# taz.de -- Syrischer Autor über Hafterfahrungen: "Die Syrer geben wirklich al… | |
> Der Kampf für Freiheit, die Angst, das Gefängnis: Der syrische Autor | |
> Mohammad al-Attar dokumentiert die Gegenwart und lässt Menschen von | |
> Gewalt berichten. | |
Bild: Unscharfes Amateurvideobild: Wie schaffen es die Leute, die Angstbarriere… | |
Wann überwinden Menschen ihre Angst und nehmen den Kampf auf, auch wenn das | |
ihren Tod bedeuten kann? Das ist die Frage, die Mohammad al-Attar seit | |
Jahren bewegt. | |
Auch das neue Stück des Theaterautors aus Damaskus "Can You Please Look | |
into the Camera?" dreht sich um Gewalterfahrungen. Menschen, die vor und | |
während der Revolution in syrischen Gefängnissen einsaßen, erzählen von | |
ihrer Haft. | |
taz: Herr al-Attar, waren Sie bei den Protesten dabei? | |
Mohammad al-Attar: In Damaskus ist es ja insgesamt eher ruhig. Aber als die | |
Revolution im letzten März anfing, hörte ich in den Nachrichten, das in | |
bestimmten Gegend offenbar etwas passiert. Da bin ich sofort hingefahren. | |
Einfach aus Neugierde. Meine erste Frage war: Wie schaffen es die Leute, | |
die Angstbarriere zu überwinden und auf die Straße zu gehen? | |
Wie schaffen sie es? | |
Die Angst bleibt immer. Trotzdem gibt es diese Erleichterung, diesen | |
Glücksmoment, endlich herausschreien zu können, was man denkt und woran man | |
glaubt. Auf einmal fühlt man sich stärker und als Teil von etwas, wozu man | |
immer gehören wollte. Für einen Moment fühlt man sich frei. Das ist der | |
Antrieb. | |
Gilt das weiter, obwohl Präsident al-Assad die Protestierenden systematisch | |
töten lässt? | |
Ja, denn die Leute haben keinen Zweifel daran, dass sie für die richtige | |
Sache kämpfen. Die Revolution in Syrien ist keine Hungerrevolte. Es geht | |
darum, die eigene Würde wiederzuerlangen. Es ist ein Freiheitskampf. Jedem | |
ist klar, dass die Syrer einen hohen Preis bezahlen müssen, um sich zu | |
befreien, einen sehr hohen. Jetzt aufzuhören würde bedeuteten, einen | |
unermesslichen Preis zu zahlen. Es gibt schlicht keinen Weg zurück. | |
Ihr neuestes Stück heißt "Bitte schau in die Kamera". | |
Ich hab schon in den Jahren zuvor begonnen, mit Häftlingen zu sprechen, vor | |
allem auf dem Land. Aus ihren Berichten, aber auch aus Erinnerungen von | |
Leuten, die im letzten Jahr ins Gefängnis kamen, habe ich Figuren geformt, | |
die von der Gewalt und der Folter in syrischen Gefängnissen erzählen. | |
Sie wollen den Opfern eine Stimme geben? | |
Zunächst einmal geht es darum, was die Betroffenen denken, was sie | |
verändert hat und wie sie sich verändert haben. Auf der zweiten Ebene frage | |
ich: Wie dokumentiere ich etwas, während die Gewalt weitergeht? Was | |
bedeutet Dokumentation, wenn jede Übersicht fehlt, wenn es keine Zahlen | |
gibt, wenn man mittendrin ist im Strudel der Gewalt? | |
Wie antworten Sie? | |
Indem ich meine ganze Verwirrung in den Text gebe. Das ist zwar ein | |
bisschen egoistisch, aber als Künstler bin ich natürlich davon überzeugt, | |
dass ein Text, der auf mehreren Ebenen spielt, besser vermittelt, was los | |
ist, als ein Schnappschuss. | |
Inzwischen hat al-Assad die Kontrolle über die Bilder verloren, es dringen | |
immer mehr Videos und Fotos nach außen. Hilft das Ihrer Arbeit? | |
Nicht unbedingt. Ich bin in den letzten Monaten viel gereist. Immer wieder | |
fiel mir auf, wie stark die Leute außerhalb von Syrien durch die Bilder der | |
ägyptischen Revolution beeinflusst sind. Der Tahrirplatz ist das Modell für | |
die Arabische Revolution geworden. Das ist extrem ungerecht, denn die Leute | |
in Syrien würden sich auch gerne zu Zigtausenden auf einem großen Platz | |
versammeln, mit Sängern, mit Teeständen, mit Hochzeiten. Doch das geht in | |
Syrien nicht. Das Regime ist viel zu brutal. | |
Die Leute hier wenden sich ab, weil ihnen die Bilder zu blutig sind? | |
So kommt es mir vor. Es gibt inzwischen eine Art Wettbewerb: Wer macht die | |
hübscheste Revolution? Da haben die Syrer echt keine Chance. Dabei tun sie, | |
was sie können. Sie geben wirklich alles. | |
15 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Ines Kappert | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Syrien | |
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