# taz.de -- Kiffen in Prag: Fliegen mit Bubble-Gum-Homegrown | |
> Das Cannafest in der tschechischen Hauptstadt ist ein knallbunter, lauter | |
> Jahrmarkt mit Pflanzenlampen aus China, Rauchutensilien aus Indien. | |
Bild: Die Karlsbrücke im dichten Nebel. | |
Es ist wie eine Reise in die Vergangenheit. Vor zwanzig Jahren war ich | |
zuletzt in Prag. An allen Ecken hatten Amerikaner gestanden und "American | |
Pie" gesungen. Nun fahre ich zum Cannafest, einer von zwei Hanfmessen, die | |
jedes Jahr in Prag stattfinden. Seitdem die tschechischen Drogengesetze im | |
letzten Jahr gelockert und in den Niederlanden verschärft wurden, wird Prag | |
als Amsterdam der Gegenwart gehandelt. In Amsterdam war ich zuletzt vor | |
dreißig Jahren. Eine meiner schönsten Jugenderinnerungen ist tatsächlich, | |
wie ich an einem trüben Nachmittag in Amsterdam in einer Kneipe namens "de | |
dod" mit einem Anzugträger einen Joint rauchte. Dass die Kiffer sich nicht | |
verstecken und unter sich bleiben mussten, sondern dass in allen Schichten | |
gekifft wurde, dieses Generations- und Klassenübergreifende hat mich | |
begeistert. | |
Gleichmäßig rattern die Räder auf den Gleisen, manchmal schaukelt der Zug | |
leicht während die schöne Berg- und Flusslandschaft zwischen Dresden und | |
Prag am Fenster vorbeizieht. Es ist still, nur manchmal hört man, wie die | |
Mitinsassin eine Seite ihres Buchs umblättert. Gedankenverloren schaut man | |
aus dem Fenster hinaus. Eigentlich sind meine Lieblingsbeschäftigungen im | |
Leben Rauchen, Duschen und Aus-dem-Zugfenster-Gucken. Schade, dass es dann | |
schon dunkel ist, schade, dass die Fahrt nicht länger dauert, schade, dass | |
man hier nicht rauchen darf. Aber auch nicht weiter schlimm. | |
Über dem 200 Jahre alten Industriepalast im Stadtteil Holesovice hängt eine | |
Marihuana-Fahne mit der Forderung: "Legalizace!" Vor dem Eingang steht ein | |
Zelt, aus dem elektronische Musik tönt. Schwitzend schlendere ich mit | |
meinen Taschen durch die drei Messehallen auf der Suche nach dem | |
Presse-Office. Als ichs gefunden hab, ist niemand da. Auf den Tischen | |
liegen Papers mit der Aufschrift "Legalizace". Später kommt dann doch eine | |
Frau, geht mit mir die Hotels durch, die während der Messe Rabatt geben, | |
ruft in einem an, erklärt mir den Weg und schenkt mir eine Cola. | |
Auf dem Weg durch das Messegetümmel Déjà-vus, nicht von wilden Raves, | |
sondern eher von der Buchmesse. Das Cannafest ist ein knallbunter, lauter | |
Jahrmarkt. Das Publikum entspricht nur in kleineren Teilen den Klischees. | |
Die Frauen an den insgesamt 102 Ständen sehen so adrett aus, wie die Frauen | |
an den Ständen anderer Messen auch. Am Rande trinkt man Bier. Manche wollen | |
auch kein Hanfbier trinken, sondern lieber was Normales, auch wenn ihnen | |
versichert wird, dass das Bier keinerlei psychoaktiven Substanzen enthält. | |
Am Stand der Hanfparade treffe ich Bekannte: Kathrin, die am Nachmittag die | |
tschechische Ausgabe ihres Hanfkochbuchs vorgestellt hatte, ihren Freund | |
Werner, den Piraten, und Leute von der Hanfparade und aus dem Hanfmuseum. | |
