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# taz.de -- Grüne verlassen Facebook: Das Ende der Blumenkübel
> Die Grünen in Schleswig-Holstein ziehen Konsequenzen aus ihren
> Datenschutz-Bedenken und löschen ihre Facebook-Seite. Die taz.nord
> versucht, den ästhetischen Verlust einzuschätzen.
Bild: Harte Ankündigung: Die Nord-Grünen canceln ihre Facebook-Seite.
HAMBURG taz | Sie soll weg. Für immer. "Landesvorstand und Parteirat von
Bündnis 90 / Die Grünen haben beschlossen, die Facebook-Fanseite der Grünen
in Schleswig-Holstein zu löschen und nicht im Wahlkampf zu nutzen", heißt
es in einer Erklärung der Landesvorsitzenden Marlene Löhr, die nicht auf
Facebook steht, sondern auf der Homepage der schleswig-holsteinischen
Grünen.
Damit schließen sich die Grünen nicht mehr nur ideell, sondern mit Taten
dem schleswig-holsteinischen Datenschutzbeauftragten Thilo Weichert an, der
den Facebook-Fanseiten den Kampf angesagt hat. Ähnlich wie bei den
Gefällt-mir-Buttons registrieren die Facebook-Server in den USA nämlich
jeden Nutzer, der so eine Seite betritt, und zeichnen seine dortigen
Aktivitäten auf. Ist der Nutzer selber bei Facebook eingelogt, werden diese
Daten mit mit seinem Account verknüpft.
Politisch gesehen ist die Aktion der Grünen also äußerst ehrenwert.
Allerdings verschwindet mit der schleswig-holsteinischen Fanseite der
Partei auch ein Stück Internetkultur von der Bildschirmfläche, das so
schnell nicht zu ersetzen sein wird.
Das beginnt mit dem abgeschnittenen Sonnenblumen-Logo, mit dem jedes
Posting versehen ist. Die Sonnenblume selbst hat es noch ganz in die
zentrale Mittelspalte der Fanseite geschafft, von dem sowieso eher
sperrigen Parteinamen Bündnis 90 / Die Grünen ist aber nur noch "s 90" und
"nen" übriggeblieben. Bei SPD, CDU oder FDP wäre das nicht passiert - keine
dieser Parteien hat jemals versucht, in einem fairen, demokratisch
legitimierten Prozess den Übernahmecharakter der deutschen
Wiedervereinigung zu konterkarieren, selbst um den Preis, sich damit einen
Namen einzuhandeln, den niemand mehr in voller Länge aussprechen kann.
Die meisten Internetuser werden sowieso nicht mehr wissen, was das Bündnis
90 war, und so steht das abgeschnittene Logo für die Grünen, so wie sie
angefangen haben: Hauptsache moralisch auf der richtigen Seite. Das Gefühl
hat sich bei der Partei erhalten, kollidiert allerdings schwer mit dem
Mitregiert-haben und Wieder-mitregieren-wollen. Es ist genau dieser
Konflikt, der sich in dem abgeschnittenen Parteiemblem spiegelt - ob aus
Zufall oder mit Absicht, steht dahin.
Inhaltlich ist die Fanseite der schleswig-holsteinischen Grünen auf dem
Stand von Ende September 2011 - seit damals wird sie "bestreikt", wie die
Grünen sagen, um Facebook Gelegenheit zu geben, auf den Druck aus
Schleswig-Holstein zu reagieren. In der Fotogalerie ganz oben finden sich
darum sehr passend Fotos einer Veranstaltung namens "BÜRGERinDEMOKRATIE"
vom 10. September, bei der es um die Frage ging: "Können soziale Netze der
Demokratie nutzen oder schaden sie langfristig gar?"
Zu sehen sind nachdenklich das Kinn auf die Hand stützende
Grünen-PolitikerInnen vor Klassenzimmerwänden, grüne Juteröcke mit
Antiatom-Menschenkette-Aufnähern und Innenansichten vom Schleswiger
Kreishaus, in dem sehr schön eine herbstliche Garben-Dekoration in
Landesfarben von der Decke hängt. Einen Klick weiter gelangt der
Fanseitenbesucher unbemerkt in einem Zeitsprung auf den Landesparteitag
Ende Mai 2011, wo im Vordergrund große grüne Blumenkübel stehen, in die
fröhliche Grünen-Mitarbeiter Sonnenblumen pflanzen.
