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# taz.de -- Landraub in Kambodscha: Wie damals bei den Roten Khmer
> "Man braucht doch ein Zuhause", sagt Heng Mom. Die Kambodschanerin wohnt
> in einem Viertel Phnom Penhs, das einem Gewerbegebiet weichen soll.
Bild: Von der Zerstörung und vom Landraub sind eine Million Kambodschaner betr…
PHNOM PENH taz | Loun Savath ist seine Nervosität anzumerken. Er beugt sich
vor und kneift die Augen zusammen. "Ist das da vorne die Polizei?", fragt
er. "Nur ein Verkehrspolizist", antwortet der Fahrer. Savath lacht kurz, um
seine Aufregung zu überspielen, dann versteinert sich seine Miene wieder.
Er ist auf dem Weg zu seinem einstigen Kloster im Zentrum von Phnom Penh.
Dort hat der Mönch Hausverbot, seit ihm der Oberste Patriarch des Landes
und der Religionsminister vor einem halben Jahr den Zutritt zu allen
Pagoden des Landes verboten haben.
Loun Savath, Anfang 30, Brille, safranfarbene Robe, ist ein politischer
Aktivist - was für einen buddhistischen Mönch in Kambodscha sehr
ungewöhnlich ist. Seine Aktivistenkarriere begann, als in seiner Heimat,
einer Kleinstadt im Nordwesten des Landes, 175 Familien zwangsweise
umgesiedelt werden sollten.
Der Mönch nahm an großen Protestmärschen in Phnom Penh und Prey Lang teil,
um auf das Schicksal dieser Menschen in seiner Region aufmerksam zu machen.
Als die Medien seine Geschichte aufgriffen, wurde er zu einer landesweiten
Berühmtheit. Seither engagiert er sich für Menschen in ganz Kambodscha, die
von ihrem Land vertrieben werden sollen.
Damit hat Savath sich die Mächtigen zu Feinden gemacht. Denn häufig stehen
einflussreiche Politiker, Beamte und Geschäftsleute hinter dem
systematischen Landraub. Mehr als eine Million Kambodschaner sind davon
bedroht, von ihrem Land vertrieben zu werden.
## Die Frauen weinen
Auch Phnom Penh selbst ist davon betroffen. Die Stadt hat sich von ihrem
Niedergang während der Zeit der grausamen Diktatur der Roten Khmer erholt.
Aufgrund des Babybooms in den 80er-Jahren sind in den Straßen vor allem
junge Kambodschaner zu sehen. Seit einigen Jahren verdrängen immer mehr
moderne Wohn- und Bürogebäude die Art-Déco-Bauten aus der Kolonialzeit.
Als Loun Savath in seinem früheren Kloster eintrifft, atmet er auf. Die
Polizei ist nicht da. Gekommen sind mehr als ein Dutzend Journalisten. Loun
Savath hat sie am Morgen angerufen. Die Presse, so glaubt er, gibt ihm
Schutz.
"Ich bin heute zum letzten Mal in die Pagode gekommen, um all meine Bücher
und Notizen aus dem Raum abzuholen, in dem ich gelebt habe", erklärt er.
Aktivistinnen aus dem Boeung-Kak-Viertel sind soeben eingetroffen. Sie
schreien und weinen. Dass die politische Führung Kambodschas gegen ihren
Beschützer so drastisch vorgeht, können sie nicht verstehen.
## "Es ist genau wie unter Pol Pot!"
Als die Frauen später Unterlagen und Bücher des Mönchs aus dem Kloster
tragen, macht eine von ihnen ihrer Wut Luft: "Das ist wieder wie unter Pol
Pot. Auch damals sind die Mönche aus den Pagoden vertrieben worden. Es ist
genau wie unter Pol Pot!", schreit sie immer wieder. Pol Pot war der
berüchtigte Führer des maoistisch geprägten Regimes der Roten Khmer in den
70er Jahren, das an die zwei Millionen Kambodschaner umgebracht hat. Die
wenigen Mönche, die nach draußen gekommen sind, um sich das Spektakel
anzuschauen, blicken verstohlen auf den Boden.
Das Viertel um den Boeung-Kak-See ist ein besonders perfides Beispiel
dafür, wie der Landraub funktioniert. Der See liegt mitten im Zentrum von
Phnom Penh. Bis vor wenigen Jahren befand sich an seinem Ufer ein großes
Backpacker-Viertel mit Restaurants, Internetcafés und Hotels.
Dann hat die Regierung den See und das umliegende Gebiet an die Firma
Shukaku verpachtet. Sie gehört Lao Meng Khin, einem Senator der
Regierungspartei und engen Vertrauten von Premierminister Hun Sen. Ein
chinesischer Konzern soll hier Luxuswohnungen und ein modernes
Geschäftsviertel bauen.
Kurz nachdem die Verträge unterschrieben waren, begann Shukaku damit, den
riesigen Innenstadtsee mit Sand zuzuschütten und die umliegenden
Wohnviertel gewaltsam räumen zu lassen. Warnungen von Umweltschützern und
Forschern, dass dadurch der Wasserhaushalt der gesamten Region massiv aus
dem Gleichgewicht geraten würde, hat die Regierung ignoriert. Die Forscher
hatten Recht: Seit die Zuschüttungen begonnen haben, hat es jedes Jahr
Überschwemmungen in nahe gelegenen Stadtteilen gegeben.