Wir essen Kekse. Jemand erzählt von der Razzia, die tags zuvor beim | |
alljährlichen Cannabiscup der Zeitschrift High-Times in Amsterdam | |
stattgefunden hat. Mit "Angela Merkel lügt wissentlich" kommentiert Werner | |
die Videoantwort der Kanzlerin zur Frage der Legalisierung. | |
Jemand möchte zu einem Joint "Bubble-Gum-Homegrown-Tschechien-Indoor" | |
einladen, doch in der Halle ist Rauchen verboten. Die grüne Cannabiseiskrem | |
schmeckt ein bisschen streng. | |
Der österreichische Erfinder des "Solubilisierens" hat seinen Stand gleich | |
daneben. Es handelt sich dabei um eine Technik, mit der das THC | |
wasserlöslich gemacht wird. So nimmt es der Körper dann besser auf. Das ist | |
so ähnlich wie in der Autoindustrie, wo man sich ja auch bemüht, möglichst | |
viel aus dem Benzin rauszuholen. | |
Jemand freut sich, dass das Publikum so normal ist. Ich sage, auch Nazis | |
kiffen. Kathrin Gebhardt erzählt, dass auf einer in den USA gehosteten | |
Internetseite ihr Buch im Paket mit "Mein Kampf" und einem Film von Leni | |
Riefenstahl angeboten wird. Gern würde sie dagegen etwas machen, aber das | |
sei schwierig. Besonders toll am tschechischen Drogengesetz sei, dass die | |
tolerierten "geringen Mengen" - 15 Gramm Marihuana, 5 Gramm Hasch, 40 | |
"Zauberpilze", fünf LSD-Trips, 1,5 Gramm Heroin, 1,0 Gramm Kokain und 2,0 | |
Gramm Methamphetamin, 4 Es - bei Entdeckung nicht konfisziert werden | |
würden. | |
Beschwingt und guter Dinge gehe ich zum Hotel. Im Hotelzimmer ist es | |
komplett still. Man hört nur die Klimaanlage. So angenehm leicht | |
angedichtet fühlt sich das Leben gerade frisch und bedeutsam an. | |
Hungrig gehe ich noch mal raus und finde bald ein Restaurant. Der | |
Raucherbereich ist voll; im Nichtraucherbereich sitzt kaum jemand. Es ist | |
sehr angenehm, rauchend in einem Restaurant zu sitzen und nichts von dem zu | |
verstehen, was die anderen erzählen. Unschlüssig stehen zwei junge Männer | |
im Eingangsbereich. Einer fragt den Kellner vermutlich, ob man hier kiffen | |
dürfe. Dann setzen sich die zwei, trinken Bier und rauchen. | |
Ein Pärchen um die dreißig setzt sich an meinen Tisch. Er hat eine Glatze; | |
sie trägt ein T-Shirt mit dem tschechischen Wappen. Er ist smart, sie | |
scheint betrunken. Sie kommen gerade vom Daniel-Landa-Konzert, einem | |
populären nationalistischen Sänger und Exskinhead. Auch sie seien | |
Nationalisten. Als ich erzähle, dass ich über das Cannafest berichte, | |
lachen sie entsetzt. Dass es so was in Prag gibt, finden sie unmöglich. | |
Irgendwann sagt die Frau, sie hätten sich gerade überlegt, mich | |
umzubringen, würden aber nun doch darauf verzichten. "War nur ein Witz", | |
sagt der Mann und erklärt, dass man in Tschechien zum schwarzen Humor | |
neige. | |
## Werbung für den Gebrauch der Nutzpflanze | |
Am Samstag platzt das Cannafest aus allen Nähten. Am Eingang gibt es grüne | |
Zuckerwatte. Ich mache einen Rundgang. In der Kinobox laufen den ganzen Tag | |
über cannabisorientierte Filme. Gerade wird eine englische Komödie gezeigt. | |
