# taz.de -- Autor Henning Ahrens über die Provinz: "Ich bin glücklich, wenn i… | |
> Henning Ahrens kehrte nach 20 Jahren in der Stadt zurück in die Provinz | |
> und fand dort nicht nur Idylle. Der Übersetzer und Autor über das | |
> Fremdsein und Ungeheuer in Baggerseen. | |
Bild: Der Schriftsteller und sein Steckenpferd: Henning Ahrens sammelt Tiersch�… | |
taz: Eine nette Aussicht haben Sie da von Ihrem Schreibtisch - Hinterhof, | |
Baum, Hahn, alles da. | |
Henning Ahrens: Der Hahn hat mich fast in den Wahnsinn getrieben, als ich | |
hierher in das Haus meiner Großeltern gezogen bin. Der kräht wirklich zu | |
allen Unzeiten. | |
Aber das Gekrähe hindert Sie offenbar nicht am Arbeiten. Haben Sie was | |
davon, wenn ein von Ihnen übersetztes Buch so ein Erfolg wird wie "Extrem | |
laut und unglaublich nah" von Jonathan Safran Foer? | |
Ich habe etwa 60 Bücher übersetzt, aber dieser Roman ist der einzige, der | |
richtig gut läuft. Leider habe ich damals einen nachteiligen Vertrag | |
unterschrieben. Der Verlag hat mich zum Beispiel gebeten, auf die Rechte am | |
Taschenbuch zu verzichten, aber erst das Taschenbuch verkaufte sich richtig | |
gut. Ich habe mich damals dummerweise darauf eingelassen. Da war ich zu | |
naiv und zu nett. | |
Nett sein und Geschäfte machen geht selten gut zusammen. Nehmen Sie denn | |
auch nur Aufträge an, wenn Sie die Bücher oder die Autoren mögen? | |
Ich übersetze vieles, vom Roman bis zum Jugendbuch, da kann man nicht alles | |
mögen. Es ist mir auch schon passiert, dass ich ein Buch gegen die Wand | |
geworfen habe, weil ich die Nase voll hatte. | |
Was ärgert Sie so sehr? | |
Viel Aufwand und Mühe, denen der inhaltliche Mehrwert eines Buches nicht | |
gerecht wird. Überspanntheit und Schlamperei. | |
Ein Beispiel? | |
Am Anfang des Buches ist die Katze schwarzweiß und am Ende ist sie | |
getigert. | |
So platt? | |
Manchmal. Da man viel recherchiert, stößt man aber auch auf | |
schwerwiegendere Fehler, zum Beispiel historischer Art, die man mit den | |
Autoren abklären muss. Natürlich rutscht auch Übersetzern trotz größter | |
Sorgfalt gelegentlich etwas durch - was allerdings meist während des | |
Lektorats abgefangen wird. Und letztlich muss man sich als Übersetzer | |
unterordnen. | |
Mögen Sie Ihren Job? | |
Ich übersetze gern. Nur wird die Arbeit nicht gerade üppig bezahlt. Wenn | |
man halbwegs gut davon leben will, muss man - altmodisch gesagt - fleißig | |
sein. Das hat natürlich eine gewisse Selbstausbeutung zur Folge. Ich würde | |
das Übersetzen gern reduzieren, aber das ginge nur bei richtig gutem | |
Verkauf. Wenn sie zum Beispiel Harry Potter oder Mankell übersetzen, fällt | |
für sie nicht ganz wenig ab. Aber leider hatte ich bisher nie das große | |
Bestseller-Glück. | |
Würden Sie das Übersetzen denn drangeben, wenn sie es sich leisten könnten? | |
Nein, wohl kaum. Das Übersetzen ist gewissermaßen die Pflicht, und sie | |
strukturiert meinen Tag. Aber das Übersetzen kann sehr kraft- und | |
zeitraubend sein, im Gegensatz zum Schreiben, das Kraft zurückgibt, wenn es | |
gut läuft. Ich bin oft glücklich, wenn ich schreibe. | |
Sie haben zuletzt das "Provinzlexikon" veröffentlicht. Da steht unter B wie | |
Baggersee, dass in Baggerseen Ungeheuer wohnen. Wirklich? | |
Hier gibt es einen Baggersee, in dem angeblich ein sehr großer und | |
gefährlicher Wels lebt. Aber das Ungeheuer war eher metaphorisch gemeint. | |
Es gab eine Person, die sich unbedingt in meinem Roman "Tiertage" erkennen | |
wollte und mir in diesem eitlen Wahn ungeheuerlich lange die Hölle heiß | |
machte. | |
In "Tiertage" leben Menschen und Tiere gleichberechtigt nebeneinander in | |
einem Dorf, bis ein wilder Mann kommt und wahllos Tiere zu töten beginnt. | |
Wo hat sie sich da erkannt? | |
Gute Frage. Ich habe diese Gegend als Kulisse benutzt, und deshalb scheint | |
es manch einer als logisch anzusehen, dass auch hiesige Personen im Roman | |
vorkommen. Das ist natürlich eine Milchmädchenrechnung, die dem kreativen | |
Prozess in keiner Weise gerecht wird. Aber sie hatte zur Folge, dass ich | |
hier jahrelang angepöbelt wurde. Den Nachhall dieses Blödsinns spüre ich | |
gelegentlich immer noch. | |
Obwohl Sie selbst hier in der Gegend auf dem Dorf aufgewachsen sind? | |
Jedes Dorf ist eine geschlossene Gesellschaft, und kommt ein Fremdkörper | |
dazu, tritt eine allergische Reaktion ein. In diesem Dorf hier haben zwar | |
