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# taz.de -- ARD-Doku über Schüler und Stasi: Die Kindersoldaten der DDR
> Verpflichtungserklärungen auf Kästchenpapier: "Stasi auf dem Schulhof"
> über Minderjährige, die als Stasi-Spitzel angeworben wurden (Mittwoch,
> 23.45 Uhr, ARD).
Bild: Das freut den Herrn Staatsratsvorsitzenden: Arbeiten für die Stasi.
Die Stasi, und wieder mal die Stasi. Sie wirft ihre Schatten weit über das
Ende der DDR hinaus. Sollen Ex-Stasi-Leute nun in der Jahn-Behörde arbeiten
dürfen, so wie sie es jahrelang in der Birthler- und der Gauck-Behörde
getan haben? Aber muss es nicht irgendwann auch mal gut sein mit dem
Respekt vor den Opfern? Und muss es immer noch mehr Filme über die Stasi
und ihre Spitzel geben?
Im ZDF lief im Herbst der sehr sehenswerte Film "Feindberührung" über das
Wiedersehen eines Spitzels mit seinem Opfer. Im Kino lief im Herbst der
ebenfalls sehr sehenswerte Film "Vaterlandsverräter" über den spitzelnden
DDR-Schriftsteller Paul Gratzik. Braucht das Land noch einen Film "Stasi
auf dem Schulhof"?
Klare Antwort: Den braucht es! Weil es sich Menschen wie der in der
Bundesrepublik aufgewachsene Rezensent sonst einfach nicht vorstellen
können: Weil es jenseits ihres Horizonts ist, dass die Stasi nicht nur
Arbeitskollegen, beste Freunde, Ehepartner aufeinander angesetzt hat.
Sondern auch Minderjährige, Schulkinder, Klassenkameraden.
Weil es jenseits ihres Horizonts ist, dass Schüler per
Lautsprecherdurchsage ins Direktorenzimmer bestellt werden und dort an der
Juristischen Hochschule in Potsdam ausgebildete Stasi-Leute sitzen, um sie
mit genau denselben Methoden der "operativen Psychologie" unter Druck zu
setzen, in Angst und Schrecken zu versetzen wie ihre Eltern.
Dass sie gezwungen werden, in krakeliger Kinderschrift
Verpflichtungserklärungen auf Kästchenpapier zu schreiben. Dass das mit
Wissen und Billigung der Schulleitung passieren kann. Dass ein
Schuldirektor in der DDR nicht auf die Idee kommt, dass es ihm seine
Verantwortung für die ihm anvertrauten Kinder gebieten könnte, besagte
Kinder nicht einem Geheimdienst – welcher Couleur auch immer, freundlich
oder feindlich, aber ein Geheimdienst eben – auszuliefern. In seinem
Direktorenzimmer. Unglaublich!
## Paralleluniversum
Die DDR wollte das bessere Deutschland sein. Deutschland war sie wohl –
aber gleichzeitig auch ein anderer Planet. In einem Paralleluniversum. Der
Mann, der von 1968 bis 1990 Schuldirektor im thüringischen Wickersdorf war,
scheint auch heute nicht so recht zu verstehen, was Annette Baumeister, die
Regisseurin, da eigentlich von ihm will: "Da hat sich keiner Gedanken
gemacht, ob das richtig oder falsch ist und so weiter." Achselzucken. Und:
"Leute, was soll ich heute dazu sagen. Das war gesellschaftliche Realität."
Fatalismus anstelle von Zweifeln. Diese Haltung hatte ein
Ex-Stasi-Führungsoffizier, der sein Gesicht nicht zeigen will: "Sicherlich
gab es Zweifel – aber das MfS war ein militärisches Organ. Wir waren in dem
Sinne Befehlsempfänger."
Befehlsnotstand also. Nicht dass es nicht auch nach den Buchstaben des
DDR-Strafrechts ausdrücklich verboten war, offensichtlich
menschenrechtswidrigen Befehlen Folge zu leisten. Aber, so ein Historiker:
"Für Mielke war die Frage, ob jemand ein Jugendlicher war oder nicht,
letztendlich nicht entscheidend. Mielke war ja nicht jemand, der in
rechtsstaatlichen Kategorien oder in Gesetzeskategorien dachte."
Es ist noch nicht so besonders lange her, da gab es eine etwas merkwürdig
anmutende Diskussion darüber, ob die DDR nun ein "Unrechtsstaat" gewesen
sei oder nicht. Immer wieder mal gibt es diese Diskussion. Wer den Film
gesehen hat, wird sich nicht länger den Kopf zerbrechen müssen.
Am Ende der DDR waren ungefähr 8.000 Kinder und Jugendliche "inoffizielle
Mitarbeiter" der Stasi. Sagt Annette Baumeister und erzählt in ihrer - sehr
sehenswerten - Dokumentation die Geschichte dreier solcher IM-Kinder:
DDR-Kindersoldaten. Sie haben sich mehr oder weniger oder so gut wie gar
nicht gefügt. Sie fühlen sich heute alle missbraucht.
3 Jan 2012
## AUTOREN
Jens Müller
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