Es geht um eine fidele ältere Dame, die ihre Orchideenzucht aufgibt, um von | |
nun an Cannabis zu pflanzen. Ich unterhalte mich mit sympathischen | |
tschechischen Hanffreunden der Nonprofitorganisation Konopa, die für den | |
Gebrauch der Nutzpflanze wirbt. | |
Die Leute der holländischen Canna Research Laboratories haben ein Labor | |
aufgestellt, mit dem sie die Sortenreinheit von Gras und den THC-Anteil | |
untersuchen. Seit Kurzem darf der THC-Anteil der in den Coffeeshops | |
verkauften Sorten nicht mehr 15 Prozent übersteigen. Es hat etwas von einem | |
Theaterstück, wie die beiden Mitarbeiter - ein Mann, eine Frau um die 40 - | |
in weißen Kitteln so seriös an Tischen sitzen und in Mikroskope | |
reinschauen. | |
An einem anderen Stand wird stolz in einer Glasvitrine die Silbermedaille | |
präsentiert, die ein Dünger für die Aufzucht medizinischer Hanfpflanzen auf | |
der diesjährigen Expo-Cannabis in Madrid gewonnen hat. | |
An vielen Ständen werben Samenbanken aus Spanien, Holland und Tschechien | |
für ihre Züchtungen. Die Sortenvielfalt ist beeindruckend. Die Gesetzeslage | |
unterschiedlich. In Deutschland dürfen Hanfsamen nicht verkauft werden. | |
Seitdem 2006 oft Blei als Streckungsmittel im Schwarzmarktgras gefunden | |
wurde, hätte sich der Markt für Hanfsamen in Deutschland verdoppelt, | |
erzählt ein Aussteller und betont, dass er selber nicht kiffen würde. | |
An anderen Ständen sind alle möglichen Produkte für die Indoorzucht | |
ausgestellt. Auch eine chinesische Firma - Welthink aus Hangzhou - wirbt | |
für ihre Produkte. Die Vertreterin der Firma sagt, sie seien zum ersten Mal | |
auf einer derartigen Messe. Vieles kommt ihr hier etwas exotisch vor. Ich | |
erkläre die Rechtslagen; der Mann erklärt mir ausführlich das neue | |
LED-Pflanzenlicht der Firma. | |
## In Rauchgeräten verdampft Gras | |
Die indische Firma Modern Stone Export präsentiert handgefertigte | |
Rauchutensilien. Andere stellen Jointpapers aus. An einigen Ständen gibt es | |
auch Vaporizers; Shisha-ähnliche Rauchgeräte, die das Gras nicht | |
verbrennen, sondern verdampfen, was effektiver und auch gesünder sein soll. | |
Ich unterhalte mich mit dem Holländer "Ewert de Verdamper", einem schlanken | |
grauhaarigen Anzugträger, Ende 50, der seine glasgefertigten Geräte | |
vorführt. Pfefferminze ist auch nicht schlecht und Ewert ist auf dem | |
Cannafest das, was der taz-Stand mit Espressoausschank auf der Frankfurter | |
Buchmesse war. Er ist genervt vom Rollback der niederländischen | |
Drogenpolitik. "Du darfst niemandem sagen, dass du kiffst, ohne Nachteile | |
zu riskieren. Das ist doch unmöglich!" Erfreulich sei dagegen, dass sich | |
immer mehr ältere Menschen für Cannnabis interessieren. | |
"Das Cannafest ist ein kleiner Wandermarkt. Jeder kennt jeden. Und abends | |
gehen wir mit den anderen Marken essen", sagt Tofte, Sales Manager für | |
Anbaubedarf aus Gelsenkirchen. Erst später fällt einem auf, dass die | |
Pflanze, um die es hier geht, abwesend ist und sich von Bananenpflanzen, | |
Farnen und tausend Bildern repräsentieren lassen muss. | |
