Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Solarwirtschaft in Berlin und Brandenburg: Pflänzchen, das viel So…
> Als Standort der Halbleiterindustrie ist Frankfurt (Oder) kläglich
> gescheitert. Heute setzt die Stadt auf Solartechnologie
Bild: Frankfurt (Oder) will von der Sonne leben: Solarzellenhersteller in Aktion
Ein blauer Zweckbau an der Autobahn, daneben eine wuchernde Brache, am
Horizont der Stadtrand von Frankfurt (Oder). Wenn Stephan Neruda aus dem
Fenster seines Büros in der städtischen Wirtschaftsförderung schaut, hat er
Vergangenheit und Zukunft vor Augen: In dem blauen Quader stellt das
Unternehmen Conergy Solarmodule her. Als Anfang des Jahrtausends der
Grundstein für die Fabrik gelegt wurde, sollte eigentlich ein Chipwerk mit
1.300 Arbeitsplätzen entstehen. Die Investoren sprangen ab, nach dem Rohbau
war Schluss - und die einstige Halbleitermetropole Frankfurt versank wieder
jahrelang im Nach-Wende-Blues. Deswegen ist Neruda heute vorsichtig. "Wir
sind auf dem richtigen Weg", sagt der 62-Jährige nur.
Ein Jahrzehnt nach der Halbleiterpleite ist die Arbeitslosigkeit in
Frankfurt (Oder) von 20 auf 13 Prozent gesunken. Neben Conergy haben sich
zwei weitere Solarfirmen angesiedelt, und die Marketingabteilung spricht
von der "Solarstadt Frankfurt". Dass es so gekommen ist, geht auf Menschen
wie Stephan Neruda zurück. Der kleine, kräftige Mann trägt ein kariertes
Baumwollhemd und trinkt dem Gast zuliebe am Nachmittag noch Kaffee -
"ausnahmsweise". Wie er am Konferenztisch der Wirtschaftsförderung sitzt
und erzählt, während über ihm der Regen aufs Flachdach prasselt, wirkt er
wie ein Symbol für die Gegenwart Frankfurts: nüchtern, fast langweilig. Bei
längerem Zuhören aber spannend, verblüffend - und höchst erfolgreich.
Vor dem Mauerfall leben in Frankfurt 88.000 Menschen, so viele wie noch
nie. Die Stadt ist das Zentrum der DDR-Halbleiterindustrie. Hauptabnehmer
der Produkte: die Sowjetunion, ein riesiger Exportmarkt. Nach der Wende
bricht die Branche weg. 8.000 Menschen verlieren ihren Arbeitsplatz,
tausende ziehen nach Westdeutschland, zwanzig Jahre später werden nur noch
60.000 Einwohner übrig sein. Neruda bleibt. Er hat noch vor 1989 mit
Weiterqualifizierungen in Richtung Marketing begonnen - "Verkaufsingenieur"
im DDR-Jargon. Die Stadtverwaltung bittet ihn, in die Wirtschaftsförderung
einzusteigen. "Anfangs waren wir zu dritt", erinnert sich Neruda.
Wo fängt man an, wenn nichts mehr da ist? Die Industrie liegt brach, die
Menschen laufen davon, die Infrastruktur ist im Vergleich zu den
gewachsenen Standorten im Westen ein Witz. Neruda beginnt zu reisen. Er
schaut sich Länder an, die wie die Ex-DDR von ziemlich weit unten kamen,
wirtschaftlich gesehen: Irland, Schottland. "Bevor Irland in der
Finanzkrise in die eigene Falle getappt ist, hatte es ja eine rasante
Entwicklung hinter sich, raus aus dem Armenhaus Europas." Die Frankfurter
Delegation erkundigt sich vor Ort: Wie locke ich Unternehmen an? Wie
schaffe ich ein Fundament? "Das kostet vor allem Zeit. Geld ist gar nicht
so das Problem."
Vieles schauen sie sich ab, und tatsächlich winkt mit der Chipfabrik ein
erster großer Erfolg. Doch etwas geht schief: Die Investitionskosten in
Höhe von 1,5 Milliarden Euro sollen zu Dritteln durch Geldgeber aus den
Vereinigten Arabischen Emiraten, Bankkredite sowie Fördermittel von Bund
und EU aufgebracht werden. Mitten in der Planung machen die arabischen
Investoren einen Rückzieher: Statt 500 Millionen wollen sie nur noch 250
Millionen Euro überweisen. Das Finanzierungsmodell bricht zusammen, der Bau
wird gestoppt, übrig bleibt nur das Grundgerüst einer Fabrik.
