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# taz.de -- Im Wald, weit weg von uns
> ASYL Seit Jahren ist die Flüchtlingsunterkunft in Althüttendorf in
> Verruf. Vor einigen Wochen ist dort ein Mann gestorben – offenbar ist er
> aus Verzweiflung durchgedreht. Zu einem Umdenken bei den Verantwortlichen
> führt der tragische Tod jedoch nicht
VON SUSANNE MEMARNIA
Viel Wald gibt es um Althüttendorf. Bäume, so weit das Auge reicht. Ein
paar Einfamilienhäuser, eine Dorfschenke, eine schmucke Villa namens
„Daheim“. Ihr gegenüber zweigt ein Feldweg von der Bundesstraße ab.
Zwischen Bäumen stehen eingezäunt ein halbes Dutzend Baracken – die
„Gemeinschaftsunterkunft Althüttendorf“. Hier in der brandenburgischen
Abgeschiedenheit, knapp 20 Kilometer von Eberswalde entfernt, lebte
Bernhard Mwanzia aus Kenia. Und irgendwo in diesem Wald starb der
28-Jährige.
Seine Leiche wurde am 8. Dezember gefunden, zehn Tage nach dem Verschwinden
des jungen Mannes. Die Obduktion ergab „Erfrieren“ als Todesursache,
Hinweise auf Fremdeinwirkung wurden nicht gefunden. Es gab damals eine
kurze Meldung in der Märkischen Oderzeitung, der zuständige Barnimer
Landrat Bodo Ihrke (SPD) äußerte sein Bedauern. Die Polizei untersucht
derzeit noch, ob Mwanzia Drogen genommen hat. Aber im Prinzip ist der Fall
abgeschlossen. Ein junger Mann ist erfroren. Nur warum? Und: Hätte man das
verhindern können?
Für Ahmed Abdullah Hasan ist der Fall klar. Er ist einer von 100
Flüchtlingen, die derzeit in der Gemeinschaftsunterkunft (GU) leben.
„Mwanzia ging es schlecht, weil er schon einige Jahre hier lebte. Er wollte
sich töten“, sagt der Somalier. In jener Nacht Ende November sei Mwanzia
ausgerastet, habe seine Sachen aus dem Zimmer in den Flur geschmissen und
geschrien, das habe alles keinen Sinn mehr. „Dann ist er rausgelaufen in
den Wald, nur mit einem Hemd bekleidet, fast nackt“, erzählt der
46-Jährige.
Dass ein Flüchtling sterben will, weil er das Leben im Lager, die
Perspektivlosigkeit, die Unsicherheit nicht mehr aushält: Für die anderen
Flüchtlinge ist das nicht verwunderlich. Auch Hasan erzählt von
Depressionen und Selbstmordgedanken. Seit zehn Monaten sei er in
Althüttendorf und wisse nicht, wie es weitergeht. Der schwerkranke Mann –
seit einer Schussverletzung hat er einen künstlichen Darmausgang und
ständige Schmerzen in Unterleib und Beinen – wohnt mit zwei anderen Männern
auf knapp 20 Quadratmetern. Dabei bräuchte er mit seiner Krankheit
eigentlich etwas Intimsphäre: „Manchmal riecht es streng oder macht
peinliche Geräusche“, sagt er und zeigt in Richtung des Beutels unter
seinem Hemd.
## In den 1930ern erbaut
Umstritten ist die GU Althüttendorf seit ihrer Einrichtung als
Flüchtlingsunterkunft Mitte der 1990er Jahre. Die schon in den 30er Jahren
erbaute Feriensiedlung sieht so alt aus, wie sie ist. Mehrere
Einzimmerhäuschen aus dünnem Holz gruppieren sich um zwei lange
Haupthäuser, die durch einen überdachten Gang verbunden sind. Wer von
seiner Baracke zu den Sanitäranlagen oder der Gemeinschaftsküche im
vorderen Haupthaus will, läuft je nach Witterung durch Schnee und Matsch.
Für Einkäufe, Arzt- oder Ämterbesuche und Sprachkurse müssen die Bewohner
mit dem Zug nach Eberswalde fahren.
„Eine Schande für den Landkreis ist das Heim“, sagt Péter Vida,
Vorsitzender des Barnimer Beirats für Migration und Integration. „Dass
manche Menschen dort jahrelang leben müssen, ist ein Skandal.“ Der Tod
Mwanzias sei zweifelsohne das „Ergebnis einer unwürdigen Behandlung“ und
seiner daraus resultierenden psychischen Verfassung. Bea Spreng, Pfarrerin
im benachbarten Joachimsthal und Mitglied des Heimbeirats, geht noch weiter
und spricht ausdrücklich von einem „suizidalen Vorgang“. Die Probleme in
Althüttendorf seien bekannt: Das Haus sei baulich ungeeignet, zu abgelegen
und die Betreuer vor Ort – Heimleitung, Sozialarbeiter, Beirat – mit den
psychischen Schwierigkeiten der Bewohner überfordert.
Der Flüchtlingsrat Brandenburg fordert schon seit Jahren die Schließung von
„Dschungelheimen“ wie Althüttendorf. „Die rot-rote Landesregierung spric…
viel von Menschlichkeit im Umgang mit Flüchtlingen“, sagt Simone Tetzlaff
vom Flüchtlingsrat. „Aber ihre Taten sprechen eine andere Sprache.“ Zwar
habe die Regierung selbst im Januar 2012 festgestellt, dass
Gemeinschaftsunterkünfte außerhalb von Ortschaften – also wie die GU
Althüttendorf – aus integrations- und sozialpolitischer Sicht geschlossen
werden müssten. Geschehen sei jedoch nichts.