meine Großeltern gelebt, aber an die erinnert sich außer alten Leuten | |
niemand mehr. Für alle anderen bin ich ein Fremder, und es gibt hier keine | |
ganz geringen Ressentiments gegen Fremde oder das "Andere" überhaupt. In | |
Kiel, wo ich zuvor lange gelebt habe, war ich meist mit Gleichgesinnten | |
zusammen, Leute mit ähnlicher Ausbildung, ähnlichen Werten, ähnlichen | |
politischen Ansichten. Als ich dann nach 20 Jahren Abwesenheit hierher | |
zurückkehrte, war das eine Art Kulturschock. Aber ich habe auch davon | |
profitiert. | |
Wie das? | |
Mein naiver Glaube, unsere Gesellschaft wäre während der vergangenen | |
Jahrzehnte toleranter und offener geworden, ist hier schnell erschüttert | |
worden - ich bin recht plötzlich in der Realität angekommen. | |
Sind naive Vorstellungen per se etwas Schlechtes? | |
Nein, aber man sollte schon offenen Auges wahrnehmen, was um einen herum | |
geschieht. Im Übrigen denke ich, dass die Realität am Ende meist stärker | |
ist als Wunschvorstellungen. | |
Warum sind Sie überhaupt zurückgekommen? | |
Wir haben als Familie in Kiel in sehr beengten Verhältnissen gelebt, und | |
dann ergab sich die Möglichkeit, das Haus meiner Großeltern zu übernehmen. | |
Das war der einzige Grund. | |
Verarbeiten Sie Ihre Erfahrungen in Ihren eigenen Büchern? | |
Das "Provinzlexikon" bot die Gelegenheit, weil ich aus dieser Gegend | |
stamme, sogar aus einer Bauernfamilie. Das ist wohl der Inbegriff von | |
Provinz. Auch in anderen Büchern habe ich immer wieder versucht, diese | |
recht schlichte Landschaft literarisch fruchtbar zu machen. Rein | |
autobiografisch habe ich aber nie geschrieben. Das wäre mir zu langweilig. | |
O je, jetzt haart der Kater Ihre Jacke voll! | |
Das macht nichts, ein hübscher roter Kater. | |
Ein treues Tier. War noch nie länger verschwunden. | |
Ist er Ihnen zugelaufen? | |
Nein, wir haben ihn für meine Söhne geholt. Da war er noch ganz winzig. Ich | |
hatte nie ein Haustier, obwohl ich auf einem Bauernhof aufgewachsen bin, | |
aber Kater Karlo wird hier von allen vergöttert. | |
Kater Karlo wie der Feind von Mickey Mouse? Sind Sie etwa ein Mickey-Typ? | |
Ich glaube, die meisten sind Donald-Typen, oder? Ich wohl auch. Ich schätze | |
vor allem die Geschichten von Carl Barks. Die ganz alten | |
Mickey-Zeitungszeiten von Floyd Gottfredson sind allerdings auch großartig | |
gezeichnet und erzählt. Aber später wurde Mickey viel zu brav und nett und | |
konnte nicht mehr mit dem Versager Donald mithalten. | |
Kam es für Sie eigentlich nie in Frage, den Hof ihrer Eltern zu übernehmen? | |
Im Grunde nicht. Mein Bruder und ich mussten natürlich immer mithelfen bei | |
der Ernte und im Stall. Das habe ich auch gern gemacht, aber ich habe schon | |
früh begonnen zu zeichnen, Gedichte zu schreiben, und ich habe immer viel | |
gelesen, war also ganz anders ausgerichtet. Zudem waren wir die erste | |
Generation, die ausbrechen konnte. Vorher war es ein Muss, dass der älteste | |
Sohn den Hof übernahm. Das wäre dann ich gewesen - aber das ist nicht | |
passiert, und so haben wir eine vierhundertjährige Bauerntradition beendet. | |
War das völlig unproblematisch? | |
Ich hatte latent ein schlechtes Gewissen. Aber während der Oberstufe, als | |
die Was-mache-ich-mit-meinem-Leben-Phase begann, hat mein Vater ein | |
klärendes Gespräch mit mir geführt und gesagt, er erwarte nicht, dass ich | |
den Hof weiterführe. Das war natürlich eine Erleichterung. Und schließlich | |
habe ich meinen Mut zusammengenommen und die künstlerische Laufbahn | |
eingeschlagen. | |
Wozu brauchte das Mut? | |
Weil man in diesem Bereich nicht einmal die Illusion von Sicherheit hegen | |
kann. Aber ich musste die Weiche irgendwann stellen, und da bin ich meinem | |
inneren Impuls gefolgt - zum Glück! Paradoxerweise fühle ich mich dem Land | |
weiter verbunden und habe auch durchaus ein Bewusstsein für die Tradition | |
unserer Familie. Diese Mischung aus Schriftstellerdasein und bäuerlicher | |
Herkunft ist vermutlich der Grund, warum ich trotz aller Widrigkeiten hier | |
in der Zuckerrübensteppe ausharre. | |
1 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Ilka Kreutzträger | |
## TAGS | |
Literatur | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Neuer Roman von Henning Ahrens: Schuld und Milchdunst | |
In „Mitgift“ erzählt Henning Ahrens die Geschichte seiner bäuerlichen | |
Familie, die einen Nazihintergrund hat. Im Zentrum: ein | |
Vater-Sohn-Konflikt. |