Was wird nun aus dem geplanten Technologiepark? Was aus der
bereitgestellten Infrastruktur? "Für Frankfurt, das seit den 70ern von der
Halbleiterindustrie gelebt hatte, war das ein Schock", sagt Irina Kania,
Projektmanagerin beim "Investor Center Ostbrandenburg". So heißt die
Wirtschaftsförderung heute.
Einen Kilometer von Kanias Büro entfernt erklärt Burghard von Westerholt
den Vorteil von Dünnschichtmodulen. In der Produktionshalle von First Solar
rattern die Fließbänder, Roboterarme hieven Module von einem zum nächsten
und machen einen Riesenlärm. Der Boden unter Betriebsleiter von Westerholt
glänzt: Die Fabrik ist erst vor wenigen Wochen eröffnet worden. Es ist
schon die zweite, die das Unternehmen in Frankfurt betreibt - neben
Standorten in den USA und Malaysia.
Dünnschichtmodule sind im Vergleich zu konventionellen Solarzellen sehr
dünn, rahmenlos und günstiger herzustellen. Dafür ist ihr Wirkungsgrad
geringer. In den Fabriken von First Solar laufen täglich 16.000 solcher
Elemente vom Band, zweieinhalb Stunden dauert es von der unbeschichteten
Platte bis zum fertigen Modul. Die Prozesse sind voll automatisiert, sogar
das Einpacken der etwa 120 mal 60 Zentimeter großen und 12 Kilogramm
schweren Platten erledigen Roboterarme.
Menschen werden auch gebraucht: zur Kontrolle vor den Computerbildschirmen.
1.200 Beschäftigte arbeiten in den beiden First-Solar-Werken. Die Gebäude
sind durch einen überdachten Gang verbunden, die Fertigungen identisch
angeordnet. In einer kleineren angeschlossenen Halle recycelt First Solar
alte Module. Ein Service für die Käufer, für den ein Teil des Umsatzes
zurückgelegt wird.
Rund ein Drittel der Mitarbeiter kommt direkt aus Frankfurt, ein Drittel
aus dem näheren Umfeld und Berlin, ein Drittel von noch weiter her. Von
Westerholt selbst pendelt täglich zwischen Berlin und Frankfurt, das dauert
etwa eine Stunde mit dem Auto. "Die Attraktivität einer netten Kleinstadt
konkurriert mit der Attraktivität Berlins", sagt er. Es soll wie eine
Entschuldigung klingen. Ansonsten nämlich lobt der Betriebsleiter die
Stadt, als ob er Provision fürs Marketing erhielte.
Als First Solar vor fünf Jahren auf den deutschen Markt drängt, kommen
mehrere Standorte in Frage. Auch solche, die besser angebunden waren als
Frankfurt. Solche, die wissenschaftliche Einrichtungen haben oder mit einer
Technischen Universität und der Hoffnung auf Fachkräfte locken. Es wird
Frankfurt. "Ein Grund für die Wahl war die gute Unterstützung im Vorfeld,
dieses Gefühl auf Investorenseite, dass man willkommen war", erklärt von
Westerholt. Später spricht er von den großzügigen Fördermitteln, die es für
die erste Fabrikansiedlung gegeben habe. Etwa ein Drittel der Investitionen
in Höhe von 117 Millionen Euro erhält First Solar als Subvention - ein
Geschenk der "Gemeinschaftsaufgabe Ost", mit der Bund und Länder die
Wirtschaft auf ehemaligem DDR-Gebiet ankurbeln wollen.
Bei Stephan Neruda in der Wirtschaftsförderung weiß man zunächst gar nicht,
wer sich da in Frankfurt ansiedeln will. "Es gab nur ein anonym gehaltenes
Papier", erzählt er. "Wir hatten zwar schon versucht, in Richtung
Solarindustrie zu arbeiten, aber diese Anfrage kam zu einer Zeit, als wir
sie am wenigsten erwarteten." Neruda vermutet, dass die bereits vorhandene
Infrastruktur auf dem Gelände einer der ausschlaggebenden Vorteile
Frankfurts war.
Nach der Halbleiter-Pleite hat die Wirtschaftsförderung den Markt sondiert.
Ausgehend von dem bereits ansässigen Forschungsinstitut, das sich mit der
Solarenergie-Entwicklung beschäftigt, haben Neruda und sein Team die
Solarbranche ins Auge gefasst. Das ist nur konsequent: Auch hier wird
Halbleiter-Technik benötigt. Bloß ist es gar nicht leicht, für einen
Standort zu begeistern, der durch eine Riesenpleite berühmt geworden ist.
