# taz.de -- Streit der Woche: "Tunesien hat starke Frauen" | |
> Die tunesische Autorin Sihem Bensedrine glaubt an den Wandel. Ihre | |
> Landsfrau Yousra Ouanes ist froh, in der Uni Kopftuch tragen zu können. | |
Bild: Nicht überall selbstverständlich: Tunesierinnen dürfen schon seit mehr… | |
Die Beiträge der beiden Journalistinnen aus Tunesien lesen Sie hier | |
exklusiv auf taz.de | |
Sihem Bensedrine ist tunesische Autorin, Journalistin und politische | |
Aktivistin | |
Die Frauen waren wichtige Akteure des Umsturzes und der revolutionäre | |
Übergang wird stark von Frauen mitgetragen. Sie sind sehr aktiv. | |
In vielen der 2.000 neuen Organisationen, die nach der Revolution gegründet | |
wurden, stehen an der Spitze Frauen. Frauen drücken sich auch stark in den | |
Parteien aus. Sie haben die Quotierung der Wahllisten durchgesetzt. | |
Die tunesische Frau ist präsent, sie kämpft. Aber die partriarchalische | |
Mentalität ist selbstverständlich immer noch sehr lebendig. In der Periode | |
der gesellschaftlich Umgestaltung wird es sicherlich Irritationen und | |
Rückwärtsbewegungen geben, aber ich bin sicher am Schluss kommen wir Frauen | |
weiter. | |
Tunesien hat traditionell starke Frauenrechte und dadurch starke Frauen. | |
Meine Generation ist mit diesen Rechten aufgewachsen, die Generation meiner | |
Tochter sowieso. | |
In Tunesien – das ist ein entscheidender Unterschied zu anderen arabischen | |
Ländern – trifft man aktive Frauen nicht nur in der Mittel- und | |
Oberschicht, sondern auch auf dem Land. Und Frauen erwirtschaften in | |
unserer Gesellschaft mehr als die Hälfte aller Familieneinkommen. | |
Die tunesische Frau ist aktiv, nicht resigniert und sie wird um ihren Platz | |
im öffentlichen Leben kämpfen. | |
Yousra Ouanes ist Tunesierin und Korrespondentin der irakischen Al-Ittijah | |
TV | |
Vor der Revolution war hier Diktatur. Keiner hat sich gerührt, keiner hat | |
offen geredet. Seit der Revolution ist die Atmosphäre viel besser. Für mich | |
ist das wie ein Traum. | |
Einige Wochen nach dem 14. Januar habe ich begonnen, Kopftuch zu tragen. | |
Ich bin Muslimin und sehe das als meine Pflicht an. Ich habe schon vorher | |
fünf Mal am Tag gebetet und immer lange Ärmel getragen. Ich achte die | |
Vorschriften des Islam. | |
Unter der Diktatur von Ben Ali durfte man die Uni mit Kopftuch nicht | |
betreten, man durfte dem Unterricht nicht bewohnen und auch keine Prüfungen | |
ablegen. Das war sehr strikt. | |
Bei den Wahlen habe ich nicht an-Nahda gewählt, sondern eine andere Partei, | |
deren politisches und wirtschaftliches Programm mich mehr überzeugt hat. | |
Ein Kopftuch zu tragen, heißt noch nicht, an-Nahda-Anhänger zu sein, da | |
haben viele Leute Vorurteile. Ich finde, an-Nahda ist doppelzüngig, das | |
gefällt mir nicht. | |
Ich bin Tunesierin, Muslimin und trage Kopftuch, aber ich bin für die | |
Freiheit. Wenn einer Alkohol trinken will, dann soll er das tun, und wer | |
beten will, soll das können. Ich bin da nicht strikt. Ich denke, dass man | |
sich für die neue Verfassung am Koran orientieren könnte, aber ohne ihn | |
wörtlich zu nehmen, man muss ihn gemäß der tunesischen Gegebenheiten | |
interpretieren. | |
Wenn ich einen religiösen Zweifel habe, dann versuche ich mir in Büchern | |
und im Internet Klärung zu verschaffen, nicht bei einem Imam. Der kann sich | |
schließlich auch irren. | |
14 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Sebastian Fischer | |
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