# taz.de -- Gutachten über israelische Universität: Politikinstitut zu politi… | |
> Eine internationale Kommission fordert die Schließung eines israelischen | |
> Politikinstituts. Kritiker sehen darin einen Angriff auf linke | |
> Wissenschaftler. | |
Bild: Autoren in der Kritik: Welche Hintergedanken spielten eine Rolle? | |
TEL AVIV/BERLIN taz | Angriff gilt auch unter Pazifisten als die beste | |
Verteidigung. Keck forderte der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) der | |
FU Berlin im Dezember die Schließung einer ganzen Forschungseinrichtung an | |
der FU mit über 100 Mitarbeitern. Auslöser war ein Gutachten, das der | |
FU-Politikprofessor und Sprecher jenes Sonderforschungsbereiches 700, | |
Thomas Risse, im Auftrag der israelischen Regierung betreute. Darin werden | |
dem Politikwissenschaftlichen Institut der Ben-Gurion-Universität (BGU) in | |
Beer Scheva (Israel) schwere wissenschaftliche Mängel vorgeworfen. Sollten | |
diese nicht behoben werden, empfehlen die Gutachter, das Institut zu | |
schließen. | |
Das als links geltende Politikinstitut der BGU bekennt sich dazu, | |
Wissenschaft mit politischem Engagement zu verknüpfen. Das sehen die acht | |
Gutachter um Risse - mit einer Ausnahme - jedoch als bedenklich an. Im | |
Auftrag des israelischen Bildungsministers hatten sie das Institut im Mai | |
2011 besucht. | |
In ihrem Bericht monieren sie die geringe Anzahl von Grundlagenkursen im | |
Studium und die schwache Forschungsleistung. Das Institut müsse sich | |
stärker auf die Wissenschaft konzentrieren. Zudem sollten die Dozenten | |
dafür sorgen, ihre Standpunkte als persönliche Meinungen darzustellen, und | |
den Studierenden Alternativen anbieten. | |
## Beispielloses Vorgehen | |
Der im September erschienene Bericht sorgt in Israel für Aufregung. Die | |
Mitarbeiter des Instituts wehren sich gegen die Empfehlung der Kommission, | |
das Institut zu schließen. Ein solches Vorgehen sei "in der Geschichte von | |
Beurteilungskommissionen beispiellos". Fragwürdig sei auch, dass das | |
Gutachten an die Medien durchsickerte, bevor es offiziell dem Council for | |
Higher Education (CHE) vorgelegt wurde. | |
"Das riecht nach einem politischen Manöver", meint Sebastian Schneider vom | |
AStA der Freien Universität. Die Studierendenvertreter fordern den | |
Professor auf, "sich nicht zum Handlanger einer rechtsgerichteten Regierung | |
zu machen." | |
Das Politikinstitut der BGU verteidigt sich: In einem "Gutachten über das | |
Gutachten" zeichnet es eine Reihe von Ungenauigkeiten der Kommission auf. | |
Schon die Zahl der Veröffentlichungen sei doppelt so hoch, als es der | |
Bericht festhält. Der Vergleich mit der Universität in Tel Aviv sei | |
"einseitig", kritisieren die Wissenschaftler aus Beer Scheva. "Die | |
Abteilung für Politische Wissenschaft an der TAU (Tel Aviv Universität) | |
verfüge über doppelt soviele Mitarbeiter wie ihr Counterpart an der BGU, | |
trotzdem hat sie, dem Untersuchungsbericht zufolge, dieselbe Anzahl an | |
Artikeln veröffentlicht." Ähnlich ungenau sei der Bericht mit Blick auf | |
Buchveröffentlichungen, Preise und Stipendien. | |
## Unterzeichnung verweigert | |
Gesellschaftswissenschaftler aus Israel und anderen Staaten wandten sich | |
mit einem gemeinsamen Apell an den CHE gegen eine "unkritische Annahme" des | |
Gutachtens. "Wir kommen zu dem Ergebnis, dass die Empfehlung (das Institut | |
schließen zu lassen) politisch motiviert ist", heißt es dort. Darauf ließen | |
auch personelle Verschiebungen innerhalb der Kommission schließen. Risse | |
hatte den Vorsitz übernommen, nachdem Prof. Robert Shapiro von der Columbia | |
University von dem Posten zurückgetreten war. | |
