# taz.de -- Regisseur über HBO-Sozialmelodrama: "Diese Ahnung des Überwachtwe… | |
> An die Große Depression herangezoomt: Regisseur Todd Haynes über seine | |
> erfolgreiche Serie "Mildred Pierce" und den Unterschied zwischen Kate | |
> Winselt und Julian Moore. | |
Bild: Vor allem Kate Winslets naturalistischer Schauspielstil ist das Besondere… | |
taz: Inwiefern unterscheidet sich "Mildred Pierce" von Ihren früheren | |
Melodramen wie "Safe" und "Far From Heaven"? | |
Todd Haynes: "Mildred Pierce" folgt in vielerlei Hinsicht der klassischen | |
Definition eines Melodramas, aber es gibt auch interessante Unterschiede. | |
Die Titelheldin ist nicht einfach machtlos in ihrer Rolle als Hausfrau und | |
Mutter. Dadurch, dass Mildred gezwungen ist, einen Job anzunehmen, bewegt | |
sie sich plötzlich in zwei Welten, der der Produktion und der Reproduktion. | |
Geld, Geschäft und Arbeit verbinden sich untrennbar mit der Gefühlswelt der | |
Hauptfiguren. Auch die Rolle der Männer in der Geschichte ist einzigartig, | |
weil sie arbeitslos und damit entmachtet sind. Sie rücken aus dem Zentrum | |
der Aktion, und Frauen füllen die Leerstelle. | |
"Mildred Pierce" spielt zur Zeit der Großen Depression. In der ersten | |
Verfilmung des Romans von James M. Cain mit Joan Crawford in der Hauptrolle | |
wird das nicht thematisiert. Wollten Sie wieder näher an die Vorlage? | |
Ja, die Geschichte wurde für den Film von Michael Curtiz zu einem Krimi | |
umgeschrieben, um die Erwartungen zu erfüllen, die erfolgreiche | |
Cain-Adaptionen wie "Double Indemnity" und "The Postman Always Rings Twice" | |
geweckt haben. Was ich an dem Buch so besonders finde, ist, dass es fast so | |
etwas ist wie Cains Sozialgeschichte eines Frauenlebens, seine "Madame | |
Bovary" gewissermaßen. | |
In den 30er Jahren gab es in Amerika ja eigentlich eine Rückkehr zu | |
traditionelleren Geschlechterrollen. Die 20er waren eine Zeit, in der die | |
Stellung der Frau in der Gesellschaft in Frage gestellt wurde, es gab | |
progressive und radikale Ideen zur Emanzipation. Aber als die | |
Wirtschaftskrise die USA traf, versuchte man wieder die traditionellen | |
Rollen durchzusetzen, die Familie zu stärken und so weit wie möglich zur | |
Normalität zurückzukehren. Bei Cain besetzen die Frauen dagegen die | |
dominanten Rollen. | |
Klassenfragen werden selten in amerikanischen Filmen so explizit behandelt | |
wie in Ihrer Version von "Mildred Pierce". | |
Ja, in Amerika wird eher noch Rasse thematisiert. In "Mildred Pierce" ist | |
die Krise der Mittelklasse wirklich das zentrale Thema. Interessant ist, | |
dass fast jeder Amerikaner seine Klassenzugehörigkeit falsch einschätzt. | |
Die ökonomische Realität deckt sich häufig nicht mit der | |
Selbsteinschätzung. Und häufig sind es gerade die Frauen und Mütter, die | |
das Streben nach gesellschaftlichem Aufstieg forcieren. | |
Zumindest in Teilen spielen alle Ihre Filme in der Vergangenheit, | |
normalerweise reflektieren sie dabei auch immer die filmischen Stile der | |
jeweiligen Zeit. Warum haben Sie das dieses Mal nicht gemacht? | |
Das stimmt, ich habe mir nicht den Stil der 30er Jahre zum Vorbild | |
genommen, stattdessen habe ich eher auf das Kino der 70er Jahre geschaut | |
und wie damals traditionelle Genres mit einem neuen Naturalismus verbunden | |
wurde. Ich bin aufgewachsen mit dem "Godfather"-Epos, "Chinatown" und "The | |
Exorcist", diese Filme haben alle die Genre-Regeln respektiert, aber | |
zugleich die Art, wie diese Geschichten visualisiert wurden, verändert: Man | |
benutzte natürliches Licht, drehte in echten Locations mit Schauspielern, | |
die wie echte Menschen aussahen. | |
Es wundert mich, dass Sie von Naturalismus sprechen. Sie galten bislang als | |
Formalist, der immer die Künstlichkeit des filmischen Mediums betont. | |
Natürlich handelt es sich auch hier um einen Naturalismus, der gewissen | |
Codes folgt und in einer bestimmten Zeit verwurzelt ist. Heute würde man | |
wahrscheinlich eine Handkamera benutzen und schneller schneiden, um | |
dasselbe Gefühl zu erzeugen. | |
Die Filme der 70er Jahre haben die Maschinerie des Geschichtenerzählens | |