Anfang des Jahres sei allerdings die landesweite Vorgabe, nach der jedem
Flüchtling nur sechs Quadratmeter Wohnfläche zugestanden wird, um ein
weiteres Jahr verlängert worden. „Mit dieser Vorgabe werden die Heime bis
in die hinterletzte Ecke mit Menschen vollgestopft, auch in
Gebäudebereichen, die etwa in Althüttendorf gar nicht mehr belegt werden
sollten. Die Zustände dort widersprechen menschenrechtlichen Standards“,
sagt Tetzlaff.
## Schlechte Bedingungen
Auch Landrat Ihrke weiß, dass die Bedingungen in Althüttendorf „nicht
ideal“ sind, wie sein Sprecher Oliver Köhler erklärt. Von
„menschenunwürdigen“ Zuständen möchte er trotzdem nicht reden.
Althüttendorf werde vom Landesamt für Soziales und Versorgung regelmäßig
überprüft, die gesetzlich vorgeschriebenen Mindestbedingungen würden
eingehalten.
Die sind allerdings denkbar gering: Es gibt eine Küche mit drei Herden für
100 Menschen, keine Aufenthaltsmöglichkeiten außer einem Raum mit zwei
Computern, keine Spiele, Bücher oder sonst etwas zu tun. Ahmed Abdullah
Hasan hat verstanden, was das bedeutet: dass er und die anderen Flüchtlinge
hier nicht willkommen sind. „Ich habe erwartet, hier gut und freundlich
behandelt zu werden, aber das Gegenteil ist der Fall“, sagt er während
einer kurzen Führung über das Gelände, bei der er zeigen will, wie weit der
Weg für manche Bewohner bis zu den Waschräumen ist. Im Flur kommt eine
Mitarbeiterin des Heims ihm und der Reporterin entgegen. „Ahmed, du weißt
doch, dass du Besuch anmelden musst“, weist sie Hasan zurecht.
Eigentlich dürfe es so etwas wie Althüttendorf gar nicht geben, sagt
Pfarrerin Bea Spreng. Zumal die Menschen dort in einer psychisch sehr
schwierigen Lage seien. „Es gibt wahnsinnige Ängste und
Schwersttraumatisierte. Dafür fehlt die psychologische Betreuung.“ Das
sieht auch die Migrationsbeauftragte des Landkreises, Marieta Böttger. Als
Reaktion auf den Todesfall habe der Kreis daher beschlossen, künftig einmal
im Monat einen Psychologen und einen Amtsarzt in die GU zu schicken. Aber
ob man den Tod Mwanzias hätte verhindern können? Böttger bezweifelt es.
„Ich kannte ihn schon sehr lange. Er passte eigentlich nicht ins Schema. Er
hatte inzwischen eine Aufenthaltserlaubnis und war auf Wohnungssuche.“
Genau das war möglicherweise das Problem: Geeignete Wohnungen scheinen
Mangelware im Landkreis zu sein. Man wolle ja mehr Flüchtlinge aus
Althüttendorf in Wohnungen unterbringen, weil man sich der Lage im Heim
bewusst sei, sagt Köhler, der Sprecher des Landrats. Aber man fände leider
immer weniger bezahlbare Wohnungen, viele Vermieter wollten die Flüchtlinge
nicht. „Gerade alleinstehende Männer sind schwierig zu vermitteln“, erklä…
er.
## Keine Wohnungen
Péter Vida vom Migrationsbeirat sagt dagegen, es sei „Blödsinn“, dass es
keinen kommunalen Wohnraum gebe – die Bürgermeister müssten sich nur einen
Ruck geben. Unbestritten ist, dass sich der Kreis etwas einfallen lassen
muss, denn die Flüchtlingszahlen steigen: Bislang hatte Barnim 100
Asylbewerber in Althüttendorf und 65 weitere in Wohnungen, vor allem in
Bernau und Eberswalde, untergebracht. Seit dem Herbst wurden dem Kreis
weitere 94 Menschen vom Land zugewiesen. Anfang dieses Jahres wurde daher
eine zweite Gemeinschaftsunterkunft eröffnet: in einem ehemaligen Internat
in Wandlitz sind nun ebenfalls 50 Flüchtlinge untergebracht.
Für Vida ist das die falsche Strategie. „Wenn so ein Heim einmal
eingerichtet ist, dann bleibt es auf Jahre“, befürchtet er. „Wir müssen d…
Leute unterstützen in der Entwicklung eines freien Lebenswandels. Dazu
gehören Wohnungen.“
Für Hasans Nachbar im Zimmer gegenüber muss das wie Hohn klingen. Seit zwei
Jahren lebt der junge Mann aus Sierra Leone, der seinen Namen nicht nennen
will, in Althüttendorf. „Das System weiß von Orten wie diesen, aber man tut
nichts, um das zu ändern“, sagt er und blickt starr auf den flimmernden
Fernseher. Seit zwölf Jahren ist er in Deutschland und hat immer in Heimen
gewohnt. „Sie sagen, ich soll mir eine Wohnung in Eberswalde suchen, aber
dort bekomme ich nichts.“ Auch einen Vollzeitjob, der ihn von staatlicher
Hilfe unabhängig macht, könne er nicht finden. Deswegen bekommt er immer
nur kurzfristige Aufenthaltserlaubnisse – die ihm die Jobsuche noch mehr
erschweren. Inzwischen weiß er nicht mehr, was er tun soll. „Es ändert sich
sowieso nichts.“
2 Mar 2013
## AUTOREN
SUSANNE MEMARNIA
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