"Ich will nicht sagen, dass die Empfehlungen politisch sind", kommentierte | |
Prof. Renee Poznanski von der BGU, fest stehe indes, dass die Kommision | |
"nicht naiv war". Sie habe von den personellen Verschiebungen gewusst. | |
Prof. Ian Lustick, ein international Anerkannter Experte der israelischen | |
Politik und Gesellschaft sei "aus politischen Gründen" aus der Kommission | |
ausgeschlossen worden, was zum Rücktritt von Prof. Shapiro führte. Nicht | |
nur, dass ein Gutachten die Schließung einer Universitätsabteilung erwägt, | |
sei präzedenzlos, sagt Poznanski, sondern auch, dass es eine | |
Minderheitenmeinung gibt. Prof. Galia Golan hatte verweigert, das Gutachten | |
zu unterzeichnen. | |
## Kernkompetenz dringend verbessern | |
Eine Gruppe Studenten der höheren Jahrgänge am BGU-Institut reagierte mit | |
einem offenen Brief auf den Bericht der Kommission. "Wir bezeugen, dass das | |
Institut für uns ein akademisches Zuhause ist, in dem eine wache, | |
lebendige, offene und pluralistische Auseinandersetzung stattfindet", heißt | |
es in dem Brief. Die Studenten zeigten sich "schockiert" über die | |
"Versuche, die freie Meinungsäußerung, die akademische Freiheit und die | |
israelische Demokratie einzuschränken". | |
Kommissionsleiter Risse äußert sich auf taz-Anfrage schriftlich zu diesem | |
Vorwurf: "Die Kommission war vollkommen unabhängig, und es gab keinerlei | |
Versuche der Politik, auf unsere Stellungnahmen Einfluss zu nehmen." Was | |
das Department of Politics and Government der BGU angehe, so war die | |
Kommission übereinstimmend der Auffassung, dass das Kernfach | |
Politikwissenschaft hier nur schwach vertreten sei und diese Kernkompetenz | |
dringend verbessert werden müsse - unter anderem durch die Berufung neuer | |
Professoren. "Das ist der Kernpunkt des Reports, der in der öffentlichen | |
Diskussion eher unterbelichtet wurde." | |
Auf Weisung des israelischen Bildungsrates muss das Politikinstitut der BGU | |
nun bis Mitte April einen Aktionsplan vorlegen, wie es die von der | |
Gutachtern angeregten Änderungen umzusetzen gedenkt. Risse und seine | |
deutsche Gutachterkollegin sollen den Prozess prüfend begleiten. | |
## Kritik an Risses Methoden | |
Für Risses Kritiker in Deutschland ist seine Berufung zum Leiter der | |
Kommission keine Überraschung. Tim Sontheimer, der am Otto-Suhr-Institut | |
(OSI) Politik studiert, meint: "Risse hat maßgeblich an der Transformation | |
des OSI von einem linken herrschaftskritischen Institut zu einem | |
Mainstream-Institut mitgewirkt." Der linke Flügel im OSI beobachtet den von | |
Risse gegründeten Sonderforschungsbereich seit längerem skeptisch. | |
Aufsehen erregte im Jahre 2008 eine Befragung von Forschern des SFB in | |
afghanischen Gemeinden, deren Ergebnisse den Einsatz der Bundeswehr | |
scheinbar stützten. 80 Prozent der Befragten waren damals der Ansicht, dass | |
sich ihre Sicherheitslage durch die Anwesenheit ausländischer Truppen | |
verbessert habe. "Ein Rückzug wäre eine Katastrophe für die Menschen dort", | |
schrieb Risse in einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung. | |
Dabei verschwieg er allerdings, dass nur 14 Prozent der befragten Afghanen | |
von der Existenz der Bundeswehr-Truppen wussten. Während sie Einheimische | |
befragten, waren die Wissenschaftler zudem von Soldaten eskortiert. Diese | |
wissenschaftlichen Praktiken als "embedded scientists" kritisierten linke | |
OSI-Mitglieder und der AStA als unredlich und methodisch fraglich. | |
Risse meint dazu, dies habe mit der Evaluierung von Ben Gurion "aber nun | |
wirklich nichts" zu tun. | |
6 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
S. Knaul | |
A. Lehmann | |
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