Auf den Blumenkübeln, die nach der Aktion vermutlich an den grünen
Parteivorstand verteilt wurden, steht "Grün arbeitet". Und so ist auf der
bald abgeschalteten Fanseite virtuos festgehalten, wofür die Partei einmal
stand: für die Arbeit mit und an der und für die Natur, von der die Grünen
ein Teil sind und auch wieder nicht. Im Bild des gärtnernden Grünen ist der
philosophische Gegensatz von natura naturans und natura naturata, von Natur
als Kraft und Natur als Produkt aufgehoben, die Grünen-PolitikerInnen
stehen auf beiden Seiten.
Ob es den Grünen in Schleswig-Holstein je wieder gelingen wird, mit neuen
Internetauftritten an die alte Facebook-Fanseite anzuschließen, darf
bezweifelt werden. Um so bitterer darum, dass die anderen größeren
Landtagsparteien bisher nicht daran denken, dem grünen Beispiel zu folgen
und ihre Fanseiten ebenfalls zu löschen. Die CDU in Schleswig-Holstein
präsentiert unbeirrt Promifotos von Ursula von der Leyen und anderen
Bundesministern, die diese beim Neujahrsempfang der Partei vor wenigen
Tagen zeigen. Von der Leyen hält dabei ein nicht näher erkennbares, in
Zellophanfolie eingewickeltes Präsent im Arm, während ihre Parteifreunde
von der Landespartei versuchen, mit aufs Foto zu kommen.
Die FDP, die als Logo eine wehende Flagge in Parteifarben aufbietet, lädt
Fotos von Diskussionsveranstaltungen mit Stehtischen und Mikrofonkabeln
hoch, bei denen man raten darf, wer von den Herren auf dem Bild nun
Liberaler ist. Einsamer Leuchtturm unter den schleswig-holsteinischen
Parteien-Fanseiten ist jedoch die SPD, deren aktueller Opener ein Video mit
dem ehemaligen Bundestagsabgeordneten Jörn Thießen ist.
In dem Video werden andächtig die in Glasvitrinen ausgestellten Tiere in
einem nicht näher bestimmten Naturkundemuseum gezeigt. "Welch unglaublich
reichhaltige Vielfalt der Schöpfung", schwärmt eine Männerstimme, die
vermutlich Thießen selbst gehört, im zugehörigen Audiokommentar. "Die
Verpflichtung, diese Vielfalt zu bewahren, kann man auch Politik nennen."
Die SPD-Fanseite zeigt, dass das Erbe der Grünen womöglich doch nicht
verloren ist, sondern nur in andere Parteien abwandert - und das sogar in
zeitgemäßem Videoformat. Radikaler sind nur noch die dänische
Minderheitenpartei SSW, die ihre Fanseite auf Eis gelegt hat, bis sich
Facebook bessert, und die Piraten: die sind politisch völlig korrekt
überhaupt nicht mehr bei Facebook, sondern beim unabhängigen sozialen
Netzwerk Diaspora organisiert. Dessen beschränkte Reichweite nehmen sie in
Kauf.
Sogar die schleswig-holsteinische Landesregierung zeigt sich lernfähig. Die
von Datenschützer Weichert geforderte Schließung ihrer Fanseite hat sie
zwar nicht vollzogen, auf der Seite erscheint zunächst aber nur das
Landeswappen mit einem Warnhinweis: "Der Datenschutzbeauftragte warnt:
,Facebook verstößt gegen deutsches Datenschutzrecht.'"
Erst mit einem weiteren Klick gelangt man zu den Inhalten - blühende
Zweige, etwas Handball, Sonnenuntergänge an der Nordsee. 14.139 Usern
"gefällt das".
18 Jan 2012
## AUTOREN
Daniel Wiese
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