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# taz.de -- Sticker-Ausstellung in Bremen: Am Tropf der Straße
> Mit Künstlern wie Timm Ulrichs oder Klaus Staeck hat der Aufkleber
> Eingang in die Kunst gefunden. Die Bremer Weserburg widmet dieser
> Entwicklung eine Ausstellung.
Bild: Sorgte 1964 für einen Rauswurf aus der Hochschule: Timm Ulrichs geklebte…
BREMEN taz | Es war eine Aufforderung zum Obstschälen: "Peel slowly and
see" konnte man 1967 neben der Banane auf dem Cover des berühmten
Debut-Albums der New Yorker Rockband Velvet Underground lesen. Andy Warhol
hatte die erste Auflage des von ihm entworfenen Plattencovers mit einem
Aufkleber versehen. Man konnte ihn abziehen, darunter kam das Innere der
Frucht zum Vorschein. Warhol ist nicht der einzige Künstler, der Aufkleber
entworfen oder mit ihnen gearbeitet hat. Diesem Thema widmet sich das
Bremer Museum Weserburg in der Ausstellung "Sticker in der Kunst".
Das Studienzentrum der Weserburg hat in seiner Sammlung neben so
kurzlebigen Medien wie Briefmarken, Flyern und Plakaten eine ganze Menge
Aufkleber aufbewahrt. Die Ausstellung entstand nun in Zusammenarbeit mit
den Veranstaltern des Internationalen Sticker Award. Gemeinsam mit deren
Material werden in der Ausstellung sowohl kunsthistorische Stücke wie
Warhols Abziehbananenschale, als auch neuere Aufkleber als Teil einer
aktuellen Jugendkultur präsentiert.
Der Award wird seit 2005 jährlich vergeben, entstanden ist so ein
umfangreiches Archiv von Aufklebern im Kontext der Street Art. "Die
Community ist extrem vernetzt", schreibt Andreas Ulrich, Award-Initiator
und Co-Kurator der Ausstellung. Das Archiv bilde die weltweite Entwicklung
dieses Mediums ab und sei online für jeden einsehbar und um die eigenen
Bilder erweiterbar. Aktivisten aus der ganzen Welt stellten dort ihre
aktuellen Beiträge ein, aus Puerto Rico, Südafrika und Hongkong, sagt
Ulrich. Die Sieger des diesjährigen Preises: ausschließlich Deutsche.
Um es vorwegzunehmen: Die Klebezettel aus den Museumsarchiven sind weitaus
spannender. Da wären etwa die Sticker des Mail-Künstlers Gugliemo Achille
Cavellini: Zu Beginn der 1980er Jahre begann der 1914 geborene Künstler die
Feierlichkeiten zu seinem 100. Geburtstag vorzubereiten. Er ließ in den
italienischen Nationalfarben kreisförmige Aufkleber drucken, die zu einem
zweimonatigen 100-Jahre-Cavellini-Event im Fürstenpalast von Venedig
einladen. Später überklebte er seine gesamte Kleidung mit den Stickern,
ließ sich so ablichten und die Fotos wiederum auf Aufkleber drucken.
Der Hochschule verwiesen wurde wegen seiner künstlerischen Aufkleber der
Konzeptkünstler Timm Ulrichs. 1964 verklebte er rückseitig gummierte Zettel
an den Wänden der Technischen Hochschule in Hannover, an der er Architektur
studierte. Auf den Zetteln stand: "Zettel ankleben verboten!" Wäre Ulrichs
deshalb nicht von der Hochschule geflogen, wären seine Zettel wohl schnell
als fader Witz in Vergessenheit geraten.
Schrift spielt insgesamt eine große Rolle innerhalb der Aufkleberkunst.
Vordergründig geht es meist um die Übermittlung von Nachrichten, auch wenn
diese sich oft als Finte entpuppen. Die Minimalistin Jenny Holzer, die für
ihre digitalen Schriftanzeigen bekannt wurde, druckte ihre irritierenden
Botschaften in schlichten schwarzen Buchstaben auf weißen Hintergrund:
"Abuse of Power Comes as no Surprise".
Der Übergang zur Street Art verläuft innerhalb der Ausstellung, trotz der
Gemeinsamkeiten bei der Wahl der Mittel und der Platzierung im öffentlichen
Raum, alles andere als glatt. Das liegt gewissermaßen in der Natur der
Sache, denn die Weserburg ist schließlich ein Museum und keine Straße.
"Street Art ist etwas, das draußen stattfindet", sagt die Kuratorin Bettina
Brach.
Trotz aller offensichtlichen Unterschiede werden Aufkleber des Hamburger
Street-Art-Collectivs Los Piratoz neben Klaus Staecks Polit-Stickern aus
den 1970er Jahren gezeigt. Verwiesen wird dabei auf thematische
Überschneidungen: Los Piratoz hatten im Zusammenhang mit der Besetzung des
Hamburger Gängeviertels auf den Mangel an bezahlbarem Wohnraum aufmerksam
gemacht, Staeck hatte einen Aufkleber entworfen, auf dem stand: "Die Mieten
müssen steigen. Wählt christdemokratisch!" Es ist seltsam, wenn Dokumente
aus aktuellen politischen Auseinandersetzungen im Museum landen. Indem man
sie in den Kunstkontext einreiht, tut man sowohl der Kunst, als auch den
Exponaten von der Straße Unrecht.
Die Urheber vieler in der Ausstellung gezeigten Aufkleber sind anonym, die
Motive häufig grafischer Art, oft verweisen sie auf Jugendkulturen wie den
Hip-Hop. Street Art erfreut sich heute großer Beliebtheit. Ein
"übersättigter Kunstmarkt benötigt neue Ideen mit vermeintlich
revolutionärem Ansatz", sagt Andreas Ulrichs. Für internationale Konzerne
wie Adidas oder Vodafone bietet sie einen "willkommenen Pool frecher,
unkonventioneller und vor allem kostengünstiger Ideen und Techniken für den
Werbemarkt". Eines der Zauberworte heißt hier "Authentizität".
Und die versucht man auch ins Museum hinüberzuretten, was selbstredend
misslingen muss. Wie im Heimatmuseum wurde in den Ausstellungsräumen eine
finstere Gasse errichtet, mit aufgemalten Pflastersteinen an der Seite,
gesäumt von draußen zusammengesammeltem Laub. Das Herz dieser Kulisse ist
ein mit Stickern vollgeklebter Zigarettenautomat. Der wirkt wie ein
ausgestopfter Elefant im Naturkundemuseum.
Auch über die Herkunft der bunten Aufkleber kann man etwas erfahren: Teil
der Ausstellung ist ein ikeamöbliertes Jugendzimmer, unaufgeräumt, mit
einem Tisch in der Mitte, der über und über mit allerlei Stiften und
Stickerentwürfen bedeckt ist. Pure Authentizität eben.
3 Jan 2012
## AUTOREN
Radek Krolczyk
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