Die Wirtschaftsförderung stockt ihre Mitarbeiter auf, die reisen wieder um
die Welt. Auf Messen, zu Konferenzen, zu Politikern. "Häufig ist das wie
die Suche nach der Nadel im Heuhaufen", sagt Neruda. Eine mühselige Suche
voller Enttäuschungen. Daheim in Frankfurt liegt die Arbeitslosenquote bei
20 Prozent und die Stadtverordneten wollen wissen, was die
Wirtschaftsförderung denn so macht in ihrem neuen Gebäude draußen im
Technologiepark. "Wir konnten immer nur sagen: Habt Geduld."
Mit First Solar kommt auf einmal Schwung in die Bemühungen: Der Mitbewerber
Conergy wird auf den Standort aufmerksam. Das an der Börse in Frankfurt am
Main gelistete Unternehmen erklärt sich bereit, das unfertige
Halbleiterwerk auszubauen. "Der Vorteil war, dass der Rohbau schon da war",
erklärt eine Firmensprecherin. Strom- und Wasserleitungen waren gelegt, das
Baugelände voll erschlossen. Zudem gab es Hunderte Facharbeiter, die einen
Job suchten. "Wir brauchten schnell gute Leute", erinnert sich die
Sprecherin.
Glück für die Stadt: So kommen die Fördergelder wieder in die
Haushaltskassen, die seinerzeit für Planung, Erschließung und Bau geflossen
sind. Immerhin 38 Millionen Euro sind für den Rohbau und vorbereitende
Planungen geflossen. Mit Odersun lässt sich jetzt schon das dritte
Unternehmen aus der Branche in unmittelbarer Nachbarschaft nieder.
Langsam entsteht tatsächlich so etwas wie ein Technologiepark in Frankfurt.
Schon arbeiten 2.000 Menschen in der Solarbranche, hinzu kommen rund 400
bei Zulieferfirmen. Die Gewerbesteuereinnahmen lagen 2010 nach vorläufigen
Zahlen bei 25 Millionen Euro, sechsmal so hoch wie 2004. Zu- und
Abwanderung haben sich fast angeglichen, der Bevölkerungsschwund nach
Berlin und Westdeutschland scheint gestoppt.
Alles gut also? Neruda wiegelt ab. "Im Vergleich zu dem, was es einmal war,
haben wir noch ein Stück vor uns", sagt er und erwähnt die
Arbeitslosenquote von 13 Prozent. Ihm missfällt auch das Pendlerverhältnis:
14.000 kommen täglich, um in Frankfurt zu arbeiten. Abends geht es zurück
nach Berlin. Nur 6.000 wohnen in der Stadt und pendeln zur Arbeit
außerhalb.
Frankfurt ist nach wie vor "Ziel 1" - beziehungsweise Konvergenzgebiet der
Europäischen Union. So erhält die Stadt zwar den höchsten Fördersatz, hat
aber das Stigma als strukturschwache Region weg. Und die ansässigen Firmen
loben zwar die Unterstützung durch Politik und Verwaltung als massiven
Standortvorteil. Die jüngste Entscheidung von Conergy, zwei
Produktionsbereiche stillzulegen und etwa 30 von 400 Mitarbeitern zu
entlassen, spricht indes eine andere Sprache.
Die jüngst verkündete Insolvenz des Herstellers Solon verunsichert die
Branche zusätzlich. Berlin und Brandenburg haben bei der industriellen
Entwicklung voll auf die Solarindustrie gesetzt, nun droht ein
Schwergewicht wegzubrechen (s. auch Meldung rechts). "Das ist ein Schlag",
bekennt der Geschäftsführer des Vereins "Solarregion Berlin-Brandenburg",
Thoralf Schapke. Er sitzt selbst am Rand des Technologieparks und erlebt
die Entwicklung mit. "Ich würde mir wünschen, dass mehr Zulieferer kommen
und wir damit regionale Wirtschaftsketten stärken", sagt er. So hätten auch
innovative, kleinere Firmen eine Chance und die Struktur werde insgesamt
stabiler.
Platz ist jedenfalls noch genug am Frankfurter Stadtrand. Die Straßenbahn
zuckelt in 20 Minuten zu einer Haltestelle im Niemandsland. Nach fünf
Minuten Fußweg, bei dem Orientierungssinn gefragt ist, gelangen Besucher
zum Hintereingang der Wirtschaftsförderung. Gegenüber liegt ein
Penny-Markt, die beiden First-Solar-Fabriken sind eine weitere halbe Stunde
strammen Marsches entfernt. Dazwischen liegen viel Ödnis, ein paar
Einfamilienhäuser, ein Gasthof. So sei das eben mit der wirtschaftlichen
Entwicklung der Stadt, sagt Stephan Neruda. "Es ist ein kleines Pflänzchen,
das man ab und zu gießen muss."
10 Jan 2012
## AUTOREN
Kristina Pezzei
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.