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# taz.de -- Autobiografie eines Kriegsreporters: "Arglos-achtlos und selbstzers…
> Lutz Kleveman war erfolgreicher Kriegsreporter. Bis er sich fragte, woher
> sie eigentlich kommt, die Begeisterung für Krieg und Gewalt, die dem
> allem zugrunde liegen musste.
Bild: Der Druchbruch gelang Klevemann mit Berichten aus Sierra Leone: Britische…
Auf einem idyllischen Landsitz zwischen Elbe und Weser fängt alles an: Lutz
Kleveman soll mit 24 Jahren das Erbe seines Vaters antreten und das
herrschaftliche Gut übernehmen. Doch anstatt sich der Familientradition zu
beugen, geht er nach London, um sein Studium zu beenden. Zehn Jahre hat die
Mutter ihm gegeben, dann rufen Moor und Pflicht. Kleveman nutzt die ihm
gewährte Zeit: Was der rastlose junge Mann erlebt, genügt für mehrere
Menschenleben.
Journalist will er werden, und bald zieht er nach Budapest. Dank einem
Zufall kann er für den Daily Telegraph arbeiten. Wie man sich als freier
Berichterstatter durchschlägt, hat er schnell heraus. Mit einem klapprigen
Citroën im Balkan unterwegs, jagt er dem Scoop hinterher. Der
journalistische Durchbruch kommt 2001 in Sierra Leone. Unerschrocken, fast
naiv dringt er oft als erster Reporter überhaupt ins Innerste
lebensgefährlicher Konflikte vor.
Was er, bald auch für deutsche Medien unterwegs, aus Afghanistan,
Tschetschenien, Russland oder über die Favela-Drogengangs in Brasilien
berichtet, ist so informativ und spannend, dass man die Lektüre kaum
beiseite legen mag. Den trockenen Humor und die Selbstironie hat der Autor
von den Engländern gelernt.
Wie er etwa als vermeintlicher tschetschenischer Terrorist mit einem
Untersuchungsbeamten des russischen Staatssicherheitsdienstes um die Wette
säuft, um seine Haut zu retten, dann von dessen Frau bekocht und bebügelt
wird, ist eine der vielen obskuren Geschichten, die Kleveman zu erzählen
weiß.
## "Arglos-achtlos und selbstzerstörerisch"
Bordelle, Alkohol und Drogen gehören zu seinem Alltag - das ist mitunter
harter Lesestoff. "Arglos-achtlos und selbstzerstörerisch", wie er selbst
sagt, gefährdet er sein eigenes Leben. "Ich war wie ein Schwamm, der sich
vollsog mit den Reizen des Reporterdaseins … Irgendwann dachte ich, die
Welt existiere nur für mein privates Vergnügen. Ob Not oder Krieg, für mich
war das alles nur ein großes Spiel."
Als sein erstes Buch über die Ölinteressen der Weltmächte am Kaspischen
Meer herauskam, habe er unterdessen das verloren, was einen guten
Journalisten ausmache: Neugier und Mitgefühl. Neben aller Selbstkritik
schont Kleveman jedoch auch die deutsche Journaille nicht – viele seiner
Kollegen betrachtet er als selbstgefällig, weltfremd und dilettantisch.
## Mehr sein wollen
Parallel zu seinen Reportageberichten beschreibt Kleveman seine lange Reise
mit der transsibirischen Eisenbahn 2008. Er ist auf den Spuren seines
Großvaters, der sich während des Ersten Weltkrieges als russischer
Kriegsgefangener auf dieser Route befand.
Der Enkel notiert: "Hans-Heinrich und seine Brüder sind damals wie
Deutschland an sich: Sie wollen mehr sein, als sie sind." Vom
"militaristisch-nationalistischen Virus" befallen, wird der Großvater ein
hoher Wehrmachtsoffizier, der aufs Gut heimgekehrt, über das Schicksal der
umliegenden Höfe entscheidet und deren Söhne in den Krieg sendet.
Die Folgen dieser Taten sind bis heute spürbar. Sein Großvater sei vom
Krieg fasziniert gewesen, so Kleveman, und er erkennt auf seiner Reise zu
sich selbst, dass auch er "kriegsgefangen" war. Er hatte sich lange als
"Louis" der Engländer ausgegeben: Er hasste seine Identität als Deutscher.
Im Laufe seiner Journalistenlaufbahn habe er sich aber immer häufiger
gefragt, was er an diesen Orten von Zerstörung eigentlich suche? Kleveman
bereiste rund hundert Länder in acht Jahren, um zu erkennen, dass er ein
"Kriegsjunkie" geworden war, auf der Flucht vor sich selbst.
Herausgekommen ist dabei ein mutiges und unterhaltsames Buch von großem
Erkenntnisgewinn.
Lutz Kleveman: "Kriegsgefangen. Meine deutsche Spurensuche". Siedler
Verlag, München 2011, 480 Seiten, 22,99 Euro
8 Jan 2012
## AUTOREN
Alexandra Senfft
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