Im Vortragsbereich spricht Fernanda de la Figuera über den therapeutischen | |
Nutzen von Hanf. Die Lautsprecher für den O-Ton sind so laut gestellt, dass | |
man die eingesprochene Übersetzung über Kopfhörer kaum versteht. Der Effekt | |
ist ganz spacig, irreal. | |
Fernanda ist in Spanien auch als "Marihuana-Großmutter" bekannt. Später | |
erzählt sie von den "Cannabis-Social-Clubs", die es vor allem im Baskenland | |
gebe. Diese Clubs ermöglichen den Anbau zur Selbstversorgung. Jedes | |
Mitglied zahlt einen Beitrag, bezieht sein Gras zum Selbstkostenpreis und | |
verpflichtet sich, Cannabis nur für sich selbst zu verwenden. Zurzeit werde | |
versucht, viele dieser Clubs wieder zu schließen. Trotzdem ist Fernanda | |
überzeugt, dass Marihuana 2013 in Spanien legalisiert sein wird. | |
Beim "Hemp Catering" gibt es Hanflasagne. Ich trinke ein Hanfbier. Am Stand | |
der Hanfparade werden Aufnahmen von 1998 gezeigt, als 20.000 für die | |
Legalisierung demonstrierten. Ein Aktivist sitzt eher schläfrig herum. Ein | |
anderer ermahnt ihn: "Wenn die Legalizer alle so lahm wie du herumsitzen, | |
wird da nie was draus." | |
Draußen vor der Halle sammelt ein junger Mann Jointkippen. Jemand | |
beobachtet das und gibt ihm Geld. Ein Schild weist darauf hin, dass es | |
verboten ist, Joints im Musikzelt zu rauchen. | |
Später gehen wir in den "Cross-Club". Alles ist sehr bunt hier; an der | |
Decke hängen Discokugeln und alte Röhrenradios. Das Publikum ist so | |
zwischen zwanzig und Mitte dreißig. Michael, ein ruhiger Freak wie aus dem | |
Buch, mit langen Haaren und Bart, erzählt, dass es in den 90er Jahren am | |
besten gewesen sei. Man habe draußen Gras angebaut und niemand habe sich | |
darum geschert. Inzwischen müsse man da doch aufpassen. | |
Jakub Frydrych, Chef des Sonderkommandos der Polizei im Kampf gegen Drogen, | |
wird in der Zeit ähnlich zitiert: "Nach der Wende gab es einen beinahe | |
romantischen Anfang mit einer Subkultur von Kleinzüchtern, das war mehr so | |
auf einer philosophisch-geistigen Ebene. Aber heute sind kriminelle Banden | |
aktiv." | |
## Romantische Subkultur, kriminelle Banden | |
Das Cannafest ist zu Ende; die meisten Stände sind abgebaut. Doch die | |
tschechischen Drogengesetze sind mir immer noch nicht ganz klar. Ich frage | |
Lukas Behal, den erschöpften Messedirektor. Er antwortet, dass auch | |
"geringe Mengen" konfiziert werden und dann mit einem Ordnungsgeld zu | |
rechnen sei. Von einer Legalisierung sei man noch weit entfernt. Die Messe | |
- meist verwendet er das Wort "Show" - sei ein großer Erfolg gewesen; etwa | |
17.000 Besucher seien an den drei Tagen gekommen. Viele Familien auch und | |
alte Leute, die sich erkundigten. Kritik habe es nicht gegeben. Auch die | |
Zusammenarbeit mit der Polizei sei gut gewesen, sagt Behal. "Wir stellten | |
unsere Ziele vor, die Polizei ihre. Mit der Messe haben wir gezeigt, dass | |
die Cannabiskultur heute ein ganz normaler Teil des modernen Lebens ist!" | |
31 Dec 2011 | |
## AUTOREN | |
Detlef Kuhlbrodt | |
## TAGS | |
Reiseland Tschechien | |
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