# taz.de -- Landwirtschaft in Niedersachsen: Der Lobbyist der Kleinbauern | |
> Eckehard Niemann setzt sich gegen riesige Hühnermasthallen ein. Die | |
> Forderung: Ein Verbot gegen eine Haltung, in der Tiere zu sehr leiden. | |
> Eine Freilandhaltung verlangt er nicht. | |
Bild: Der Streithahn: Niemann vor einem Wiesenhof-Doppelmaststall. | |
Mit einem Ast stochert Eckehard Niemann in der Hühnerkacke. Der süßliche | |
Dampf beißt in der Nase. Der Haufen stinkt Niemann. Der Hühner-Trockenkot, | |
HTK abgekürzt, liegt wenige Schritte von einem Wiesenhof-Mastbetrieb | |
entfernt auf einem geernteten Maisfeld. | |
Niemann – weißer Nikolausbart, runder Nikolausbauch – schüttelt angewidert | |
den Kopf, wirft den Stecken auf den Acker, blickt zum Stall, schüttelt | |
wieder den Kopf, schüttelt den ganzen Körper, wie ein Hund nach dem Baden. | |
Doch die Gedanken lassen sich nicht abschütteln, er denkt sie seit über 30 | |
Jahren, seit er in Göttingen Agrarökonomie studierte. | |
Er dachte sie als Landwirtschaftslehrer in Hamburg, auch in seiner Zeit als | |
Referent für ökologische Landwirtschaft im Hamburger Umwelt- und | |
Wirtschaftsministerium. Er will Bauernhöfe statt Agrarfabriken. | |
Auch den Gestank wird Niemann nicht los. Denn seine Heimat ist auch die | |
Heimat der Hühner. Über 30 Millionen Mastplätze gibt es in Niedersachsen. | |
Die Hälfte aller deutschen Hühnchen frisst sich hier fett. Als wäre das | |
nicht genug, hat die Firma Rothkötter in Wietze einen neuen Schlachthof | |
gebaut, subventioniert mit 6,5 Millionen Euro. Bei voller Auslastung können | |
in der Anlage 27.000 Hühner verarbeitet werden. Pro Stunde. | |
Bis zu 135 Millionen Tiere könnten hier pro Jahr getötet werden. 40.000 | |
Hähnchen fasst eine typische Mastanlage, 400 davon wären nötig, um die | |
Schlachtanlage zu füllen. Doch die Bauern in der Lüneburger Heide spielen | |
nicht mit. Nicht einmal 30 Riesenställe sind bisher entstanden. "Die | |
Landwirte wollen nicht: Sie bekämen Ärger im Dorf, verdienen wenig oder | |
nichts und sind total abhängig", erklärt Niemann. Deshalb werden hier nun | |
auch dänische Hühner geschlachtet. | |
In der Doppelstallung, die Niemann mustert, sind 80.000 Tiere eingepfercht. | |
"Viel zu viele. Zu viele Hühner auf zu wenig Platz, und zu viele Hühner | |
überhaupt", sagt Niemann. Deutschlands Großmäster produzieren schon jetzt | |
mehr, als die Deutschen essen können. "Wir haben eine Hähnchenblase", sagt | |
Niemann. | |
30 bis 45 Tage werden Hühner gemästet, bis ihr Knochengerüst die Brust kaum | |
noch tragen kann. "1.000 Hähnchen sterben dabei im Durchschnitt pro | |
Durchgang und Maststall", sagt Niemann, der für die Arbeitsgemeinschaft | |
bäuerliche Landwirtschaft, die sich 1980 als Gegenpol zum Bauernverband | |
gründete, als Agrarindustrieexperte fungiert. | |
## Kadaver-Sammler | |
Die Tiere, die es bis zur Schlachtbank schaffen, leiden bis dahin unter | |
Knochenbrüchen, an Fußballenverätzungen, Verkrüppelungen, und sie | |
attackieren sich auch noch gegenseitig. Zweimal am Tag läuft ein | |
Mitarbeiter durch den Stall und sammelt die toten Tiere ein. Die Kadaver | |
landen laut Niemann oft auf den HTK-Haufen, die im Landkreis Uelzen | |
mittlerweile zum Landschaftsbild gehören. | |
"Etwa die Hälfte der Haufen ist illegal", sagt Niemann. Die Menge des Kots | |
und der Standort müsse den Behörden gemeldet werden. Niemann sagt: "Da wird | |
getrickst und verschleiert." Eine Bürgerinitiative aus Wriedel hat sich zur | |
Aufgabe gemacht, die Haufen zu inspizieren, Verstöße zu melden. "Die machen | |
HTK-Watch", erklärt Niemann, der solche Initiativen berät. | |
"Investoren haben Unternehmensberater, die Bürgerinitiativen haben mich", | |
sagt Niemann, der täglich bis zu 40 Mails beantwortet, pro Woche eine | |
Pressemitteilung schreibt, Anwälte organisiert, Veranstaltungen besucht, | |
Vorträge hält und in seinem Kalender weniger leere Stellen findet als vor | |
seiner Pensionierung. | |
Niemann schaut ein letztes Mal auf den Hühnerkot und steigt in seinen | |
Wagen. Auf dem Kofferraum kleben Sticker: "Keine A 39" und "Bauernhöfe | |
statt Agrarfabriken". | |
Oft wird ihm vorgeworfen, er sei gegen alles. Genmais, Castortransporte, | |
Autobahnen, Massentierhaltung. Niemann findet den Vorwurf unsinnig. Es sei | |
kein Dagegen um des Dagegenseins Willen. Niemann ist kein Wutbürger. Er ist | |
weder frustriert noch verbissen. Wenn er über seine Arbeit redet, findet er | |
vieles toll. Und vieles schön. | |
Er sagt: Toll, dass es so was gibt wie die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche | |
Landwirtschaft. Hier setzt er sich seit Jahren dafür ein, dass die | |
Rahmenbedingungen für die Kleinbauern besser und für deren Konkurrenten | |
schlechter werden. Bäuerliche Landwirtschaft sei der einzige Rahmen für | |
artgerechte Haltung, meint Niemann. | |
Seine Forderung: Ein gesetzliches Verbot einer Haltung, bei der die Tiere | |
zu stark leiden. Ob der Tierschutz dabei das Ziel ist oder nur Mittel zum | |
Zweck, ist unklar. Freilandhaltung fordert er jedenfalls nicht – eine | |
Beschränkung auf 15.000 Hühner pro Stall würde ihm vorerst genügen. | |
Niemann sitzt auf seiner Wohnzimmercouch, knetet seine Hände und lächelt. | |
Er sagt: Schön, dass sich unter unserem Druck Teile der Politik bewegen. | |
Schön, dass Behörden tatsächlich Ställe verbieten. Niemann lehnt sich ins | |
schwarze Leder. Er sagt: Wunderbar, dass wir mit der ganzen Gesellschaft | |
für die bäuerliche Landwirtschaft kämpfen. Da weiß man, dass man gewinnen | |
wird. Die nächste Etappe ist eine Großdemonstration in Berlin in zwei | |
Wochen. | |
Die Demonstration: „Wir haben die Agrarindustrie satt“, Samstag, 21. | |
Januar, Treffpunkt 11.30 Uhr am Berliner Hauptbahnhof | |
8 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Johan Kornder | |
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