## Geringe Abfindungen
Heute ist der See beinahe verschwunden. Kinder und Jugendliche spielen
Fußball auf der riesigen Sandfläche, die durch die Zuschüttung entstanden
ist. Ringsum liegen die Trümmer von Häusern, die zerstört worden sind. Die
Vertriebenen haben eine Abfindung in Höhe von 8.500 Dollar erhalten,
angesichts der inzwischen sehr hohen Landpreise in Phnom Penh ist das ein
sehr geringer Betrag. Viele von ihnen sind in Auffanglager weit außerhalb
der Stadt gezogen; andere haben sich Land in Vierteln gekauft, die
vermutlich auch bald geräumt werden. Von den einst über 4.000 Familien, die
in Boeung Kak gelebt haben, sind bereits mehr als 3.200 vertrieben worden.
Mittlerweile hat sogar die Weltbank die Notbremse gezogen und Zahlungen für
Projekte dieser Art gestoppt. Als einer der wichtigsten Geldgeber der
kambodschanischen Regierung hatte sie jahrelang Warnungen von
Menschenrechtsorganisationen ignoriert, wonach einige ihrer Projekte die
Vertreibungen beschleunigen. Geldsorgen hat die Regierung jedoch vorerst
keine: Großkonzerne aus Thailand, Vietnam und China investieren
Milliardenbeträge in dem verarmten Land.
## Die Landkonflikte betreffen eine Million Menschen
Zahlreiche Nichtregierungsorganisation kämpfen gegen die willkürlichen
Vertreibungen. Eine von ihnen ist die Cambodian Commission for Human
Rights, deren Mitarbeiter schon häufiger von der Polizei bedroht worden
sind. Ou Virak, Leiter der Organisation, sagt erklärend: "Landkonflikte
sind heute bei Weitem der größte Streitpunkt in Kambodscha. Sie betreffen
mindestens eine Million Menschen." Die Justiz versage leider bei der
Aufgabe, die Armen zu beschützen. "Von diesen gesellschaftlichen Strukturen
profitieren die Mächtigen, Leute mit Waffen, Leute, die gute Kontakte
haben, und Geschäftsleute, die sich Einfluss kaufen können."
Das Problem mit dem Landraub ist eine der vielen Folgen des Regimes der
Roten Khmer. Diese haben während ihrer Herrschaft in den Jahren 1975 und 79
beinahe alle Grundbucheinträge des Landes vernichtet. Ein Gesetz aus dem
Jahr 2001 sollte Abhilfe schaffen: Jeder Kambodschaner sollte demzufolge
das Besitzrecht für sein Land erhalten, wenn er dort mindestens fünf Jahre
lang gelebt hat.
Das gilt jedoch nur dann, wenn die Regierung das Land nicht als
"gewerbliches" oder "öffentliches" Land gekennzeichnet hat. Das geschieht
jedoch seit einigen Jahren nachträglich - und äußerst willkürlich. Zeigt
sich ein Großinvestor an Land interessiert, verstaatlichen es die Behörden
und verpachten es mit hohem Profit. Häufig werden dafür ganze Dörfer dem
Erdboden gleichgemacht.
## Der Druck zeigt Wirkung
Wer noch nicht vertrieben wurde, lebt in Angst. So wie Thoung Nheim und
seine Frau Heng Mom. Das Ehepaar lebt seit 1993 am Boeung-Kak-See. Neben
dem Haus der Familie liegen die Trümmer von Häusern, die in den vergangenen
Wochen abgerissen worden sind.
Vor Kurzem hat die Regierung - offenbar als Reaktion auf den Protest der
Weltbank - erklärt, dass ein Teil der noch nicht vertriebenen Anwohner des
Viertels bleiben darf. Thoung Nheim und Heng Mom sind nicht dabei. Mom, die
Frau, wischt sich Tränen aus dem Gesicht. Die Behörden haben einen
Bebauungsplan für den geplanten Stadtteil veröffentlicht.
"Als ich unseren Namen nicht auf der Liste gesehen habe, war ich entsetzt.
Es hat sich angefühlt, als hätten wir in diesem Moment alles verloren. Denn
man braucht doch ein Zuhause", sagt Heng Mom. Vor allem für ihre Kinder
wäre der Verlust des Hauses folgenschwer, fügt sie hinzu. "Unsere Kinder
könnten nicht mehr ihre alte Schule besuchen und würden ihre Freunde
verlieren. Es wäre ein großer Rückschlag für ihre Ausbildung."
## Die geschockten Anwohner müssen tatenlos zusehen
Drei Tage später umstellen im Morgengrauen Polizisten das Haus des
Ehepaares. Mitarbeiter von Hilfsorganisationen filmen, wie die Beamten die
Menschen zwingen, das Haus zu verlassen. Dann, so ist auf den Aufnahmen zu
sehen, fahren Bauarbeiter zwei Bagger neben das Gebäude. Sofort beginnen
sie, das Haus abzureißen. Den geschockten Anwohnern bleibt nichts anderes
übrig, als tatenlos zuzusehen.
Loun Savath, der Mönch, hat beschlossen, sich von den Behörden nicht
einschüchtern zu lassen. Ein Ende der Vertreibungen ist nicht in Sicht. Er
sitzt in seinem Zimmer in Phnom Penh, das ihm eine
Nichtregierungsorganisation zur Verfügung gestellt hat. "Obwohl ich aus
meiner Pagode verbannt worden bin, werde ich meine Arbeit fortsetzen und
den Menschen bei ihrem Kampf für Gerechtigkeit helfen." Denn es ermutige
die Menschen, dass sich ein Mönch für ihre Sache einsetze. "Die Regierung
bedroht mich. Aber ich werde nicht aufhören, auch wenn sie mich schon viele
Male festgenommen haben."
4 Jan 2012
## AUTOREN
Sascha Zastiral
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