, was wir machen. Mir wird ja immer unterstellt, ich wäre streitlustig, | |
das ist nicht richtig, ich bin aber streitbar. Und wenn ein Konflikt da | |
ist, will ich den auch austragen. Wir bearbeiten in Schleswig-Holstein auch | |
eine Vielzahl von kleinen Beschwerden, verhängen Bußgelder, wenn jemand in | |
der Bäckerei die Mitarbeiter per Video überwacht. | |
Das ist im Vergleich zu dem, was Facebook macht, natürlich Banane. Aber ich | |
kann ja nicht Bußgelder gegen die Kleinen verhängen und die Großen laufen | |
lassen, also muss ich mich auch um die Großen kümmern. | |
Mit welchen Beschwerden kamen die Leute dieses Jahr zu Ihnen? | |
Wahnsinnig zugenommen hat seit drei, vier Jahren das Thema | |
Videoüberwachung. Wir haben dieses Jahr beispielsweise ein großes Verfahren | |
gegen den norddeutschen Discounter Krümet in Kiel durchgeführt, der in | |
mehreren Filialen die Mitarbeiter massiv mit versteckten Kameras überwacht | |
hat. Und dann gibt es sehr viel Kleingeschäft, das in der Öffentlichkeit | |
überhaupt nicht bekannt wird. Zum Beispiel, wenn jemand eine Kamera aufbaut | |
und das Schlafzimmer oder Badezimmer seines Nachbarn überwacht. | |
Was machen Sie dann? Fahren Sie hin und schauen nach, wer da wem ins Zimmer | |
schaut? | |
Im Extremfall kann das passieren. Meistens reicht es jedoch, auf die | |
rechtlichen Grundlagen zu verweisen und dann sind sie bereit, ihre Kameras | |
anders zu justieren. Solche Nachbarschaftsstreitigkeiten lassen sich in der | |
Regel gütlich klären. Außerdem bekommen wir die | |
Feld-Wald-Wiesen-Beschwerden über unzulässige Datenspeicherung bei Banken, | |
unzulässige Bonitätsbewertung und den ganzen Strauß der öffentlichen | |
Verwaltung, wenn zum Beispiel die Stadt Glücksburg Festplatten mit | |
sensiblen Daten darauf auf dem Flohmarkt verkauft. | |
Warum gibt es einen so großen Unterschied zwischen dem Verhalten im Netz | |
und in der Welt? | |
Die technische Entwicklung ist einfach schneller als unser Bewusstsein und | |
wir versuchen, Werte aus unserer analogen Welt ins Internet zu übertragen. | |
Das ist ein großes Problem, denn ein Freund im Internet ist kein Freund im | |
Privaten. Und da müssen wir einfach aufklären und Medienkompetenz | |
vermitteln. | |
Es gab dieses Jahr noch den Zensus. Das hat irgendwie niemanden so recht | |
interessiert, oder? | |
Der Zensus 2011 ging fast geräuschlos über die Bühne. Ich habe zwar Kritik | |
am Zensus, weil Fragen zur Religionszugehörigkeit oder zum | |
Migrationshintergrund da überhaupt nicht reingehören. Aber ich denke, wenn | |
man die Bedrohung für die informationelle Selbstbestimmung gewichtet, hat | |
der Zensus 2011 überhaupt nicht mehr die Bedeutung wie die Volkszählung | |
1983 oder 1987. Damals hatten wir eine autoritäre Sicherheitsgesetzgebung | |
und der Zensus wurde auch als ein Instrument zur Abwehr dieser | |
Sicherheitsgesetzgebung genutzt. Und damals war die Bedrohungssituation | |
noch einfach. | |
Warum? | |
Die Bedrohten waren die Bürger und dem gegenüber stand als "Big Brother" | |
der Staat. Heute haben sich die Bürger als Subjekte der Datenverarbeitung | |
emanzipiert, nutzen sie selbst und können daher auch Risiken besser | |
einschätzen. Die geringe Resonanz auf den Zensus ist also nicht nur eine | |
Frage von Befindlichkeiten der Bürger, sondern eine ganz rationale | |
Entscheidung. | |
Was hat Sie 2011 am meisten frustriert? | |
2008 und 2009 haben wir eine richtige Aufbruchsstimmung empfunden, das | |
ebbte immer mehr ab und heute ist Datenschutz kein wählerrelevantes Thema | |
mehr. Das kann sich mit der Piratenpartei wieder ändern, weil die anderen | |
Parteien sich in Konkurrenz dazu aufstellen müssen. Aber diese | |
Herausforderung haben bisher allenfalls die Grünen angenommen und mit ihrem | |
netzpolitischen Beschluss wenigstens versucht, eine Antwort auf das | |
Phänomen "Piraten" zu finden. | |
Bei allen anderen Parteien sind Informationstechnik und Grundrechte, | |
Informationstechnik und Demokratie absolut unterbelichtete Themen. Und | |
allein die Entscheidung, Karl Theodor zu Guttenberg zum EU-Beauftragten für | |
Freiheit im Netz zu machen, zeigt schon die Unbeholfenheit und Ignoranz von | |
europäischer und insbesondere von deutscher Politik. | |
Was steht für nächstes Jahr oben auf Ihrem Zettel? | |
Das ganz große Thema 2012 wird die Diskussion über die europäische | |
Datenschutzverordnung werden. Und dann befürchte ich, dass das sogenannte | |
Scoring, also das Datensammeln beispielsweise von Kreditinstituten zur | |
Bonitätsprüfung, weiter zunehmen wird. Wir kommen dadurch immer mehr zu | |
einer digitalisierten Bewertung von einzelnen Menschen, die nichts mehr mit | |
realen Umständen zu tun hat und die Menschen auf eine bloße statistische | |
Zahl reduziert. Dagegen möchte ich vorgehen. Und ganz klar: Soziale | |
Netzwerke wie Facebook und Datenschutz im Internet bleiben große Themen. | |
Haben Sie auch kleinere Schritte auf Ihrer Liste? | |
Ach nein, ich arbeite anders. Ich gehe nicht mit einem strategischen Plan | |
ans nächste Jahr ran, stelle einen Fünfjahresplan auf und wenn ich den | |
nicht halten kann, verkünde ich das Ende des Datenschutzes. Ich habe die | |
Utopie einer freien, demokratischen, selbstbestimmten und nicht | |
ausbeuterischen Gesellschaft. Mit allem, was ich mache, strebe ich dieses | |
große Ziel an. Auf dem Weg dahin gibt es hier und da Möglichkeiten und | |
Notwendigkeiten zu agieren. | |
29 Dec 2011 | |
## AUTOREN | |
Ilka Kreutzträger | |
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