dagegen abgebremst, die Einstellungen wurden länger gehalten, um dem | |
Zuschauer die Möglichkeit zu geben, das Bild mit Bedeutung aufzuladen. | |
Dadurch wurde die intellektuelle Neugier des Publikums respektiert. Es | |
wurde Raum für Interpretationen gegeben. Diesen beobachtenden Stil wollte | |
ich auch für "Mildred Pierce". | |
Auch die langsamen Zooms in "Mildred Pierce" erinnern an Filme der 70er | |
Jahre. Heute sind Zooms ja eher verpönt. | |
Der Gebrauch des Zooms in der Filmgeschichte interessiert mich. Die | |
Fähigkeit zu zoomen ist ja das Einzige, was das Kameraobjektiv dem Auge | |
voraushat. Es ist also eine dem Kino eigene Technik. Die Tatsache, dass sie | |
aus der Mode sind, verstärkt meinen Drang noch, sie einzusetzen. Ich | |
benutze Zooms allerdings in ihrem historischen Kontext. In meinem Film | |
"Velvet Goldmine" waren es schnelle Power-Zooms, wie sie in den | |
Pop-Art-beeinflussten 60ern modern waren. | |
In "Mildred Pierce" nutze ich sie subtiler, eher so wie sie Stanley Kubrick | |
sie in den 70er Jahren benutzt hat, um langsam eine Totale zu enthüllen | |
oder von einer Totale auf ein Detail zu gehen. Ganz anders hat in der | |
gleichen Zeit etwa Robert Altman diese Technik benutzt, unkontrollierter, | |
suchender. Ich finde diese Unterschiede unendlich faszinierend. | |
Ihr Kameramann Ed Lachmann filmt die Schauspieler immer wieder durch | |
Fenster, Türen und andere Durchgänge. Warum diese Rahmen? | |
Dem Zuschauer sollte der Eindruck gegeben werden, dass immer jemand | |
zuschaut. Familien sind ja diese geschlossenen Systeme, in denen es nie | |
wirklich private Momente gibt. Selbst wenn gerade niemand beobachtet, gibt | |
es immer dieses Ahnung des Überwachtwerdens. Dieses klaustrophobische | |
Gefühl wollte ich vermitteln. Außerdem regen diese Rahmen den Zuschauer | |
dazu an, sich selber in Verbindung zum Gesehenen zu setzen. | |
Wenn man sozusagen das Fenster zeigt, durch das man auf diese andere | |
Realität schaut, bezieht das auch den Zuschauer mit ein. Im besten Fall | |
werden Leben und Erfahrungen reflektiert. Ich habe "Mildred Pierce" | |
gelesen, als gerade der Finanzmarkt in den USA zusammenbrach, natürlich | |
gibt es große Unterschiede zwischen der Großen Depression der 30er Jahre | |
und der heutigen Krise, der Zuschauer soll trotzdem ermutigt werden, | |
Parallelen zu ziehen. | |
Kate Winslet ist in so gut wie jeder Einstellung von "Mildred Pierce" zu | |
sehen. Ihre Art zu spielen unterscheidet sich stark von Julianne Moores | |
Stil in "Safe" und "Far From Heaven". Gab es auch hier das Bemühen um einen | |
größeren Naturalismus? | |
Kates Schauspielstil ist definitiv naturalistischer. Wegen der | |
Körperlichkeit ihres Spiels habe ich sie sofort in dieser Rolle gesehen. | |
Mildred macht alles mit ihrem Körper, sie genießt diese Freiheit – anders | |
als die Frauen in meinen anderen Filmen. Natürlich ist sie eine schöne | |
Frau, aber sie ist auch ein Arbeitstier. Man sieht den physischen Ausdruck | |
dessen, was sie ist, in all den Aufgaben, die sie meistert. | |
Und natürlich ist ihre Energie auch Ausdruck einer pathologischen Fixierung | |
auf ihre Tochter. Sie versucht alles, um einer Konfrontation aus dem Weg zu | |
gehen, die irgendwann zu einem Bruch zwischen Mutter und Tochter führen | |
muss. Als ich das Buch von Cain gelesen habe, habe ich mir schon Kate | |
Winslet in der Rolle vorgestellt. Das hat mir geholfen, den Schatten von | |
Joan Crawford zu verdrängen. | |
"Mildred Pierce" ist Ihre erste Fernseharbeit. Was hat Sie an diesem | |
anderen Medium gereizt? | |
Ich fand gut, ein anderes Publikum anzusprechen. Das Fernsehpublikum ist ja | |
nicht unbedingt mit meiner Arbeit als unabhängiger Regisseur vertraut. Im | |
Kino habe ich ein Publikum, das weiß, worauf es sich bei einem Film von mir | |
einlässt, das herausgefordert werden will. Hier komme ich gewissermaßen | |
völlig unangemeldet in das Wohnzimmer der Menschen. | |
Mit freundlicher Genehmigung des 3sat Kinomagazin | |
5 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Sven von Reden | |
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